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'Wir dürfen kein Sprachrohr werden'

Daphne Grathwohl19. April 2012

Die Berichterstattung rund um den Prozess gegen Anders Breivik steht in der Kritik. Tatsächlich müssen die Medien nicht nur Nachrichten melden, sondern einordnen, meint der Presserechtler Johannes Weberling.

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Anders Breivik im Gerichtssaal (Foto: REUTERS)
Im Fokus der Berichterstattung - Andres BreivikBild: Reuters

DW: Herr Weberling, die Berichterstattung über Anders Breivik steht derzeit in der Kritik. Besonders kritisiert wurde die Abbildung von Breivik, als er die rechte Faust zu einem faschistischen Gruß ballte. Hätte man dieses Bild unbedingt zeigen müssen?

Johannes Weberling: Was heisst: "zeigen müssen"? Zunächst einmal ist es die absolute Hoheit von Redaktionen, frei und ohne irgendwelche Einschränkungen zu entscheiden, was sie für berichtenswert und zeigenswert halten. Man kann auf der einen Seite über dieses Bild streiten und über die Sinnhaftigkeit, so etwas zu bringen. Auf der anderen Seite: Wenn eine Redaktion dieses Bild zeigt und entsprechend kommentiert, um die Absurdität, die Ideologie und die Unverbesserlichkeit des Abgebildeten deutlich zu machen, sehe ich da absolut kein Problem. Ich habe dagegen ein Problem, wenn eine Diskussion aufkommt, Redaktionen, egal welcher Natur, vorzuschreiben, wie sie zu berichten haben.

Wie steht es um die Videos, die man veröffentlichen könnte und die ihn zeigen, wie er seine menschenverachtende Ideologie offenbart? Kann man das bei Veröffentlichung ausreichend kommentieren und einordnen?

Wir haben in Deutschland bei vielen Themen die Diskussion, ob man etwas zeigen und sich damit auseinandersetzen muss. Das zeigt sich nicht zuletzt bei der Koranverteilung der Salafisten – unstrittig eine gewaltbereite Splitterorganisation. Da diskutiert man nicht über die absurden Vorstellungen dieser Gruppierung, sondern man redet gleich über ein Verbot der Aktion selber.

Johannes Weberling, Rechtsanwalt und Presserechtler. Copyright: Johannes Weberling April, 2012
Plädiert für Pressefreiheit und fundierte Berichterstattung - der Jurist und Presserechtler Johannes WeberlingBild: J.Weberling

Würde eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft nicht viel besser daran tun und damit diesen Personen viel mehr das Wasser abgraben, wenn sie sich mit diesen Dingen auseinandersetzen würde – wobei ich Breivik und die Salafisten natürlich nicht in einen Topf werfen möchte. Natürlich kann man argumentieren, das ist alles so absurd, dass man sich nicht damit auseinandersetzen kann. Doch für Personen, die Orientierung suchen, ist es immer wieder interessant, sich mit absurden Thesen auseinander zu setzen. Deshalb muss man diese Diskussion um die Ideologie von Anders Breivik führen, gerade indem man deutlich macht, was für ein – Entschuldigung – Quark da von sich gegeben wird.

Sie bilden Journalisten aus, Sie sind Presserechtler und Jurist. Wenn Sie die Medienlandschaft beobachten, kommentieren und begleiten die Medien das, was Breivik von sich gibt, ausreichend? Oder machen sie sich doch – wie Kritiker sagen – zumindest teilweise zum Sprechrohr?

Wir müssen als Medien aufpassen. Wir laufen Gefahr, durch die Berichterstattung überhaupt erst auf derartige Themen aufmerksam zu machen und Interesse daran zu wecken. Das fängt bei Anders Breivik an, geht über Neonazis und andere extremistische Gruppen bis hin zu den Salafisten. Es ist teilweise sogar die Strategie solcher Gruppierungen, sich selbst so überhaupt erst ins Gespräch zu bringen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zum Instrument solcher Gruppierungen – einschließlich Anders Breivik – machen.

Wir dürfen eben gerade kein Sprachrohr werden. Wir haben den Auftrag, Nachrichten zu verbreiten, sie zu kommentieren und mit unseren Stellungnahmen zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Und da ist aus meiner Sicht in Teilen ein Nachholbedarf erkennbar: Wir transportieren lediglich Nachrichten, setzen uns aber damit zu wenig auseinander. Das ist ein Defizit, das auch an den enger gewordenen personellen Ressourcen der Medien liegt. Und das ist sicherlich ein Problem.

Wie soll man in Zukunft mit den Aussagen der Opfer und Angehörigen der Opfer Anders Breiviks umgehen? Ein Monat ist für die 46 Zeugenaussagen angesetzt. Soll man das Leid zeigen?

Das ist ein sehr wichtiges Thema: Wir reden immer über die Täter und über deren Befindlichkeiten. Über die Opfer und darüber, was die Täter mit ihnen gemacht haben, reden wir viel zu wenig. Das wäre aber wichtig, gerade, um die Absurdität der Thesen von Breivik deutlich zu machen. Das gilt für Taten jeder extremistischen Gruppierung, Breivik ist ein gutes Beispiel dafür. Wir transportieren seine Bilder, Erklärungen und Thesen: Aber das, was er angerichtet hat, wird stiefmütterlich behandelt. Natürlich ist zu fragen, ob gerade die Angehörigen von Opfern nicht eher ein Recht auf Ruhe haben. Da muss man als Medium abwägen, ob man versucht deutlich zu machen, was für eine absurde Ideologie das ist, die junges, hoffnungsvolles Leben auslöscht, generell Leben auslöscht.

Wie menschenverachtend diese Ideologie ist? Das kann man meines Erachtens ganz hervorragend gegenüberstellen und damit auch die Thesen von Breivik oder anderen extremistischen Schwachköpfen diskreditieren und unmissverständlich deutlich machen, dass das so nicht geht. Da haben wir als Medien einen großen Nachholbedarf: Wir reden mitunter fast voyeuristisch über Täter, motivieren dadurch manchmal Täter sogar, sich in die Öffentlichkeit zu stellen. Aber wir denken nicht an die Opfer und an die Auswirkungen auf sie und ihre Angehörigen.

Professor Johannes Weberling ist Rechtsanwalt und als solcher unter anderem Justiziar der "Märkischen Oderzeitung". Seit den 1990er-Jahren arbeitete er für verschiedene Verlage. Er ist in der journalistischen Ausbildung tätig und lehrt Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).