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Der Überzeugungseuropäer

Christoph Hasselbach17. April 2012

Europa muss als Lehre aus der Krise stärker zusammenwachsen, fordert Gauck in Brüssel. Außerdem sprach der Bundespräsident über sein Kernthema - Freiheit.

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European Commission President Jose Manuel Barroso, right, welcomes German President Joachim Gauck, at the European Commission headquarters in Brussels, Tuesday, April 17, 2012. (Foto:Yves Logghe/AP/dapd)
Bundespräsident Joachim Gauck und EU-Kommissar Manuel Barroso BrüsselBild: AP

"Ich freue mich, Herr Bundespräsident, dass Sie so bald nach Ihrem Amtsbeginn nach Brüssel kommen. Damit geben Sie eine wichtige und positive Botschaft über Ihr Engagement für Europa." EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ehrte seinen deutschen Gast, indem er ihn mit einigen Sätzen in dessen Muttersprache begrüßte. "Dass Sie mich in meiner Heimatsprache begrüßt haben, ist so etwas wie ein Blumenstrauß, den ich empfangen habe", bedankte sich Gauck. Wie bei seinem Amtsvorgänger Christian Wulff hatte Gauck als zweite Auslandsziel Brüssel gewählt. Erste Station war bei Wulff aber Frankreich gewesen, Gauck war zuerst nach Polen gefahren.

Gemeinsame Erfahrung der Diktatur

Doch beide Präsidenten wollten mehr als ein paar nette Worte vor den Kameras austauschen. Er habe mit Barroso nicht zuletzt ausführlich über die persönlichen Parallelen gesprochen, betonte Gauck dann, nämlich das Leben unter der Diktatur. Barroso hatte das Ende der portugiesischen Militärherrschaft mit 18 Jahren erlebt. Gauck sieht seine und Barrosos europapolitischen Überzeugungen in diesen Erfahrungen begründet. "Uns eint also beide, dass wir als junge Leute unterschiedlich lang die Freiheit nur als Sehnsucht haben konnten, aber wir durften sie erst wesentlich später gestalten." Für ihn sei "die Vision Europa verbunden mit der Praxis gelebter politischer Freiheit." Barroso glaubt, dass Europa mehr von solchen Überzeugungstätern braucht. Niemand solle denken, dass das europäische Projekt und seine Errungenschaften unumkehrbar oder selbstverständlich seien. "Wir brauchen das Bekenntnis zum europäischen Projekt. Ich glaube, dass Präsident Gauck mit seinem persönlichen Hintergrund und seinen starken Überzeugungen an der richtigen Stelle steht, um mit seinem Beispiel voranzugehen."

Gauck spricht 1989 in einer Kirche Foto: Siegfried Wittenburg dpa (nur s/w) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Freiheit nur als Sehnsucht: Pfarrer Gauck 1989 in RostockBild: picture-alliance/dpa

Europäer sollen sich nicht von Angst leiten lassen

Beide Präsidenten sprachen auch über die anhaltende Krise in Europa. Gauck nannte die Wirtschafts- und Finanzkrise auch eine Vertrauenskrise. Und Barroso fügte hinzu, es gebe eine wachsende Distanz zum europäischen Projekt und ein Misstrauen der Bürger in die politischen und wirtschaftlichen Eliten. Er warnte vor Populismus und gegenseitiger Abgrenzung. Mehr Europa sei für ihn die Antwort auf die Krise, nicht weniger. Gauck stimmte zu und gab auch an dieser Stelle persönliche Erfahrungen zum besten. Er habe unter der Diktatur gelernt, "dass Angst uns kleine Augen macht und ein enges Herz, dass wir also gerade in Zeiten von Schwierigkeiten uns nicht leiten lassen sollten von Ängsten, auch von der Verlockung, wieder zurückzugehen, das Projekt Europa zu verlassen."

Doch Gauck sprach ausdrücklich nicht nur als Bürger, sondern auch als Präsident seines Landes, eines Landes, an das sich die größten Hilfserwartungen in der Krise richten. Den Deutschen falle es leichter, solidarisch zu sein, wenn es mehr Verbindlichkeit gebe, meinte Gauck in Anspielung an den neuen europäischen Fiskalpakt mit seiner Haushaltsdisziplin.

Politische Union "eine Zukunftsvision"

Sollten denn am Ende der Entwicklung die Vereinigten Staaten von Europa stehen?, wurde Gauck gefragt. Der lächelte ein wenig und sagte, Mentalitäten änderten sich nur langsam, die Menschen in Europa fühlten sich vor allem den Nationalstaaten verbunden. Doch aus rationalen Gründen spricht für ihn alles für eine politische Union. "Ich sehe es im Moment nicht. Ich wünsche es mir, weil die einzelnen Staaten, egal wie sie selbst von sich denken, nicht mehr das Renommee und die wirtschaftliche und politische Kraft haben, in den großen Kraftzentren dieser Erde wahrgenommen zu werden. Als Europa sind wir stark, als Nationalstaaten nicht mehr stark genug." Die Vereinigten Staaten von Europa nannte Gauck eine Zukunftsvision. Doch noch sei man nicht soweit. Vorläufig sollten die Einzelstaaten mehr Kompetenzen abtreten und sich stärker miteinander abstimmen.

Gauck und Rasmussen schütteln sich die Hand vor Deutschland- und NATO-Flagge REUTERS/Francois Lenoir (BELGIUM - Tags: POLITICS MILITARY)
Zur Station Brüssel gehörte auch die NATO: mit Generalsekretär Rasmussen.Bild: Reuters