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Djerba zehn Jahre danach

Marco Müller10. April 2012

Es war der 11. April 2002 als ein mit Flüssiggas beladener Kleinlaster die Urlaubsstimmung auf der tunesischen Ferieninsel Djerba schlagartig zerstörte. Die Folgen des Anschlags mit 21 Toten sind bis heute spürbar.

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Frontansicht der La Ghriba Synagoge (Foto: AP)
Die La Ghriba SynagogeBild: AP

Unter den 21 Toten waren 14 Touristen aus Deutschland. Sie alle kamen ums Leben als der 24-jährige Selbstmordattentäter Nizar Nawar einen mit Flüssiggas beladenen Kleinlaster gegen eine Mauer der Synagoge La Ghriba steuerte. Später bekannte sich das Terrornetzwerk Al-Kaida zu dem Anschlag.                       

2006 wurde Belgacem Nawar, der Onkel des Attentäters, in Tunesien als Mittäter zu 20 Jahren Haft und fünf Jahren anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Im Februar 2009 befand ein Pariser Gericht außerdem den Duisburger Christian Ganczarski, der zum Islam konvertiert und Mitglied der Terrororganisation Al-Kaida geworden war, für schuldig und verurteilte ihn zu 18 Jahren Haft.  Ein weiteres Jahr später sprach ein Pariser Schwurgericht 21 deutschen Überlebenden und Hinterbliebenen insgesamt 2,4 Millionen Euro Schadenersatz zu. Bis heute wurde die Summe nicht komplett an die Opfer ausgezahlt.

Alte Wunden reißen auf

Rund 1,7 Millionen Euro stehen bis heute noch aus. Solange das Geld nicht ausgezahlt und der Gerichtsprozess nicht endgültig vorbei ist, werden viele Betroffene ständig an das Attentat und die Folgen erinnert, sagt Judith Adam-Caumeil. Sie ist Anwältin in Paris und vertritt 21 deutsche Hinterbliebene und Überlebende des Attentats. "Ein Herr aus Berlin hat immer noch damit zu kämpfen, dass er seine Mutter unter solch schwierigen Umständen verloren hat. Er stand zehn Jahre später, als er vor dem Schwurgericht in Paris aussagen musste, immer noch unter Schock", so die Anwältin im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Hangar in dem Patienten aus einem Luftwaffe-Airbuss auf Rettungswagen verteilt werden (Foto: dpa)
Deutsche Opfer werden in Hamburg von einem Luftwaffe-Airbus auf Rettungswagen verteiltBild: picture-alliance/dpa

Judith Adam-Caumeil vertritt auch den Vater eines damals vierjährigen Jungen, der sehr schwere Verbrennungen davontrug. Der Vater "wollte dann auch nicht mehr damit konfrontiert werden. Als er aussagen musste, hat er, obwohl das Ganze schon acht Jahre her war, nächtelang noch damit kämpfen müssen, was er da ausgesagt hat. Und vor allen Dingen stand er ja einem der Mittäter, Ganczarski, direkt gegenüber", erläutert die Anwältin. 

Zwar sei es eine Erleichterung für die Ofper, dass die Anstifter des Attentats festgenommen und vor Gericht gestellt werden konnten. "Es wurden aber Wunden dann doch wieder aufgerissen", so Adam-Caumeil.

Menschenleerer Gerichtssaal in Paris. Nur ein Polizist ist zu sehen. (Foto: AP)
In diesem Gerichtssaal in Paris fand der Prozess stattBild: AP

Die Anwältin erwartet ein Urteil im Prozess um die Auszahlung der Schadenersatzzahlungen noch in diesem Jahr. Allerdings geht sie davon aus, dass, je nachdem wie das Urteil ausfällt, entweder der beklagte französische Garantiefonds oder ihre Mandanten in Revision gehen werden. Dann würde der Prozess noch mal rund zwei Jahre länger dauern. Bis sich die Wunden der Opfer also endgültig schließen, kann es noch einige Jahre dauern.

Deutsche Touristen meiden Djerba

Auch in der Tourismusindustrie sind die Folgen bis heute zu spüren. Bis zu dem Anschlag besuchten rund 300.000 deutsche Touristen jährlich Djerba. "Der Anschlag hatte natürlich verheerende Folgen auf den deutschen Tourismus", erklärt Andrea Philippi  vom Fremdenverkehrsamt Tunesien in Deutschland. "Er ist damals um etwa 50 Prozent zurückgegangen." 2003 kamen sogar nur noch 120.000 deutsche Touristen. In den Folgejahren pendelte sich deren Zahl dann bei rund 150.000 ein.

Innenansicht der Synagoge La Ghriba am Tag nach dem Attentat (Foto: dpa)
Die Synagoge La Ghriba von innen am Tag nach dem AttentatBild: picture-alliance/dpa

So viele deutsche Touristen wie vor dem Attentat kamen seither nie mehr nach Djerba. Die Zahl der internationalen Touristen stieg dagegen nach einem Einbruch 2002 innerhalb von zwei Jahren wieder auf das Niveau von vorher an.

Es sind also vor allem die Deutschen, die Djerba meiden. Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass die meisten Todesopfer Deutsche waren. Andrea Philippi macht dafür aber auch die Informationspolitik der damaligen Regierung verantwortlich: "Man muss noch einmal sagen, dass es zu dem damaligen Zeitpunkt eine komplett falsche, schlechte Kommunikation seitens des Staats gegeben hat." Die damalige tunesische Regierung hatte versucht, die Tat als Unfall darzustellen und sie herunterzuspielen. Diesen Fehler habe man aber heute erkannt und sich dafür auch jetzt noch mal entschuldigt. "Wir hatten im Januar 2011 eine Revolution in Tunesien, die Jasmin-Revolution. Und der erste Minister, der gleich danach kam, hat bei seiner ersten Konferenz vor deutschen Journalisten sich diesbezüglich entschuldigt und der jetzige hat es auch noch mal getan", erklärt Andrea Philippi.

Djerba morgen

Wie es mit dem Tourismus in Djerba weitergeht, ist schwer abzuschätzen. Mit der Revolution in Tunesien sind deutlich weniger Touristen ins Land gekommen. Der Effekt ist ähnlich wie der nach dem Attentat, nur dass es diesmal das ganze Land betrifft. "Wir hatten einen Rückgang für den deutschen Markt von 41 Prozent. Es zieht jetzt aber wieder an", so Philippi.

Durchfahrtssperren vor der Synagoge La Ghriba (Foto: dpa)
Heute stehen Durchfahrtssperren vor der SynagogeBild: picture-alliance/dpa

Die Reiseveranstalter Thomas Cook und TUI haben die Revolution in Tunesien deutlich zu spüren bekommen. Die Buchungszahlen waren extrem zurückgegangen. Seit Anfang diesen Jahres sehen beide aber einen deutlichen Aufwärtstrend. TUI erklärte im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass sich speziell der Tourismus auf Djerba seit Anfang 2012 gut entwickelt habe. Auf dem Stand von vor der Revolution sei man aber noch nicht.

Selbst wenn bald wieder so viele deutsche Touristen nach Djerba kommen, wie vor der Revolution, die Zahlen von vor dem Attentat werden wohl kaum wieder erreicht werden. Dafür ist das Attentat und das Leiden der deutschen Opfer wohl noch zu präsent. Wunden heilen eben langsam – und manchmal reißen sie wieder auf.