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Fahndung nach Hautfarbe?

Johanna Schmeller29. März 2012

Erstmals hat ein Gericht entschieden, dass die Hautfarbe Grund für eine Passkontrolle sein kann. Die Polizei argumentiert für effizienten Grenzschutz. Juristen sehen das Grundrecht auf Diskriminierungsfreiheit verletzt.

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Beamte der Bundespolizei führen am Flughafen Frankfurt/Main bei Reisenden, die gerade ihr Flugzeug über die Gangway verlasen haben, eine Dokumentensichtung durch (Foto vom 19.08.2010). Dank der EU fehlen Grenzkontrollen in Deutschland fast überall. Doch die Flughäfen bleiben Einfallstore für Schleuser und Geschleuste. Daher macht die Polizei in Frankfurt schon an der Flugzeugtür Jagd auf Kriminelle - alle 15 Minuten stehen Beamte vor einem Flieger. Foto: Marius Becker dpa/lhe
Deutschland Einreise Visum Reisepass KontrolleBild: picture alliance/dpa

Passkontrolle im Regionalzug von Kassel nach Frankfurt am Main: Kurz vor einem außerplanmäßigen Halt fordern zwei Bundespolizeibeamte einen dunkelhäutigen Mann auf sich auszuweisen. Der weigert sich. Die Beamten nehmen ihn fest. In ihrer Dienstsstelle finden sie später Ausweisdokumente in seinem Rucksack.

"Die illegale Immigration ist allein im letzten Jahr nachweislich um 20 Prozent gestiegen, auf deutlich mehr als 20.000 Feststellungen", verteidigt Josef Scheuring von der Polizeigewerkschaft später die Kollegen, "wir müssen davon ausgehen, dass es eine enorm hohe Dunkelziffer gibt." Dies rechtfertige schärfere Kontrollen.

Was jedoch zunächst nach einem Routineeinsatz der Grenzpolizei klingt, hat 15 Monate später zu einem Gerichtsurteil geführt, das noch Aufsehen erregen könnte - nicht nur in juristischer Hinsicht. Vor dem Verwaltungsgericht Koblenz legt einer der Beamten seine Fahndungskriterien offen. Und so heißt es in der Urteilsbegründung, die am Mittwoch (28.03.2012) veröffentlicht wurde: "Er spreche Leute an, die ihm als Ausländer erschienen. Dies richte sich nach der Hautfarbe, aber auch danach, ob der Reisende Gepäck bei sich habe oder ob er alleine irgendwo im Zug stehe. Der Kläger sei hierbei aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen." Diese Erklärung wurde vom Gericht für zulässig befunden, die Klage des deutschen Staatsbürgers mit Migrationshintergrund abgewiesen.

In der Praxis bedeutet das zunächst, dass Reisende in Deutschland weiterhin allein wegen ethnischer Merkmale polizeilich überprüft werden dürfen. Das Verwaltungsgericht Koblenz habe so die "Effizienz der Polizeiarbeit" bei der Kontrolle illegaler Zuwanderer sichern wollen, so Gerichtssprecher Christoph Gietzen: "Das einzig sinnvolle Kriterium ist das äußere Erscheinungsbild eines Menschen. Ein anderes Kriterium gibt es eben nicht bei diesen verdachtsunabhängigen, stichprobenartigen Kontrollen, wie sie die Bundespolizei durchführt." Verdachtsunabhängig bedeutet dabei, dass Ausweise ohne konkreten Tatverdacht kontrolliert werden.

Passkontrolle in Deutschland (Foto: dpa)
Passkontrolle in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Nach Einschätzung des Gerichtes sei es dabei zulässig, sich "an Hautfarbe, Sprache oder Kleidung" zu orientieren, um die "Kapazitätsengpässe in der polizeilichen Arbeit zu überwinden". Dies sei allerdings nur dann rechtens, präzisiert Gietzen, "wenn polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, dass es auf einer Fahrstrecke der Eisenbahn zu unerlaubten Einreisen von Ausländern oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz kommt."

"Ethnic Profiling" bei der Bundespolizei?

Menschenrechtsvertreter kritisieren die Entscheidung dagegen scharf, denn nie zuvor ist die Hautfarbe vor einem deutschen Gericht so offen zum Grund für eine Überprüfung erklärt worden. "Die Bundespolizei hat Ausnahmebefugnisse, um verdachts- und verhaltensunabhängige Kontrollen durchzuführen", sagt Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte. "Was aber jetzt in diesem Urteil festgehalten wurde, ist ein Verstoß gegen das menschenrechtliche Verbot rassistischer Diskriminierung."

Karl Kopp (Foto: PRO ASYL)
Karl Kopp von "Pro Asyl"Bild: Pro Asyl

In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung noch im Juli 2011 formuliert, dass es bei rechtmäßigen verdachtsunabhängigen Kontrollen keine unterschiedliche Behandlung von Personen nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion geben dürfe. "Das Urteil ist daher unvereinbar mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat", meint Karl Kopp von Pro Asyl, einer Nichtregierungsorganisation, die Flüchtlingen hilft, die nach Deutschland kommen.

Auch der Berliner Jurist Alexander Klose, Experte für Diskriminierungsrecht, ist über das Urteil erstaunt: "Neu ist, dass wir jetzt einen gerichtlich festgestellten Beleg dafür haben, dass es offenbar bei der Bundespolizei zum regelmäßigen so genannten 'Ethnic Profiling' kommt", meint er. "Solche Praktiken - dass anhand des äußeren Erscheinungsbildes Personen für Kontrollen ausgewählt werden - wurden von den Verantwortlichen sowohl im Bundesinnenministerium als auch bei der Bundespolizei bislang geleugnet!"

Anzeige wegen Beleidigung

Aggressiv hatte der Kläger im Vorfeld seiner Festnahme das Vorgehen der Beamten mit dem von Nazi-Schergen verglichen: "Der Kläger äußerte, die Beamten seien 'wie früher die SS' und ihre Methoden seien 'SS-Methoden'", heißt es im Prozessprotokoll. Der Kontrollierte bekommt eine Anzeige wegen Beleidigung; Mitte September 2011 erhebt er dann ebenfalls Klage. Er sei nicht aufgrund einer "unmittelbaren Gefahrenlage" - wie sie das Bundespolizeigesetz zur Bedingung macht - kontrolliert worden, sondern aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, argumentiert er. Sein Antrag auf Prozesskostenhilfe ist bereits im Vorfeld gescheitert - wegen zu geringer Aussichten auf einen Erfolg des Prozesses. Alle Kosten musste der Kläger selbst tragen.

Ob das Urteil einer Überprüfung in höheren Instanzen standhält, bleibt abzuwarten. Denn auf internationaler Ebene gab es bereits einen Präzedenzfall: Im Jahre 2006 kontrollierten Beamte in Madrid eine Spanierin mit US-amerikanischen Wurzeln ebenfalls allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Hier war die Klage vor spanischen Gerichten in allen Instanzen abgewiesen worden. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hatte sich dann aber zugunsten der Klägerin ausgesprochen: Die Hautfarbe könne kein hinreichendes Kriterium sein, um auf die Nation eines Menschen zu schließen. Auch die materiellen Forderungen der Klägerin wurden als berechtigt angesehen - 30.000 Euro Schadensersatz für die erlittenen seelischen und moralischen Verletzungen, und weitere 30.000 Euro für die Prozessmittel, die sie hatte aufbringen müssen.

Beamte der Bundespolizei bei der Kontrolle (Foto: dpa)
Schärfere Kontrolle von Ausländern? Beamte bei der ArbeitBild: picture alliance/dpa

Kein Platz für "rassistische Farbenlehre"

"Egal, mit welchem Anwalt: Das Urteil aus Koblenz können Sie leicht anfechten", meint Rechtsexperte Alexander Klose. Er bezeichnet die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes als nicht haltbar: "Arbeitgeber etwa sind genauso an das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und an Antidiskriminierungsverbote gebunden. Schlechte Erfahrungen mit Einzelnen im Vorfeld dürfen da kein Argument sein. Und das was wir von privaten Arbeitgebern und Vermietern zu Recht erwarten, kann und muss erst recht für die Polizei als staatliches Organ gelten."

Alexander Klose (Foto: privat)
Der Berliner Jurist Alexander KloseBild: Privat

Selbst wenn ein internationales Gericht das Koblenzer Urteil wieder kassiert, würde das aus Sicht der Organisation Pro Asyl nicht reichen: "Natürlich ist es wichtig, dass das Urteil durch höhere Instanzen korrigiert wird", meint Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp. "Genauso wichtig ist aber, dass die Bundesregierung die Gesetze zur verdachtsunabhängigen Kontrolle dahingehend präzisiert, dass eine rassistische Farbenlehre in einem Land mit Millionen von deutschen Staatsangehörigen, die keine rosafarbene Haut haben, künftig keine Rolle mehr spielt."