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Die DDR in der Literatur

Gabriela Schaaf16. März 2012

"Wir müssen uns unsere Geschichten erzählen, damit wir uns besser kennenlernen", das war nach der Wende häufig zu hören, wenn Ost- und Westdeutsche zusammenkamen. Neue Bücher bieten dazu reichlich Gelegenheit.

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Ein Auge schaut durch e ine Wand (Foto: Fotolia/lassedesignen)
Bild: Fotolia/lassedesignen

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen" lautet beinahe schon programmatisch der Titel des Debutromans von Daniela Krien über eine Familie im deutsch-deutschen Grenzgebiet kurz nach der Wende. Denn dieses "Irgendwann" scheint jetzt zu sein. Mehr als 20 Jahre nach ihrem Untergang ist die DDR auf dem Buchmarkt lebendiger denn je. Vor allem der Alltag wird da in den Blick genommen, Alltag in einem Staat, dessen Macht bis weit in die Familien reichte.

Das seien die "Gezeiten der Literaturgeschichte", meint die Kritikerin Meike Albath, die diese Tendenz schon im letzten Herbst beobachtet hat. Als Jury-Vorsitzende des Deutschen Buchpreises hatte sie hunderte von Titeln gesichtet. Schließlich war es dann auch Eugen Ruges autobiografische Geschichte einer DDR-Familie "In Zeiten des abnehmenden Lichts", die den Preis gewonnen hat. Bestimmte Themen, so Albath, brauchten offenbar den historischen Abstand, um Literatur zu werden.

Eine Familie verschwindet

Auch Marion Brasch brauchte diese Distanz für ihre romanhafte Familienbiografie "Ab jetzt ist Ruhe". Sie ist die letzte Überlebende einer Familie "voller existienzieller Brüche", wie sie selbst sagt, "einer Familie, in der viel gestritten wurde und die am Ende verschwindet". Ihre drei Brüder – unter ihnen der bekannte Dramatiker Thomas Brasch – sind letztlich an dem Staat gescheitert, gegen den sie opponierten. Und der in der eigenen Familie durch den Vater, einen hohen Funktionär, repräsentiert wurde. Eine privilegierte Familie, gewiss, aber darin auch eine DDR-typische, meint Marion Brasch. Die Aufgaben im Dienste des Staates hatten Vorrang vor der Familie.

Leipziger Buchmesse 2012: Autorin Marion Brasch auf dem Blauen Sofa von aspekte/ZDF, Club Bertelsmann, Deutschlandradio Kultur und Süddeutsche Zeitung (Foto: Leipziger Messe GmbH / Norman Rembarz) Die Fotos dürfen nur für Pressezwecke verwendet werden.
Die Journalistin Marion Brasch auf der Leipziger BuchmesseBild: Leipziger Messe GmbH/Norman Rembarz

Marion Brasch schildert die ganze Dramatik dieses Zusammenpralls aus der kindlichen Perspektive – ihrer Perspektive als jüngster Tochter - leicht und beinahe heiter. Ein Kunstgriff, der der Journalistin überhaupt erst das Schreiben darüber ermöglichte: "Ich habe mich lange gedrückt, weil ich nicht wusste, wie ich diese Geschichte schreiben soll. Eine Biografie zu schreiben schien mir zu groß, zu schwer, zu bedeutend, mit einem zu  hohen Anspruch an Wahrheit, Authentizität."

Beschädigte Kindheiten

So wie hier sind es in vielen Neuerscheinungen die Kindheiten in der DDR, die geschildert werden. Beschädigte Kindheiten wie in Julia Francks Roman "Rücken an Rücken". Pate gestanden hat die Biografie ihrer Großmutter, einer linientreuen Künstlerin, die den Dienst am Staat vor die Fürsorge für ihre Kinder gestellt hat. In Ruth Hoffmanns soeben erschienenem Dokumentarband "Stasi-Kinder" erzählen Söhne und Töchter von hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern vom bedrückenden Klima in ihren Familien. Und wie sie den "Systemwechsel der Seele" bewältigt haben, schildern Kinder von Künstlern und Dissidenten, die die DDR mit ihren Eltern verlassen mussten, in dem Band "Ein Spaziergang war es nicht".

Ruth Hoffmann, Autorin des Buches 'Stasi-Kinder' (Foto: Odile Hain)
Ruth Hoffmann, Autorin des Dokumentarbands "Stasi-Kinder"Bild: Odile Hain

Ein einzigartiger Stoff für Literaten

Wellen der DDR-Aufarbeitung hat es in den vergangenen Jahren immer mal wieder gegeben. Besonders an dieser aktuellen sei, so Kritikerin Maike Albath, dass jetzt eine jüngere Generation auf den Plan getreten sei, die die DDR nur als Kinder kennengelernt hat. Und während die Älteren wie Ingo Schulze oder Thomas Brussig sich eher mit Aufarbeitung der eigenen Versehrungen beschäftigt hätten, so versuchten die Jüngeren wie etwa Antje Rávic Strubel, die DDR mentalitätsgeschichtlich aufzuarbeiten.

Was die DDR aber überhaupt für Schriftsteller so interessant mache, sei ihre historische Einzigartigkeit, so Albath: "Dass es zwei politische Systeme gab, die so verschieden waren, fast diametral entgegengesetzt, und dann zu einem neuen Gebilde zusammenfließen. Daran kann man auch historische Brüche und einen Systemwechsel wunderbar erklären, und man kann ihn noch einmal nachvollziehen."

Auch Marion Brasch sieht diese Besonderheit der DDR als Stoff. "Ich finde, dass so eine Geschichte wie die der DDR erzählt werden muss. Und zwar aus verschiedenen Perspektiven – mit allen Facetten, die es gab."

Freuen wir uns auf alle Geschichten, die wir in Zukunft noch zu lesen bekommen!


Daniela Krien: Irgendwann werden wir uns alles erzählen. Roman. Graf Verlag 2011. 243 Seiten; 18 Euro.

Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie. S. Fischer Verlag 2012; 400 Seiten; 19,99 Euro.

Ruth Hoffmann: Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat. Ullstein/Propyläen 2012. 317 Seiten mit Abb. 19,99 Euro;

Julia Franck: Rücken an Rücken. Roman. S. Fischer Verlag 2011. 380 Seiten; 19,95 Euro.

Anna Schädlich, Susanne Schädlich (Hrsg): Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West. Heyne Verlag 2012. 322 Seiten; 19,99 Euro.

Antje Rávic Strubel: Sturz der Tage in die Nacht. S. Fischer Verlag 2011. 342 Seiten; 19,95 Euro.