1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Armut halbiert?

14. März 2012

Alle UN-Länder haben sich dem Ziel der Halbierung der bittersten Armut verpflichtet – bis 2015. Neue Zahlen lassen die Weltbank verkünden: Wir haben es geschafft! Andere sind mit dem Optimismus zurückhaltender.

https://p.dw.com/p/14KVa
Ein Mann verteilt Essen in einem Tempel in Srinagar, Indien (Foro: AP)
Bild: dapd

Mehr als eine Milliarde Menschen leben heute in den ärmsten Entwicklungsländern von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag. Viel zu viele, doch "in 2010 war der globale Armutsanteil, der Anteil der Menschen, die für weniger als 1,25 US-Dollar am Tag leben mussten, nur halb so groß wie 1990", betont Martin Ravallion, Teamleiter bei der Weltbank für die Studie über globale Armut.

1990 ist das Jahr, woran sich die Fortschritte der acht sogenannten Millenniumsziele messen lassen müssen. Reduzierung von Armut, Hunger, Krankheiten und einen verbesserten Zugang zu Bildung,. Gesundheitsvorsorge und  Entwicklung waren die Grundgedanken für den Fahrplan, auf die sich die UN-Mitgliedsländer im Jahr 2000 einigten.

Obdachloser in Maputo - Immer noch fast die Hälfte der Bevölkerung südlich der Sahara lebt in extremer Armut (Foto: I. Miquidade)
Immer noch fast die Hälfte der Bevölkerung südlich der Sahara lebt in extremer ArmutBild: Ismael Miquidade

Die globalen Armutszahlen, die der Weltbank zur Verfügung standen, gehen zwar nur bis 2008 – neuere gibt es bisher nicht – doch mit den bereits eingetroffenen Teilstatistiken wagt Martin Ravallion dennoch die Aussage, dass das erste Millenniumsziel erreicht sei.

Globale Armutsbekämpfung

Das erste Millenniumsentwicklungsziel ist die Halbierung der extremen Armut und Hunger. Als extrem arm werden danach die Menschen bezeichnet, die in den ärmsten Ländern von weniger als umgerechnet 1,25 Dollar am Tag leben müssen.

Seit mehr als 20 Jahren sammelt die Weltbank Daten über die Kaufkraft und Einkommen der Ärmsten, um eine zuverlässige Armutsstatistik zu erstellen. In den Zahlen werden lokale Preise und Währungen berücksichtigt, damit sich die Zahlen der einzelnen Länder in Dollar vergleichen lassen. Das neueste Ergebnis: "Es ist das erste Mal, das wir in alle sechs Regionen der Weltbank eine generelle Reduzierung der extremen Armut sehen", betont Ravallion und hebt hervor, dass zum ersten Mal auch in Afrika südlich der Sahara weniger als die Hälfte der Bevölkerung extrem arm sei.

Vorreiter China

Nicole Rippin ist Expertin für den Bereich Armut beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Sie ist skeptisch, insbesondere was die globale Aussage betrifft und bezieht sich auf die Zahlen vom 2008. "Von den 620 Millionen Menschen, die seit 1990 aus der extremen Armut herausgekommen sind, leben ungefähr 510 Millionen in China", betont sie. Sie spricht deshalb ungern von einem globalen Rückgang der extremen Armut, sondern eher von einem regionalen.

Logo der World Bank (Weltbank): Die Weltbank sieht das erste Milleniumsziel erreicht - die Halbierung der Armut (Foto: dpa)
Die Weltbank sieht das erste Milleniumsziel erreicht - die Halbierung der ArmutBild: picture-alliance/dpa

Das andere Problem sei, so Nicole Rippin, dass im Bericht der Weltbank nur von der statistischen Kaufkraft die Rede sei. Diese Zahl sei nicht unbedingt entscheidend, wenn man über das erste Millenniumsziel spricht: "Das erste Millenniumsziel besteht eigentlich aus drei Teilzielen. Dabei ist die Halbierung der Armut das erste. Das zweite Ziel ist produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle, einschließlich Frauen und junger Menschen. Und das dritte Teilziel ist es,  zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen zu halbieren, die Hunger leiden."

interview Nicole Rippin, DIE - MP3-Mono

Zahlenstreit

Grundsätzlich hinterfragen viele Experten die Armutsdefinition, die hinter der Statistik steckt. Armut lasse sich nicht mit 1,25 Dollar messen und hänge vor allem mit Zugang zu Ernährung, Bildung und Gesundheit zusammen. Wer sich zum Beispiel selbst mit Lebensmitteln versorgen kann, lebt unter Umständen besser mit einem Dollar am Tag als andere, die statistisch gesehen zwar mehr Geld zur Verfügung haben, jedoch wegen der hohen Lebenshaltungskosten trotzdem hungern müssen.

Mit den seit 2008 weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen sei die Zahl der unterernährten Menschen in den vergangenen Jahren noch gestiegen, betont auch Ludger Reuke von der NGO Germanwatch. Es habe zwar statistisch gesehen eine Halbierung der Armut stattgefunden, doch die Zahlen seien bereits überholt, vor allem weil die Finanzkrise ab 2008 noch nicht in der neuen Statistik berücksichtigt sei.

Ziel wieder verloren

"Für 2010 stimmt die Zahl schon nicht mehr, weil die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, bis dahin stark gestiegen ist", kritisiert der Politologe und Anthropologe Reuke die Einschätzung der Weltbank.

Ein Abrissviertel in Peking - China hat in den letzten 20 Jahren große Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut erzielt.(Foto: dpa)
Nicht mehr ganz unten: Über 500 Millionen Chinesen haben statistisch die extreme Armut überwunden.Bild: picture-alliance/dpa

Auch die Weltbank macht in ihrem Bericht klar, dass ihre Daten nicht topaktuell sind, sie sind von 2008. Deshalb stellt auch Martin Ravallion fest: "Auch wenn wir das Millenniumsziel erreichen, wird es immer noch eine Milliarde Menschen geben, die von weniger als 1,25 Dollar am Tag leben müssen. Das ist nicht akzeptabel.“

Autorin: Helle Jeppesen
Redaktion: Mirjam Gehrke