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Vergangenheitsbewältigung per Gesetz?

5. März 2012

In Rumänien sollen hochrangige Funktionäre des Ceauşescu-Regimes von öffentlichen und politischen Ämtern ausgeschlossen werden. Im Hintergrund geht es um innenpolitische Machtspiele, nicht um Vergangenheitsaufarbeitung.

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Eine Menschenmenge umringt im März 1990 in Bukarest eine umgestürzte Lenin-Statue. Nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu am 22. Dezember 1989 herrschten in Rumänien bürgerkriegsähnliche Zustände. Mitglieder der Geheimpolizei Securitate, Schergen des selbsternannten "Conducator" (Führer) Ceausescu, lieferten sich mit der auf der Seite des Volkes kämpfenden Armee erbitterte Kämpfe. Ceausescu und seine Frau wurden auf der Flucht verhaftet und am 25. Dezember 1989 von einem militärischen Sondergericht zum Tode verurteilt und erschossen.
Bild: picture alliance/dpa

Schon der Zeitpunkt wirkte wie eine Farce: Am vergangenen Dienstag (28.02.2012) verabschiedete das rumänische Parlament ein Gesetz. Früheren hochrangigen Funktionären des Ceauşescu-Regimes soll dadurch der Zugang zu öffentlichen und politischen Ämtern fünf Jahre lang versperrt werden - ganze 22 Jahre nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur. Doch das war nur eine von vielen Merkwürdigkeiten.

In die Liste der Personen, für die das Gesetz gilt, waren auch ehemalige Führungsmitglieder des kommunistischen Jugendverbandes UTC aufgenommen worden. Nach der Abstimmung fiel Vertretern der Regierungsmehrheit im Parlament bestürzt auf, dass der seit kaum drei Wochen amtierende rumänische Ministerpräsident Mihai Răzvan Ungureanu als Schüler und Student von 1985 bis 1989 Kandidat des UTC-Zentralkomitees gewesen war und folglich zurücktreten müsste. Hastig wurde das Votum wiederholt, per Eilantrag strichen die Abgeordneten dabei die Kategorie UTC aus dem Gesetz. Der kommunistische Jugendfunktionär von einst darf nun Regierungschef bleiben.

Geschacher um ein Gesetz

Es blieb nicht das einzige Beispiel für unwürdiges Geschachere beim sogenannten Lustrationsgesetz. Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass Ex-Funktionäre und Securitate-Offiziere weder in öffentliche oder politische Ämter ernannt noch gewählt werden dürfen. Letzteres wurde gestrichen. Das Ergebnis: Hohe KP-Funktionäre und Ex-Securitate-Offiziere, die einst Ceauşescu-Gegner verfolgten, können künftig zwar keine Abteilungsleiter in Behörden mehr werden, wohl aber als Parlamentsabgeordnete oder für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren.

Wegen solcher Bestimmungen - aber auch wegen der 22-jährigen Verspätung - reagierten Kommentatoren nach der Abstimmung halb ratlos, halb entsetzt. "Lächerlich und nutzlos" nannte die Bukarester Tageszeitung România liberă das Gesetz, das Blatt Adevărul schrieb: "Nach dem Sturz Ceauşescus haben ehemalige Parteiaktivisten und Securitate-Offiziere die Macht an sich gerissen und Rumänien umgestaltet. Nach 22 Jahren ist daran nichts mehr zu ändern."

Rumäniens Premierminister Mihai-Razvan Ungureanu (Foto: REUTERS)
Damals Mitglied im kommunistischen Jugendverband: Premierminister UngureanuBild: Reuters

Verschleppte Vergangenheitsaufarbeitung

Vor zwei Jahrzehnten war die Forderung nach einer Lustration, also nach einem zeitweiligen Ausschluss von Funktionären der Ceauşescu-Diktatur aus dem politischen Leben, einer der entscheidenden konstituierenden Momente der heutigen rumänischen Zivilgesellschaft gewesen: Im März 1990 wurde die "Proklamation von Temeswar"  verkündet, eines der wichtigsten politischen Manifeste im postkommunistischen Rumänien. Der berühmte "Punkt 8" der Proklamation forderte, ehemalige Parteifunktionäre und Securitate-Offiziere für einen Zeitraum von drei Legislaturperioden von der Ausübung politischer Ämter auszuschließen.

Doch daraus wurde nichts. Weder die zunächst regierenden wendekommunistischen Machthaber um den einstigen Ceauşescu-Zögling Ion Iliescu noch spätere demokratische Machthaber hatten Interesse an einer Lustration. Erst 2005 wurde erstmals ein Entwurf eines Lustrationsgesetzes ins Parlament eingebracht. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis das Gesetz im Mai 2010 verabschiedet wurde. Doch kurz darauf erklärte das Verfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig.

Wahlkampfthema Ceauşescu-Diktatur

Von der jetzt verabschiedeten Version des Gesetzes ist einer der Mitautoren des ursprünglichen Textes, der Historiker Marius Oprea, enttäuscht. Es sei zwar besser als gar nichts, sagt Oprea, "aber es ist natürlich nicht das, was wir wollten." Der 48-Jährige wird in Rumänien als "Jäger der Securitate" apostrophiert. Er dokumentierte zahlreiche Verbrechen des berüchtigten Geheimdienstes und publizierte Listen mit den biografischen Angaben hunderter Securitate-Offiziere. Dass das Lustrationsgesetz gerade jetzt noch einmal verabschiedet wurde, erklärt Oprea mit den aktuellen innenpolitischen Umständen in Rumänien. Im November sind Parlamentswahlen. Im Wahlkampf, so Oprea, könnten sich der Staatspräsident Traian Băsescu und seine regierende Liberaldemokratische Partei zu Kämpfern gegen alte kommunistische Seilschaften stilisieren.

Das Thema wird wohl keine zentrale Rolle im Wahlkampf spielen, aber bedeutsam ist es dennoch. Umfragen zeigen immer wieder, wie tief vor allem die letzten Jahre der Ceauşescu-Diktatur und der Sturz des Tyrannen noch heute das Bewusstsein der Gesellschaft prägen. In einer aktuellen Studie des Institutes CSOP gaben 51 Prozent der Befragten an, Rumänien habe das Erbe des Kommunismus nur in geringem Maße oder gar nicht überwunden. Zwei Drittel der Befragten bemängelten, dass die Ereignisse beim Sturz Ceauşescus noch immer nicht völlig aufgeklärt seien und die Schuldigen für die mehr als tausend Toten vom Dezember 1989 noch nicht bestraft worden seien.

Demonstration in Rumänien aus Anlass der Revolution von 1989 (Foto: dpa)
Demonstration in Rumänien aus Anlass der Revolution von 1989Bild: picture alliance / dpa

Mangelnde Vergangenheitsbewältigung

Zwar steht Rumänien mit der mangelnden Aufarbeitung seiner kommunistischen Vergangenheit im ehemaligen Ostblock keineswegs allein da. Doch angesichts der außergewöhnlichen Brutalität der Ceauşescu-Diktatur ist das für viele besonders schmerzhaft. Die Partei- und Geheimdienst-Elite konnte sich unbeschadet und ohne Rechenschaft abzulegen ins neue System retten. Erst 1999 wurde eine Behörde zur Öffnung der Securitate-Akten gegründet, und es dauerte weitere sechs Jahre, bis sie auch tatsächlich in den Besitz der Akten gelangte. 2006 verurteilte der Staatspräsident Traian Băsescu, einst selbst Angehöriger der Nomenklatura, in einem symbolischen Staatsakt die kommunistische Diktatur, nachdem eine von ihm zuvor berufene Historiker-Kommission eine Art Schwarzbuch des rumänischen Kommunismus erarbeitet hatte. Doch praktische Konsequenzen hatten der Bericht der Kommission und der symbolische Staatsakt kaum. So wird die kommunistische Diktatur etwa als Thema im rumänischen Schulunterricht bis heute selten tiefergehend behandelt.

In diesen zwiespältigen Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung füge sich jetzt auch das Lustrationsgesetz ein, urteilt der aus Rumänien stammende Schriftsteller Richard Wagner. Er war Anfang der 1970er Jahre einer der Mitbegründer des oppositionellen literarischen Zirkels "Aktionsgruppe Banat" in Temeswar. Das Gesetz selbst empfindet Wagner "wie Nippes in der Vitrine". "Was soll das, nach 22 Jahren", fragt sich der Schriftsteller, der heute in Berlin lebt. "Das ist nur gut, um nach außen eine Fassade der Demokratie zu zeigen."

Monica Macovei (Foto: Cristian Ştefănescu / DW)
Die rumänische Europa-Politikerin Monica MacoveiBild: DW/Stefanescu

Lustration als Mittel für Abrechnungen

Etwas milder urteilt man in der rumänischen Behörde CNSAS, die zuständig ist für die Untersuchung der Securitate-Archive . "Das Gesetz ist sehr spät verabschiedet worden", sagt Claudiu Secaşiu, einer der zwölf Direktoren im CNSAS-Leitungsgremium, "aber lieber zu spät als gar nicht." Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird die rumänische Aktenöffnungsbehörde diejenige Instanz sein, die alle Personen überprüft, für die die Lustrationsbestimmungen gelten. Auch die Aktenöffnung habe 1999 mit einem verwässerten Gesetz begonnen, sagt Secaşiu vorsichtig optimistisch, vielleicht komme auch der Lustrationsprozess zunächst schwer, aber dann doch in Gang.

Ein erstes potentielles prominentes Opfer hat das Gesetz jedenfalls schon bevor es überhaupt in Kraft getreten ist: Monica Macovei. Auch das wirkt wie eine Farce. Die 53-jährige Juristin Macovei war vor der Wende Staatsanwältin für Strafrechtsangelegenheiten, in den 1990er Jahren Bürgerrechtsaktivistin, von 2004 bis 2007 Justizministerin und derzeit Abgeordnete des Europaparlamentes. Ihrer Justizreform und ihrem konsequenten Kampf gegen Korruption hatte es Rumänien zum großen Teil zu verdanken, dass der EU-Beitritt des Landes 2007 nicht verschoben wurde.

Monica Macovei ist zwar Mitglied der regierenden Liberaldemokratischen Partei, beim Thema Korruption aber offenbar schwer zu disziplinieren. Erst kürzlich hatte sie zum wiederholten Mal den mitregierenden Verband der ungarischen Minderheit UDMR wegen Korruptionsaffären kritisiert. Daraufhin baute die Regierungsmehrheit auf Initiative des UDMR eine sogenannte "Lex Macovei" in das Lustrationsgesetz ein: Auch ehemalige Staatsanwälte sollen künftig von der Lustration betroffen sein, unabhängig davon, ob sie vor 1989 für politische Repression verantwortlich waren oder nur für Strafrechtsprozesse wie Macovei. Die Juristin kommentiert es gelassen: "Ich war immer für das Lustrationsgesetz. Wenn das jetzt dazu benutzt wird, um mich zum Schweigen zu bringen, kann ich nur sagen: Ich werde nicht schweigen."

Autor: Keno Verseck
Redaktion: Robert Schwartz