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Wulffen und dergleichen

5. März 2012

Schriftsteller Burkhard Spinnen macht sich regelmäßig Gedanken über die deutsche Sprache. Zum Beispiel darüber, wie aus Politikernamen spezielle Tätigkeiten werden.

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Burkhard Spinnen (Foto: picture-alliance/APA/picture-desk.com)
Schriftsteller Burkhard SpinnenBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Um eines grundsätzlich klarzustellen: Die Sprache lebt davon, sich beständig zu erneuern. Worte kommen hinzu, andere verschwinden oder ändern ihre Bedeutung, selbst die Grammatik ändert sich. Das Deutsch der Barockzeit würden wir heute kaum verstehen, und für die Deutschen des 24. Jahrhunderts reden wir Kauderwelsch.

Allerdings verändert sich die Sprache langsam, sehr langsam sogar. Man muss schon fünfzig oder älter werden, um gravierende Veränderungen wahrnehmen zu können. Mag sein, dass jeden Tag Tausende von Neuerungen entstehen, absichtlich oder unabsichtlich, aber kaum eine davon schafft es, sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchzusetzen.

Das Netz multipliziert

Seit Kurzem aber gibt es das Internet. Während eine sprachliche Neuschöpfung früher nur mit großem Glück überhaupt einmal gedruckt und veröffentlicht wurde, schafft sie es heute schnell ins Netz. Potentiell ist heute jeder Mensch Journalist und Herausgeber. Ein Forum, eine Plattform, ein soziales Netzwerk sind schnell gefunden; und überall dort können sich Worte mit einer noch vor 15 Jahren unvorstellbaren Geschwindigkeit ausbreiten und multiplizieren.

schrödern, merkeln, guttenbergen, wulffen

So haben zum Beispiel in den letzten Jahren die Namen prominenter Politiker Karriere gemacht, verwandelt zu Verben, die ein typisches Verhalten bezeichnen sollten. Schrödern für autoritäres Auftreten, merkeln für zögerliches Taktieren, guttenbergen für Abschreiben und neuerdings wulffen für das Hinterlassen von Aufgeregtheiten auf den Anrufbeantwortern anderer Leute.

Ein Jugendlicher telefoniert mit einem Handy und surft gleichzeitig mit dem anderen Handy (Foto: dpa)
Wulfft hier jemand?Bild: picture-alliance/dpa

Nun ja, das ist vielleicht lustig. Jedenfalls wirbelt es heute eine Menge digitalen Staubes auf. Aber die Erfahrung zeigt, dass selbst bei enormer Verbreitung solche Worte schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Gebrauch kommen und vergessen werden. Ja, mehr noch: Sie wirken peinlich, so peinlich wie die Kleidermode vom vorvorletzten Jahr.

Die Sprache wehrt sich

Denn die Sprache mag allen möglichen Unsinn zulassen, in ihrem Kern ist sie doch sehr bedächtig und ernst. Für den Moment gibt sie sich allen Albernheiten hin, aber später, nach dem großen Gelächter, sorgt sie doch nach Kräften dafür, dass nur Bestand hat, was wirklich notwendig ist, damit wir Menschen uns selbst und andere verstehen können.

Das Simsen zum Beispiel, nicht unbedingt ein besonders wohlklingendes Wort, hat die Sprache dauerhaft aufgenommen, weil ein echter Bedarf besteht. Wir schicken nun einmal Millionen SMS pro Tag durch die Welt und brauchen also ein Wort dafür. Kein wirklicher Bedarf besteht allerdings daran, in jedem dritten Satz einen mehr oder weniger faden Politikerwitz unterzubringen. Es mag ja sein, dass wir den Fernseher kaum mehr einschalten zu können, ohne einem sogenannten Comedian zu begegnen. Die Sprache aber wehrt sich noch dagegen, ihren Bestand an Worten um wohlfeile Witzeleien wie das Wulffen dauerhaft zu bereichern.

Und dafür sollten wir ihr dankbar sein.


Autor: Burkhard Spinnen
Redaktion: Gabriela Schaaf


Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises.