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Literatur Krisenzeiten

21. Februar 2012

Was machen Literaten in unsicheren Krisenzeiten? Steht ihnen noch eine Rolle in der Öffentlichkeit zu? Wie werden sie wahrgenommen? Drei Autoren aus drei verschiedenen südosteuropäischen Ländern geben Antworten darauf.

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Hand einer Statue mit Buch (Foto: BilderBox.com)
Das geschriebene Wort - wieviel ist es Wert in der Krise?Bild: bilderbox

"Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Werte fast ein Verbrechen ist?" - fragte der griechische Starautor Petros Markaris vor einigen Monaten bei einem Vortrag in Berlin. In Anlehnung an Berthold Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen". Markaris' Antwort darauf war, dass es "finstere Zeiten sind, in denen nur noch Wertpapiere Werte haben".

Doch es gibt auch andere "Papierformate", die sich gerade in solch schwierigen Zeiten als wertvoll erweisen könnten: Bücher beispielsweise, betonte Markaris am vergangenen Samstag (18.02.2012) in München auf einer Podiumsdiskussion der Südosteuropa-Gesellschaft und des Netzwerkes TRADUKI. Der beliebte griechische Schriftsteller und "Faust"-Übersetzer tauschte sich mit zwei weiteren Kollegen aus dem krisengeschüttelten Südosteuropa aus: dem ungarischen Publizisten György Dalos und der albanischen Schriftstellerin Lindita Arapi.

Vom Vorreiter für die EU-Integration hin zur Balkan-Identität

Markaris selber reagierte schon früh literarisch auf die Krise in Griechenland. 2010 griff er die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft in der neuesten Folge seiner Krimireihe mit dem Athener Kommissar Kostas Charitos auf. In dem Roman "Faule Kredite", der im letzten Jahr beim Diogenes Verlag auf Deutsch erschienen ist, beschreibt er lebensnah den schwierigen Alltag der Griechen.

Petros Markaris (Foto: Panagiotis Kouparanis)
Petros MarkarisBild: DW

Der 1937 in Istanbul geborene Markaris kennt die verschiedenen Etappen seines Landes. Er beklagt, dass angesichts der aktuellen Berichterstattung über Sparpakete und Kredithilfen die ursprüngliche Idee der Europäischen Union, eine Wertegemeinschaft zu schaffen, untergeht: "Wir haben eine gemeinsame Währung, aber wir vergessen dabei die gemeinsamen Werte."

Haben sich die Griechen bisher, unter Berufung auf ihr antikes Erbe, als Vorreiter für die EU-Integration des Balkans verstanden, so flüchteten sie jetzt angesichts des Reformdrucks aus Europa in ihre zweite Identität des Balkan-Landes und sehen sich als Opfer Europas, so Markaris.

Symbolbild Griechenland (Grafik: DW)
Die Griechen kehren zu ihrer "Balkan-Identität" zurück, meint Markaris

Diese Abkoppelungstendenz gegenüber dem Norden erlebt Markaris, dessen Werke in viele Sprachen übersetzt wurden, auch in jenen Ländern Südeuropas, in denen die Krise die griechische Dimension noch nicht erreicht hat. Der Schriftsteller sieht die Intellektuellen in der Pflicht, mäßigend auf öffentliche Debatten einzuwirken und Gräben zu überwinden. Ansonsten, so mahnt er "werden wir am Ende zwar die Krise überwinden, aber so weit auseinander sein, dass wir nicht mehr zueinander finden können".

Hasserfüllte Kulturszene Ungarns

Projiziert man im Süden die Feindbilder im Norden, so sucht man sie in Ungarn eher in den eigenen Reihen. "Die Kultur war in Ungarn immer informell und ist seit 1990 immer weniger institutionalisiert. Ungarn ist klein, die Intellektuellen kennen sich persönlich und jetzt hassen sie sich auch persönlich", sagt György Dalos.

Der Hass lasse aber kaum Raum für lagerübergreifende Stimmen oder konstruktive Kritik zu, diese werden von der politischen Spaltung aufgezehrt. Nur zwei Arten von Haltungen überlebten am Ende den Kampf, sagt der in Berlin lebende Publizist: "linker Zynismus" und "rechte Scheinheiligkeit".

Der ehemalige Dissident ist selbst ein aktiver Kritiker der national betonten Politik der derzeitigen rechtskonservativen Regierung in Ungarn und wird somit automatisch als Vertreter der linken Opposition stigmatisiert, in manchem Blog wird er sogar beiläufig und verhöhnend auf seine jüdischen Wurzeln hingewiesen.

Doch trotz der finsteren Zeiten für die Kultur in Ungarn ist der Träger des Leipziger Buchpreises 2010 nicht allzu pessimistisch. Dalos erinnert an die jüngste Geschichte Ungarns und verweist auf eine Eigenschaft seines Landes, nämlich die "von den eigenen Überzeugungen zärtlich Abschied zu nehmen". Für den Schriftsteller ist es nur eine Frage der Zeit, bis man sich wieder auf die europäischen Werte besinnt. In Ungarn heiße es dann auch: Wir haben den Kommunismus überlebt, die Marktwirtschaft überlebt, also werden wir auch diese Phase überleben.

György Dalos (Foto: dpa)
György Dalos kritisiert aktiv die ungarische FührungriegeBild: picture-alliance/dpa

Reflexion über die Vergangenheit

Anders als in diesen beiden EU-Ländern identifizieren sich die Menschen in Albanien immer noch sehr stark mit Europa. Zwar wird die Zustimmung für den EU-Beitritt des Landes immer geringer, je näher das Land an die EU heranrückt, sie ist aber nach jüngsten Umfragen mit 85 Prozent noch immer verhältnismäßig hoch.

Ähnlich wie in Ungarn haben auch albanische Kulturschaffende Probleme damit, sich unabhängig von politischen Lagern zu organisieren. "Wer sich um Unparteilichkeit bemüht, wird von allen Seiten attackiert und steht ganz alleine da", klagt Lindita Arapi. Als Paradebeispiel dafür nennt die in Bonn lebende Schriftstellerin den ehemaligen Dissidenten und heutigen Publizisten Fatos Lubonja.

Die anderen resignierten nach einer gewissen Zeit und würden von den politischen Lagern absorbiert. In Albanien müsse man sich entweder der demokratischen Regierungspartei oder der sozialistischen Opposition zugehörig fühlen, um ernst genommen zu werden, sagt die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Journalistin. "Das ist ein Überbleibsel der Diktatur. Die Intellektuellen suchen immer noch die Nähe zur politischen Macht. Dass sie sich dabei zum Diener der Macht machen, wollen sie nicht wahrnehmen", erklärt Arapi.

Viele Literaten entziehen sich deshalb der öffentlichen Debatte über die aktuelle Lage in Albanien und behandeln in ihren Werken eher Themen aus der Vergangenheit. Aber auch das Publikum scheint des ewigen Gezänks zwischen den politischen Lagern überdrüssig zu sein und greift eher zu Memoiren und Geschichtsbüchern, in der die kommunistische Vergangenheit Albaniens aufgearbeitet wird. Auf der letzten Buchmesse in Tirana waren solche Bücher echte Verkaufsschlager.

Lindita Arapi
Lindita Arapi: schwere Zeiten für die Schriftsteller in AlbanienBild: DW

Auch Arapis Roman "Schlüsselmädchen", für den sie 2011 in Albanien zur Schriftstellerin des Jahres gekürt wurde, beschäftigt sich mit der Vergangenheit. Aus der Perspektive dreier Frauengenerationen setzt sie sich mit der Geschichte Albaniens des 20. Jahrhunderts auseinander. Durch die Erzählung kleiner Alltagsgeschichten reflektiert sie die Diktatur, die im damaligen kommunistischen und patriarchalischen Albanien herrschte. Innerhalb der von Männern dominierten Literaturszene setzt Arapi als eine der wenigen Schriftstellerinnen dabei eigene Akzente: "In diesen lauten Zeiten können leise Töne besonders viel bewirken."

Autorin: Anila Shuka

Redaktion: Marina Martinović