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Entführt, verschleppt - deutsch?

30. Januar 2012

Ein Ingenieur in Nigeria, zwei Touristen in Äthiopien, ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe in Pakistan: Alle sind deutsche Staatsbürger, die im Januar im Ausland entführt wurden. Ein Blick auf deutsche Entführungs-Fälle.

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Im Lagezentrum des Krisenstabs des Auswärtigen Amtes (Foto: dpa)
Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes vermittelt bei EntführungenBild: picture-alliance/dpa

Mit dem Schicksal ist es so eine Sache: Es hat manchmal einen Hang zur Ironie. Vielleicht hatte Jürgen Chrobog aber auch einfach nur Pech. Als der deutsche Diplomat und seine Familie 2005 im Ostjemen verschleppt werden, ist er gerade ein halbes Jahr pensioniert: Zuvor hatte er zwei Jahre lang im Auswärtigen Amt den Krisenstab für Entführungen von Deutschen im Ausland geleitet. Jetzt traf es also ausgerechnet Chrobog, den Profi, den hauptberuflichen Geisel-Befreier.

"Wir waren in zwei Geländewagen unterwegs. Plötzlich bremste vor uns ein Pick-up, dann kamen von mehreren Seiten andere Wagen angeschossen, die Menschen sprangen ab und schossen in die Luft", erzählte Chrobog damals im Interview mit der Deutschen Welle. Doch letztlich hatten die Chrobogs Glück und gute Kontakte: Die Entführer behandelten sie freundlich und fürsorglich. Nach nur drei Tagen kam die Familie frei.

Die Befreiung kann Jahre dauern

Deutsche werden immer wieder Ziel von Entführungen. Teils verlaufen sie glimpflich, teils halten sie Krisenstäbe und Bevölkerung monatelang in Atem. Schon in den 1980er Jahren machten zwei Entführungen deutscher Staatsbürger im Libanon Schlagzeilen.

Rudolf Cordes nach seiner Freilassung (Foto: dpa)
Manager Rudolf Cordes saß 605 Tage in GeiselhaftBild: picture-alliance/dpa

Im Januar 1987 werden der Hoechst-Manager Rudolf Cordes und der Siemens-Techniker Alfred Schmidt von der Hisbollah entführt. Die Milizen wollen einen in Deutschland inhaftierten Libanesen freipressen - erfolglos. Schmidt kommt im September frei; Cordes bleibt ganze 605 Tage in Geiselhaft. Noch länger dauert die Entführung von Heinrich Strübig und Thomas Kemptner: Sie sind als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation im Libanon tätig, als sie 1989 entführt werden. Erst 1992 - nach 1127 Tagen - können sie nach Deutschland zurückkehren.

Entführer empfangen Medienvertreter

Im Jahr 2000 wird die deutsche Familie Wallert während ihres Osterurlaubs in Malaysia gemeinsam mit anderen Touristen verschleppt: Die Entführer der philippinischen Rebellengruppe Abu Sayyaf bringen sie auf die Philippinen-Insel Jolo. Die Besonderheit: Mehrfach kommen Medienvertreter ins Dschungelversteck, filmen leidende Geiseln, interviewen die Entführer. Nach ihrer Freilassung Monate später sind die Wallerts eine der bekanntesten Familien der Republik.

Ähnlich wie Susanne Osthoff: Sie war die erste im Irak verschleppte Deutsche. Nach knapp einem Monat kommt sie im Dezember 2005 wieder frei. Nur wenige Wochen später werden zwei deutsche Ingenieure ebenfalls im Irak entführt: René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind 14 Wochen in Geiselhaft. Und schon ein Jahr später, im Februar 2007, werden Hannelore Krause und ihr Sohn Sinan in Bagdad verschleppt. Die Kidnapper lassen die Mutter schließlich laufen. Das Schicksal von Sinan ist bis heute ungeklärt. Es ist inzwischen die längste Geiselnahme eines Deutschen.

Zahl der Entführungen Deutscher steigt an

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Entführungen deutscher Staatsbürger im Ausland gestiegen: Sind für die 1990er Jahre insgesamt nur vier größere Fälle verzeichnet, melden Chronisten im Jahr 2007 mindestens fünf Entführungen, in 2008 sogar sieben. Und allein im Januar dieses Jahres gibt es schon drei Fälle: ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe in Pakistan - zusammen mit einem italienischen Kollegen, eine Touristengruppe in Äthiopien und ein Ingenieur in Nigeria. Wie viele Deutsche aktuell in den Händen von Entführern sind, lässt sich nicht genau sagen.

Mahnwache für die entführte Archäologin Susanne Osthoff (Foto: AP)
Mahnwache für Susanne OsthoffBild: AP

Sind die Deutschen besonders leichtsinnig? Chrobog etwa, der es hätte wissen müssen, wurde genau das vorgeworfen. Doch er wies alle Vorwürfe zurück: Es hätte keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gegeben, seine Frau - Tochter des ägyptischen Schriftstellers Youssef Gohar - spricht Arabisch, Programm und Route waren von staatlichen Stellen vorbereitet worden. Und: "Es war nicht zu erwarten, dass es Entführungen im Jemen gab; die Zeit war eigentlich vorbei", sagte er kurz nach seiner Freilassung im Gespräch mit der Deutschen Welle. Aktuell warnt das Auswärtige Amt vor Reisen in 19 Länder, darunter Nigeria, Syrien und der Irak. Doch ausschließen lassen sich Entführungen nach Ansicht von Sicherheitsexperten auch in anderen Ländern nicht.

Denn die Gründe für Geiselnahmen sind vielfältig: Im Fall Chrobog dienten die Geiseln als Faustpfand, um eine Stammesfehde innerhalb des Jemen zu lösen. Für die Wallerts wollten ihre Kidnapper vor allem Lösegeld. Bei den Entführungen im Libanon ging es darum, Leistungen von der Bundesregierung zu erpressen - ähnlich wie im Irak. Die Bundesregierung solle die Zusammenarbeit mit den irakischen Behörden beenden, hieß es im Fall Osthoff; die Entführer der Krauses forderten den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

"Wir lassen uns nicht erpressen"

Darf, muss oder sollte eine Regierung solchen Forderungen nachgeben? Als Osthoff 2005 entführt wurde, war Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade wenige Wochen im Amt. In ihrer ersten Regierungserklärung stellte sie klar: "Diese Bundesregierung - und ich denke auch dieses Parlament - wir lassen uns nicht erpressen." Als sich dann die Entführungen deutscher Staatsbürger im Ausland mehrten, erklärte 2007 der damalige Regierungssprecher Thomas Steg: "Es gilt unverändert, dass der deutsche Staat nicht erpressbar ist."

Jürgen Chrobog, rechts, und seine Familie geben nach ihrer Rückkehr eine Pressekonferenz (Foto: AP)
Sicher heimgekehrt: Diplomat Chrobog (rechts) mit FamilieBild: AP

Der deutsche Staat will keine "Rundumversicherung" sein, wie Jürgen Chrobog es einmal nannte. Zugleich ist er aber verpflichtet, das menschliche Leben zu schützen - und Geiseln nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Deshalb zahlt die Regierung wohl doch Lösegeld, verdeckt oder über Umwege, ohne dabei direkte Forderungen der Geiselnehmer zu erfüllen. Schätzungen zufolge sollen es rund zwei Millionen Euro pro Person sein. Die US-Regierung zahlt angeblich ähnlich viel, die britische wohl weniger. Offiziell bestätigt wurde das jedoch nie - von keiner Regierung.

Autorin: Monika Griebeler
Redaktion: Julia Elvers-Guyot

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