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Podiumsdiskussion beim Beethovenfest

26. September 2011

Zensur, Rassismus, Antisemitismus – dem sehen sich Künstler und Intellektuelle in Ungarn ausgesetzt. Darum ging es in einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Beethovenfestes, mitveranstaltet von der Deutschen Welle.

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Alle Fotos habe ich gemacht am 18.09.2011 in Bonn und stelle ich der DW kostenfrei zur Verfügung, Zoran Arbutina. Bildbeschreibung: Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Ungarn - wohin?" (von l. nach r.: Journalist Michael Kluth, Publizist Peter Spary, Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky, Journalist Robert Schwartz, Publizist Paul Lendvai, Dirigent Ivan Fischer, Romani Rose) Stichworte: Ungarn, Beethovenfest, Fischer
Beethovenfest Ungarn - wohin?Bild: DW

"Wir freiheitsliebenden Künstler beobachten mit größter Sorge, in welchem Ausmaß Ausgrenzung, Aggression gegen Minderheiten und Intoleranz heute in Ungarn und in Europa auf dem Vormarsch sind." So beginnt der im Januar 2011 veröffentlichte Aufruf einiger der führenden ungarischen Künstler und Intellektuellen - darunter der Pianist Andras Schiff und der Dirigent Adam Fischer.

Viktor Orban
An seiner Politik spalten sich die Geister - ungarischer Premier Viktor OrbanBild: AP

Die Petition, die von den Autoren in Brüssel vorgestellt wurde, sorgte für Aufsehen nicht nur in Ungarn, sondern europaweit. In der Kritik stehen vor allem der ungarische Premier Viktor Orban und seine Fidesz-Partei. Seit dem Amtsantritt im Mai 2010 untergräbt Orban nach Meinung der Kritiker ständig demokratische Prinzipien und schürt Homophobie, Antisemitismus und Rassismus gegen die Roma in dem EU-Land. Auch die Künstler bleiben von staatlicher Einmischung nicht unberührt, "die Freiheit der Medien, der Kunst und der Kulturschaffenden wird immer stärker eingeschränkt", stellen die Verfasser der Petition fest.

Die Verantwortung des Künstlers

Der Dirigent Ivan Fischer, Musikdirektor des Budapest Festival Orchestra und Bruder des Dirigenten Adam Fischer, sieht den Grund für diese Entwicklung in den National-Träumereien, die zurzeit in Ungarn Hochkonjunktur haben. In den Träumen von unrealistischen Zielen werde die Wirklichkeit vergessen. Gerade hier sei die Rolle der Künstler wichtig, weil sie der Wahrheit verpflichtet seien, betont Ivan Fischer.

Auch die in Budapest geborene und heute in Fulda lehrende Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky betont die Gefahr, die in Ungarn gegenwärtig von der  "Droge Nationalismus" ausgehe. Ein "Glaube an die Nation, an das Volkstum, an die Volksgemeinschaft" beherrsche heutzutage in Ungarn den öffentlichen Diskurs, sagt sie, ein von ganz oben geförderter "ethnische Kulturnationalismus".

Suche nach Ursachen

Der österreichische Publizist Paul Lendvai, selbst auch in Budapest geboren, glaubt, dass die Ursache für den politischen Rechtsruck und den herrschenden Nationalismus in Ungarn vor allem in der Enttäuschung der Menschen über den ausbleibenden Wohlstand nach der Wende zu suchen sei. Man habe mehr erwartet, und als das erträumte Paradies ausblieb, hätten die Demagogen leichtes Spiel gehabt.

 

Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Ungarn - wohin?" (von l. nach r.:Journalist Robert Schwartz, Publizist Paul Lendvai, Dirigent Ivan Fischer, Romani Rose und Janos Can Togay)
Kontroverse Diskussion in Bonn - Paul Lendvai, Ivan Fischer, Romani Rose und Janos Can TogayBild: DW

Auch der deutsche Fernsehjournalist Michael Kluth, der das Land regelmäßig bereist und mehrere Dokumentarfilme über Ungarn verfasst hat, warnt vor den autoritären Tendenzen in der jetzigen ungarischen Gesellschaft. Das neulich verabschiedete Pressegesetz führe faktisch die Zensur in die ungarische Medienlandschaft ein und beschneide die freie Meinungsäußerung. Medien im Lande würden gleichgeschaltet, sagt Kluth.

Rassismus gegen die Roma

Eine der Folgen der Stärkung der ethnisch definierten Volksgemeinschaft der "Magyaren" sei die Ausgrenzung derjenigen, die angeblich nicht dazu gehörten – und in Ungarn seien das überwiegend die Angehörigen der Roma-Minderheit. Sie seien besonders von den rassistischen Tendenzen im Land betroffen, warnt Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Die rechtsradikale Partei Jobbik, die offen eine romafeindliche Politik vertritt, hat bei den letzten Wahlen 17 Prozent der Stimmen bekommen - Schikane und Übergriffe auf die Roma und Sinti seien heute an der Tagesordnung in Ungarn, sagt Rose.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Roma in DeutschlandBild: DW

Dabei seien die Roma untrennbar mit der ungarischen Kultur und Identität verbunden – zahlreiche Kompositionen von Johannes Brahms oder Franz Liszt zeugen davon, betont Ivan Fischer, der auch Chefdirigent beim National Symphony Orchestra in Washington ist.

Ungarn – alles normal?

Anders bewertet Peter Spary, Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, die Situation in Ungarn. Er betont, dass die Ungarn im Mai 2010 frei und demokratisch gewählt und bewusst dem Ministerpräsidenten Viktor Orban eine Zwei-Drittel Mehrheit im Parlament beschert haben. Es sei eine Reaktion auf die vorherige sozialistische Regierung gewesen, die in einem Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft verkommen sei. Insoweit, unterstreicht Spary, sei die Wahl Orbans eine "Rückkehr zur Vernunft."

Auch Janos Can Togay, Direktor des Collegium Hungaricum in Berlin betont, dass Ungarn ein demokratisches Land und ein Rechtsstaat, die Ungarn ein mündiges Volk seien. Es sei vielleicht nicht alles ideal im Lande, sagt Togay, aber er meint: "Demokratie ist ein Lernprozess, eine Dynamik." Man sollte nicht vergessen, dass es eine demokratische Wende in Ungarn erst seit 1989 gebe, nach jahrzehntelanger kommunistischer Diktatur. "Die demokratischen Traditionen in Ungarn waren nie lupenrein, und seit 1989 lernt und versucht Ungarn mit der Demokratie umzugehen", ergänzt Togay. Gerade da spiele die Kultur eine große Rolle, denn sie schaffe Freiräume und öffne Horizonte.

Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Ungarn - wohin?" (von l. nach r.: Michael Kluth, Peter Spary, Magdalena Marsovszky, Robert Schwartz, Paul Lendvai, Ivan Fischer, Romani Rose)
Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Ungarn - wohin?" (von l. nach r.: Michael Kluth, Peter Spary, Magdalena Marsovszky, Robert Schwartz, Paul Lendvai, Ivan Fischer, Romani Rose)Bild: DW

Die Spielregeln der Kunst

Für den Dirigenten Ivan Fischer besteht genau darin die Hauptaufgabe der Kunst und der Künstler: gegen die Gleichschaltung zu arbeiten. "Ein Künstler darf nie opportunistisch werden, denn dann hat er seine Glaubwürdigkeit nicht mehr", so Fischer. Der Künstler müsse kritisieren, das sei seine Hauptaufgabe, aber "der Politiker muss Kritik ertragen können."

Denn "Politiker, die Kritik nicht ertragen können, sind die gefährlich, weil sie so voll sind von ihren eigenen Ideen, dass sie lieber die Kritik zum Verstummen bringen möchten." Seine Schlussfolgerung: "Man muss diese Spielregeln beibehalten: Kunst kritisiert – Politiker müssen das ertragen", sagt der weltweit erfolgreiche Dirigent aus Budapest.

Autor: Zoran Arbutina

Redaktion: Hanna Grimm