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Geschichtsunterricht multikulturell

17. Juni 2011

In Deutschland haben 44 Prozent der unter fünfjährigen Kinder einen Migrationshintergrund. Deshalb wird es immer wichtiger, den Geschichtsunterricht neu zu gestalten.

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Unterricht türkische Schülerinnen mit Kopftuch im Schulzentrum in Bremen. (Foto: ap)
Unterricht in einer Interkulturellen SchuleBild: AP

Integration durch Bildung ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Neben Fächern wie Religion und Ethik kommt dabei dem Geschichtsunterricht eine wesentliche Bedeutung zu. Die Herbert-Quandt-Stiftung engagiert sich schon lange für den "Trialog der Kulturen" zwischen Judentum, Christentum und Islam. Gemeinsam mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands und der Bundeszentrale für politische Bildung hat sie nun einen neuen Band mit dem Titel "Kulturkonflikte - Kulturbegegnungen" herausgegeben. Dadurch sollen Geschichtslehrern neue Impulse für künftigen Geschichtsunterricht bekommen.

Lehrerin vor Grundschulklasse
Lehrerin vor KlasseBild: Bilderbox

"Die Initiatoren des Projekts haben mit der Publikation Neuland betreten", sagt Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die interkulturelle Geschichte sei in Deutschland immer noch ein eher 'unbestelltes Feld'. Und dies obwohl heute laut statistischem Bundesamt knapp 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben.

Respekt vor anderen Kulturen

Der Geschichtsunterricht in Deutschland behandelt wie auch in vielen anderen Ländern hauptsächlich die Geschichte des eigenen Landes. Andere Länder tauchen meist nur im Kontext mit der Nationalgeschichte auf. Doch aufgrund seiner Beschäftigung mit der Vergangenheit hat der Geschichtsunterricht auch immer mit fremden Kulturen zu tun. Zur Auseinandersetzung mit historischen Auffassungen und Phänomenen kommt nach Ansicht des Vorsitzenden des Verbandes der Geschichtslehrer in Deutschland, Peter Lautzas, auch die Bewusstmachung der eigenen kulturellen Identität hinzu: "Wobei es bei dem Bemühen um Verständigung nicht nur um Toleranz gehen sollte, sondern um den Respekt vor anderen Lebensweisen und anderen Religionen."

Gemeinsamkeiten der Weltreligionen erörtern

Die Regenbogen-Grundschule in Berlin-Neukölln, einem Stadtbezirk, in dem die Mehrheit der Schüler nicht-deutscher Herkunft ist, beteiligt sich seit mehreren Jahren am Wettbewerb zum "Trialog der Kulturen" der Herbert-Quandt-Stiftung.

Christliche und muslimische Kinder an der Schule erfahren im Religionsunterricht das Verbindende und Gemeinsame der beiden Glaubensrichtungen. Viele muslimische Kinder hatten vorher noch nie Kontakt zu Christen.

Auch an der Emil-Fischer-Schule in Berlin-Wittenau gehören die Schüler verschiedenen Religionen an. Jüdische, christliche und muslimische Jugendliche, aber auch Atheisten lernen hier gemeinsam. Ohne gegenseitigen Respekt und Akzeptanz des Anderen könnte die Schule nicht erfolgreich sein.

Nach Auffassung von Roland Löffler von der Herbert-Quandt-Stiftung ist das Fach "Geschichte" auch deshalb wichtig, weil junge Menschen lernen, sich über ihre Vergangenheit zu verständigen. Das habe eine identitätsprägende Wirkung. Leider seien in Geschichtsbüchern noch relativ oft einseitige Bilder zu finden: "Das Judentum wird häufig aus der Konfliktperspektive wahrgenommen - sei es Antisemitismus, sei es der Holocaust, der Nahostkonflikt. Das Christentum ist zumeist eine mittelalterliche Religion und wird nicht in der Ausdifferenzierung Ost- und Westkirche, Katholizismus, Protestantismus, freie Kirchen dargestellt. Und der Islam wird ebenfalls aus einer konfrontativen Perspektive dargestellt - die Ausbreitung des Islam, die Türken vor Wien und natürlich auch wieder der Nahostkonflikt", sagt Religionstheologe Roland Löffler.

Europäisches Geschichtsbewusstsein zu einseitig?

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi sowie der Vorsitzende der Innenminister-Konferenz und NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU,l), geben am Montag (17.05.2010) eine Pressekonferenz zur zweiten Deutschen Islamkonferenz in Berlin. Die Islamkonferenz war 2006 vom damaligen Innenminister Schäuble ins Leben gerufen worden, um die Integration der in Deutschland lebenden Muslime zu verbessern. Themen sollen unter anderem der islamische Religionsunterricht sowie die Grenze zwischen dem willkommenen Islam und dem gewalttätigen Islamismus sein. Foto: Hannibal dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++
Hamideh MohagheghiBild: picture-alliance/dpa

Die Juristin und islamische Theologin Hamideh Mohagheghi, die auch Mitglied der Deutschen Islamkonferenz ist, steht dem europäischen Geschichtsbewusstsein kritisch gegenüber. In Anspielung auf die jahrhundertelange muslimische Herrschaft in Andalusien, die auch erheblichen Einfluss auf die intellektuelle Entwicklung des mittelalterlichen Europas hatte, sei ihre Wahrnehmung: "Das Bewusstsein für die Geschichte Europas blendet 800 Jahre Zusammenleben aus. Dass da auch wirklich positive Beispiele waren, was Juden, Christen, Muslime zusammen für die Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft für diese Zeit gemacht haben." Das komme im Geschichtsbewusstsein Europas jedoch kaum vor, bemängelt Hamideh Mohagheghi.

Die entscheidende Frage sei letztlich, wie Geschichte vermittelt werde, findet Mohagheghi: "Das ist auch für das Selbstbewusstsein der muslimischen Schüler gut, wenn sie wissen 'Aufklärung in Europa war wunderbar, toll. Aber ohne griechische Philosophie hätte diese Aufklärung nicht stattgefunden'." Es dürfe nicht versäumt werden, so die islamische Theologin, darauf hinzuweisen, dass die Muslime auch Anteil daran hatten, diese Philosophie nach Europa zu bringen - in einer Zeit als die Kirchen gegen die Wissenschaft waren.

Ein neues "Wir" formulieren

Studiendirektor Joachim Cornelißen, der viele Jahre an einem Düsseldorfer Gymnasium unterrichtet hat, geht davon aus, dass man als Historiker im Geschichtsunterricht ein bestimmtes Grundwissen vermitteln muss, was die drei abrahamitischen Religionen angeht.

Die drei monotheistischen Religionen als Wurzeln Europas aus Begegnungen und gemeinsamer Geschichte neu auszutarieren, hält Religionshistorikerin Gerdien Jonker vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig für unumgänglich: "Die Gemeinsamkeit der drei monotheistischen Religionen zu untersuchen, bedeutet, alte Grenzen niederzureißen, die in Geschichtsstrukturen eingegangen sind. Gemeinsamkeit zu betonen, heißt auch, einen neuen europäischen Fokus zu formulieren, ein neues 'Wir' zu formulieren."

Autorin: Sabine Ripperger
Redaktion: Christina Beyert