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Drost: "Ein Verbrechen an der Menschlichkeit"

Christian Ignatzi4. August 2013

Israels Wirtschaft ist auf palästinensische Arbeiter angewiesen. Trotzdem werden sie von der israelischen Regierung schikaniert. Ekkehart Drost berichtet im DW-Gespräch von seinen Erfahrungen.

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Portrait Ekkehart Drost (Foto: Privat)
Bild: Privat

Deutsche Welle: Herr Drost, Sie waren von Februar bis Mai 2013 für Pax Christi in Israel. Was haben Sie dort gesehen?

Ekkehart Drost: Ich stand zweimal pro Woche mit anderen Freiwilligen an einem Checkpoint in Qalkilia im Nordwesten des Westjordanlands und habe die Zahl der palästinensischen Arbeiter gezählt, die mit einer Genehmigung nach Israel gingen. Jeden Morgen stehen etwa 3000 bis 4000 palästinensische Arbeiter allein an diesem Checkpoint und warten auf Einlass. Von vier bis sechs Uhr morgens dürfen die Arbeiter passieren. Sie werden oft unruhig, weil sie auf jeden Fall um sieben Uhr auf der israelischen Seite sein wollen. Sie klettern dann über andere Arbeiter hinweg. Da hat es schon fürchterliche Szenen gegeben, wo Menschen auf den Boden gedrückt wurden und andere über sie hinweg getrampelt sind.

Wie viele Palästinenser haben eine Arbeitserlaubnis in Israel?

Man spricht von offiziell 47.000 palästinensischen Arbeitern im Kernland Israel. Das heißt aber noch lange nicht, dass man dadurch einen Freifahrtschein für eine Genehmigung hat. Sie kann aus unterschiedlichen Gründen wieder entzogen werden, und der Grund wird nicht mitgeteilt.

In welchen Branchen sucht Israel palästinensische Arbeitskräfte?

Vor allem in der Bauindustrie und in der Landwirtschaft. Viele Arbeiter haben natürlich entsprechend aussehende Hände. Beim Durchgang durch das Checkpoint-Terminal werden auch die Fingerabdrücke genommen. Wir haben erlebt, dass Arbeiter wieder zurückgeschickt worden sind, weil ihr Fingerabdruck nicht mehr erkennbar war. Weil die Haut durch diese jahrelange, manchmal jahrzehntelange Tätigkeit auf dem Bau und in der Landwirtschaft abgewetzt war.

Was kostet es ein israelisches Unternehmen, einen Palästinenser einzustellen?

Ein israelischer Arbeitgeber muss sich bei einer Arbeitsvermittlung melden und im Monat ungefähr 1500 Schekel bezahlen. Das sind circa 300 Euro. Das ist für die Vermittlungsgebühr, Sozialabgaben und ähnliches.

Wie viel verdient ein Palästinenser in Israel?

Etwa 120 bis 150 Schekel pro Tag. Das sind rund 30 Euro. Ich habe mit palästinensischen Arbeitern gesprochen, die sagten, sie dürfen keine Verpflegung mit nach Israel nehmen. Sie müssen alles dort kaufen. Da geht schon einmal ein Teil ihres Lohnes für solche Ausgaben drauf. Zum Teil müssen sie von dem Geld auch die Anreise bezahlen. Und manchmal müssen sie, das haben wir jedenfalls gehört, von der monatlichen Gebühr an die Arbeitsvermittlung von 1500 Schekel einen Teil selber bezahlen.

Wie viel verdient im Vergleich dazu ein israelischer Arbeiter?

Ein israelischer Arbeitnehmer verdient ungefähr das Doppelte.

Und was ist mit illegal arbeitenden Palästinensern?

Sie bekommen ein Viertel des Lohns, den ein Israeli bekommt. Die Illegalen, das heißt, diejenigen, die keine Genehmigung bekommen haben, kriechen dann durch Löcher, die in den Zaun geschnitten sind. Auf der anderen Seite wartet dann der israelische Arbeitgeber. In der Regel sind das Arbeitgeber aus Siedlungen, die diese sehr billigen Arbeitskräfte mitnehmen. Sie sparen sich dann auch die 1500 Schekel, die ein legaler Arbeitgeber an die Arbeitsvermittlung bezahlen muss. In Azzun Atma, einem kleinen Ort, ist ein Checkpoint, durch den Arbeiter durchgehen und in einer Siedlung Arbeit finden. Diejenigen, die keine Genehmigung haben, krabbeln auch durch ein Loch im Zaun, das nur etwa 150 Meter von diesem Checkpoint entfernt ist.

Vor dem Hintergrund der Friedensgespräche, die im Moment stattfinden: Was sind Ihre Forderungen angesichts der Situation der palästinensischen Arbeiter?

Ich kann mich da allen Friedensfreunden und langjährigen Friedenskämpfern nur anschließen: Die Besatzung der Palästinensergebiete durch Israel muss beendet werden. Das ist das A und O. Alles andere, was mit den Siedlungen passiert, und ob es eine Ein- oder Zweistaatenregelung geben wird, das steht noch in den Sternen. Aber als erstes muss die Besatzung beendet werden. Es ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit, was man da sieht.

Ekkehart Drost arbeitete sechs Monate in der Stadt Jayyous im Westjordanland für Pax Christi, eine katholische Organisation, die sich weltweit für Frieden einsetzt und die Palästinapolitik Israels scharf kritisiert. Die Organisation engagiert sich auch in der Free-Gaza-Bewegung. Drost ist pensionierter Lehrer und lebt heute in Göttingen.