1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Drei Farben: Weiß

22. Dezember 2009

Die "Farbe" Weiß als Metapher der Gleicheit - Krzysztof Kieślowskis Abschluß seiner Farben-Trilogie ist ein geheimnisvolles Vexierspiel. Für Interpretationen wird dem Zuschauer viel Raum gelassen.

https://p.dw.com/p/L6Bw
Mann im Schattenriß vor Filmspule (AP Photo/Alvaro Barrientos)
Bild: AP

Die Faszination, die von Krzysztof Kieślowskis Filmen ausgeht, ist eine doppelte. Zum einen wird sie ausgelöst durch die ungewöhnlichen Grundthemen seiner in Zyklen angelegten Filme. In "Drei Farben: Blau, Weiß, Rot" machte er die Maximen der Französischen Revolution zur Folie einer Reflexion über Utopien, die im Zeitalter der Individualisierung und Selbstverwirklichung zu einem Geflecht von Resignation und Verdrossenheit, von Beziehungsunfähigkeit und Desillusionierung verkommen sind.

Der polnische Meisterregisseur zeigt die Erosion von ethischen Maßstäben in den modernen Gesellschaften, vermeidet aber die Attitüde eines Weltverbesserers und entzieht sich in seiner mehrfach kodierten Erzähltechnik konsequent Interpretationen. Zum anderen weiß er seine Augenblicke der Wahrheit mit einer Unabdingbarkeit zu beschwören, die ihresgleichen sucht. Zufall als Grundmotiv seiner Filme und eine ausgeklügelte Farbendramaturgie zeichnen auch seine Komödie "Drei Farben: Weiß" aus, in der die Farbe Weiß als visuelles Verbindungsglied und Metapher der Gleichheit die Handlung akzentuiert.

Cover der DVD Drei Fraben Weiss (Concorde)
Heiterer Teil der Drei-Farben-Trilogie

Weiß als Verrat und Spiel

Bei ihrer ersten Begegnung in der Pariser Métro zerrt Karol Mikolaj auf die Straße, um ihm die Fenster von Dominiques Wohnung zu zeigen, die ihn gerade mit einem anderen Mann betrügt. Sein ausgestreckter Arm lenkt Mikolajs (und unseren) Blick auf ein großflächiges Plakat an der Fassade des benachbarten Kinos: Brigitte Bardot in "Le mépris" (1963) von Jean-Luc Godard. Jene Geschichte einer wachsenden Verachtung, die eine Frau für ihren Ehemann empfindet, spielt im Milieu einer internationalen Filmproduktion, bei der unterschiedliche Sprachen die Kommunikation erschweren und zu symbolischen Barrieren der Verständigung werden.

Porträt Krzysztof Kieślowski Kieslowski (Archivbild vom 14.3.1995)
Krzysztof KieślowskiBild: picture-alliance / dpa

Und die eine, immergleiche Geschichte vom Geheimnis der Liebe und ihrem Verrat ist in "Drei Farben: Weiß" weder wahrscheinlich noch realistisch erzählt: Als Rudimente von Episoden ähneln Paris und Warschau einer Bühne, auf der sich eine vertrackte Parabel abspielt. Die Figuren sind ohne psychologische Differenzierung auf Typen festgelegt. Bei seinem Rachefeldzug gegen Dominique unterläuft Karol seine Absichten durch die eigenen Taten: Seine Revanche für die vormals erlittene Demütigung verkehrt sich in ihr Gegenteil.

Menschliche Komödie

Wo die Verständigung an unsichtbaren, soziokulturellen Grenzen scheitert, hilft – wie im Stummfilm – nonverbale Kommunikation: die der Blicke und Gesten. Was aber an der Oberfläche nicht sichtbar ist, verbirgt sich hinter kunstvoll verrätselten Filmzitaten und Mystifikationen. Der Referenzrahmen reicht von Charlie Chaplin, auf den Karols ausgetretene, schäbige Schuhe, sein unschlüssiger Gang und Namen verweisen, bis zum Marionettenspiel des Begehrens in Stanley Kubricks "Lolita", dessen Held Humbert Humbert wie Karol einen Doppelnamen trägt.

Die vorletzte Aufführung seiner Comédie Humaine nutzt Kieslowski zu einem lustvollen Illusionsspiel, bei dem er einen Dialog mit den intimen Kennern seines Werks aufnimmt: Die bunt gemischte Gesellschaft alter Bekannter aus seinen früheren Filmen, die sich um Karols Grab versammeln, liefert ein selbstironisches Bild seines filmischen Mikrokosmos.

"Drei Farben: Weiß", Kassette mit der Drei-Farben-Trilogie, jede DVD auch einzeln erhältlich, Concorde 2003.

Autorin: Margarete Wach

Redaktion: Jochen Kürten