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Projekt: "Fußball ohne Grenzen"

Ronny Blaschke28. August 2013

Fast 65.000 Menschen haben 2012 in Deutschland Asyl beantragt. Oft stoßen sie auf Abneigung. Das Berliner Fußballprojekt "Champions ohne Grenzen" will die Integration der Flüchtlinge fördern und Klischees abbauen.

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Eine Berliner Fußball-Mannschaft, die nur aus Flüchtlingen besteht, jubelt in die Kamera (Foto: Ronny Blaschke)
Bild: DW/Ronny Blaschke

Im Tor auf dem Fußballplatz in Berlin-Kreuzberg steht Ali Ahmadi. Der junge Keeper hechtet durch die Luft und wehrt den Ball ab, den der gegnerische Spieler vom Elfmeterpunkt aus auf den Kasten drischt. Doch der Schütze setzt nach und schiebt den zurückprallenden Ball über die Torlinie ins Netz. Ahmadi schlägt mit der flachen Hand auf den Rasen und ärgert sich. Mitspieler und Gegner stürmen auf ihn zu, klopfen ihm auf die Schultern und lachen. "Selbst wenn wir verlieren, haben wir Spaß", sagt der Torhüter. "Hier sind die Probleme weit weg." Ahmadi gehört zu den "Champions ohne Grenzen", einem Projekt, das Flüchtlinge jeden Mittwoch zusammenführt.

Der Weg des gerade einmal 20-Jährigen nach Deutschland war steinig. Er war erst zehn Jahre alt, als er in Ghazni, einer trostlosen Kleinstadt in Afghanistan, aufbrach. Zunächst flüchtete Ahmadi in den Iran. Dort besuchte er keine Schule, sondern arbeitete als Tischler. Immer wieder wurde er ausgegrenzt und bedroht. 2010 machte er sich auf nach Europa, sein gespartes Geld überließ er den Fluchthelfern. Die Route führte ihn über die Türkei nach Griechenland, von Italien über Frankreich nach Deutschland. Ahmadi übernachtete in einem türkischen Eselstall, musste sich von griechischen Polizisten freikaufen, schlief in Paris auf der Straße. Das Schlimmste auf seiner zwei Monate dauernden Flucht, sagt er, war die Überfahrt nach Italien: "Wir waren 72 Leute in einem kleinen Boot, es gab keinen Platz zum Schlafen. Ich habe versucht zu essen, dann habe ich mich umso mehr übergeben." Drei Tage dauerte die Fahrt, geplant waren acht Stunden.

Der Torhüter der Fußball-Mannschaft des Projektes "Champions ohne Grenzen" Ali Ahmadi hockt vor dem Tor (Foto: Ronny Blaschke
Ali Ahmadi, der Torhüter der Fußball-Mannschaft des Projektes "Champions ohne Grenzen", hockt vor seinem "Kasten"Bild: Ronny Blaschke

Stimmungsmache von Rechtsextremen

Rund 300.000 Menschen haben 2012 in einem EU-Staat Asyl beantragt, fast 65.000 waren es in Deutschland. Die Flüchtlinge erhoffen sich ein menschenwürdiges Leben, doch oft stoßen sie auf Abneigung und Rassismus. Zum Beispiel im Berliner Stadtteil Hellersdorf: Dort haben Rechtsextreme ein geplantes Asylbewerberheim genutzt, um Stimmung gegen Migranten zu schüren. Nun formieren sich Gruppen, um den Flüchtlingen zu helfen, auch die "Champions ohne Grenzen".

Um in Freiheit neu anfangen zu dürfen, haben viele der dreißig Flüchtlinge, die in Kreuzberg Fußball spielen, ihr Leben riskiert. Sie stammen aus dem Irak, Bangladesch oder Mali, aus dem Iran, Kamerun, Palästina oder eben aus Afghanistan, wie Ali Ahmadi. "Champions ohne Grenzen" besteht seit April 2012, in Kooperation mit der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen (Kub) und dem Kreuzberger Verein FSV Hansa 07. "Für die Flüchtlinge ist Fußball eine wichtige Ablenkung", sagt ihre Trainerin Carolin Gaffron. Sie spielt seit ihrem elften Lebensjahr Fußball, studiert Kulturwissenschaften und engagiert sich seit langem für soziale Themen. Ihre Initiative trägt den Namen: "...weil Fußball verbindet". Gaffron erklärt die Übungen in einfacher deutscher Sprache: "Sonst bleiben die Flüchtlinge oft unter sich. Fußball fördert die Internationalität, davon profitieren sie später in ihrer Arbeit."

Botschafter am Ball

Die Trainerin der Fußball-Mannschaft des Projektes "Champions ohne Grenzen" Carolin Gaffron lächelt in die Kamera (Foto: Ronny Blaschke)
Carolin Gaffron kümmert sich bei dem Projekt "Champions ohne Grenzen" um das Fußball-Training und um vieles mehrBild: DW/Ronny Blaschke

Gaffron ist für die Flüchtlinge weit mehr als nur eine Fußball-Trainerin. Sie übersetzt Formulare, plant Behördengänge und vermittelt wichtige Ansprechpartner wie beispielsweise Ärzte, Anwälte oder Sprachlehrer. Und sie bittet die Spieler, selbst aktiv zu werden. Die "Champions ohne Grenzen" bestreiten Freundschaftsspiele, nehmen an Turnieren teil, beteiligen sich an Kundgebungen gegen Rassismus und treten bei Stadtteilfesten auf. Das Projekt will Klischees entgegen wirken. "Entweder werden Flüchtlinge als Sozialschmarotzer oder als arme Opfer in dreckigen Wohnheimen dargstellt", sagt die 31-jährige Gaffron. "Bei uns dürfen sie normale Menschen sein. Sie können Freunde treffen und Spaß haben - sie brauchen keine Erwartungen von außen zu erfüllen."

Noch darf Ali Ahmadi in Deutschland bleiben, seine Aufenthaltserlaubnis läuft 2014 aus. Kontakte zu Freunden und Verwandten in Afghanistan hat er kaum noch. Er sagt, er wolle sich hier so gut wie möglich integrieren. Er hat Sprachkurse absolviert, eine kleine Wohnung bezogen. Der 20-Jährige geht zur Volkshochschule, möchte sein Abitur ablegen. In seiner Freizeit spielt er in einer Theatergruppe und hilft anderen Flüchtlingen, sich zurechtzufinden. "Ich möchte eine Familie gründen, und wenn ich es schaffe, möchte ich studieren", sagt er. "Mein Traum ist es, Arzt zu werden." Die "Champions ohne Grenzen" wollen ihr Angebot auf Flüchtlingsheime ausweiten. Eine Mannschaft für Kinder gibt es schon, sie sind zwischen acht und zwölf Jahre alt. Einer ihrer Trainer ist Ali Ahmadi. Lange fühlte er sich auf der Flucht hin und her gestoßen, doch nun gibt er selbst die Richtung vor.