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"Doppelpass" nur bis 23

Carla Bleiker28. Mai 2013

Der erste Jahrgang deutscher Einwandererkinder muss sich 2013 für eine Staatsbürgerschaft entscheiden: die deutsche oder die der Eltern. Wegen der sogenannten Optionspflicht ist eine Binationalität nicht mehr möglich.

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Fünf junge Migrantinnen, zwei von ihnen mit einem Eis in der Hand (Foto: picture alliance/dpa)
Weil sie hier geboren und aufgewachsen sind, entscheiden sich die meisten Betroffenen für den deutschen PassBild: picture-alliance/dpa

Zu ihrem 18. Geburtstag bekam Ebru Uzun Post. Inhalt des Briefes: Sie müsse sich bis zu ihrem 23. Geburtstag zwischen der deutschen und der türkischen Staatsbürgerschaft entscheiden. "Ich bin da relativ pragmatisch herangegangen", sagt Uzun, die am 2. April 23 Jahre alt wird, der DW. "Ich verreise viel und studiere jetzt im Ausland, und mit der türkischen Staatsbürgerschaft ist das einfach unpraktisch."

Die Tochter türkischer Eltern entschied sich bereits 2011 für die deutsche Staatsbürgerschaft. Zurzeit macht sie ihren Master in Klinischen Neurowissenschaften am University College London. Ganz leicht ist ihr die Abgabe des türkischen Passes aber nicht gefallen. "Auf der anderen Seite ist das ja auch ein Teil meiner Identität, den ich da abgeben musste, und mir war nicht so richtig klar, warum. Es hat ja keine richtigen Nachteile für den Staat, wenn ich noch eine andere Staatsbürgerschaft habe", sagt Uzun.

Uzun ist einer von 3316 jungen Menschen mit Doppelpass, die dieses Jahr ihre Wahl treffen müssen. Betroffen sind Kinder ausländischer Eltern, die nach dem 1. Januar 1990 in Deutschland geboren wurden. Für sie gilt: Wenn die Eltern rechtmäßig seit acht Jahren in Deutschland leben, haben die Kinder ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Das entsprechende Gesetz gilt seit dem 1. Januar 2000 rückwirkend bis zum Geburtsjahrgang 1990. Die meisten dieser Kinder haben nun zwei Staatsbürgerschaften: die deutsche und die ihrer Eltern.

Die Optionspflicht

Spätestens bis zu ihrem 23. Geburtstag müssen sich die jungen Menschen aber für einen Pass entscheiden. Dann greift die sogenannte Optionspflicht. Wenn ihre Eltern aus der EU oder aus der Schweiz kommen, dürfen sie beide Pässe behalten, sofern sie dies bis zu ihrem 21. Geburtstag beantragen.

Deutscher und türkischer Reisepass (Foto: picture alliance/dpa)
Für 3300 junge Leute ist dieses Jahr Schluss mit dem "Doppelpass"Bild: picture-alliance/dpa

Wenn der zweite Pass aber aus einem Nicht-EU-Land kommt, ist es mit der Binationalität vorbei. Die Optionspflicht sieht zwei Möglichkeiten vor: Entweder, die jungen Menschen entscheiden sich für ihre ausländische Staatsangehörigkeit und geben die deutsche ab. Oder sie beantragen die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern und bleiben somit Deutsche. Wenn sie die erforderlichen Papiere nicht rechtzeitig bei ihrer Einbürgerungsbehörde einreichen, verlieren sie mit ihrem 23. Geburtstag die deutsche Staatsbürgerschaft.

Fatales Nichtstun

Frau mit Kopftuch mit Dozentin und weiteren Teilnehmer eines Kurses (Foto: dpa)
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist aufgrund der Optionspflicht nicht mehr möglichBild: picture-alliance/dpa

Beratungsstellen wie die Jugendmigrationsdienste wollen solche Extremfälle verhindern. "Unser Auftrag ist, die Menschen darauf hinzuweisen, dass die deutsche Staatsbürgerschaft weg ist, wenn sie nichts tun", sagt Herbert Lüken, Leiter des Jugendmigrationsdienstes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bremen, der DW. "Wir müssen sie einfach noch mal darüber aufklären: Wenn du nichts tust, bist du ab übermorgen 'nur' noch Türke."

Genau das ist im Januar einer jungen Frau in Hessen passiert. Sie hatte es trotz mehrerer Aufforderungen der Behörden versäumt, rechtzeitig ihre Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft vorzulegen. Wie das Regierungspräsidium Darmstadt bekannt gab, verlor die junge Frau am 3. Januar 2013 ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Wenn sie diese nun zurückerhalten will, muss sie das komplizierte deutsche Einbürgerungsverfahren durchlaufen und sogar einen Einbürgerungstest bestehen.

Wegen solcher Fälle hat sich die Bertelsmann-Stiftung gegen die Optionspflicht ausgesprochen. Der Integrationsexperte der Stiftung, Ulrich Kober, nannte es "aus Integrationsperspektive eine Katastrophe", wenn Menschen wegen Unkenntnis oder Fristversäumnis ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlören. "Das ist kein gutes Signal für Offenheit oder Willkommenskultur", sagt Kober in einem Pressestatement vom 4. Februar zur Optionspflicht.

Binationalität erlauben?

Auch die AWO ist dafür, die doppelte Staatsbürgerschaft dauerhaft in Deutschland zuzulassen. "Ich sehe keine Gefahr für Deutschland, wenn Menschen zwei Pässe haben", sagt Herbert Lüken.

CDU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hinter einem Rednerpult (Foto:dapd)
Volker Kauder (CDU) ist gegen die doppelte StaatsbürgerschaftBild: dapd

Im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht ist die "Vermeidung von Mehrstaatigkeit" allerdings ein wichtiger Grundsatz. Diejenigen, die eine dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft ablehnen, weisen unter anderem auf mögliche Probleme bei der Auslieferung von Straftätern hin, wie kürzlich CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Weitere Argumente der Doppelpass-Gegner sind Komplikationen im Privatrecht. Bei einem Scheidungsverfahren wäre es beispielsweise schwierig festzustellen, welches Recht auf Ehegatten mit zwei Staatsbürgerschaften anzuwenden wäre.

Deutsches Zugehörigkeitsgefühl

Der Jugendmigrationsdienst der AWO in Bremen hat dieses Jahr bereits zehn junge Menschen in Fragen zur Entlassung aus der ausländischen Staatsbürgerschaft beraten. Insgesamt sind im Land Bremen dieses Jahr circa 30 Menschen von der Optionspflicht betroffen. Die meisten von ihnen hätten einen türkischen Hintergrund, sagt Lüken, und die meisten wollten den deutschen Pass behalten. Einer der Gründe sei die Vermeidung des türkischen Wehrdienstes.

Türkische Soldaten bei einem Militäreinsatz (Foto: DW)
Die Wehrpflicht ist für viele ein Grund, den türkischen Pass abzugebenBild: DW

Eine weitere große Rolle bei der Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit spielt das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland: Die Betroffenen sind hier geboren und aufgewachsen, und kennen die Heimat ihrer Eltern oft nur aus den Ferien.