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Doping-Dramen durch Unwissenheit

Ronny Blaschke12. Mai 2014

Immer mehr Senioren wollen ihre Leistungsfähigkeit im Wettbewerb unter Beweis stellen. Preisgeld oder öffentliche Anerkennung gibt es dafür selten. Trotzdem überschreiten einige Athleten die Grenze des Erlaubten.

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Laufwettbewerb bei der Hallen-WM der Senioren. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Es war ein Rekord, der Dieter Massin die Augen geöffnet hat, zehn Jahre ist das nun her. Bei einem Leichtathletik-Wettbewerb der Senioren war die Hälfte der Dopingproben positiv. So wurde ein Klischee bestätigt, das sich hartnäckig hält: Ältere Herrschaften würden für ein wenig Ruhm zu unerlaubten Mitteln greifen. "Das ist Unsinn", sagt Dieter Massin. "Senioren dopen nicht mehr als andere Menschen." Der ehemalige Sportlehrer aus Ahlen hat viele Jahre lang Seniorensportler über Doping aufgeklärt: "Spitzensportler im olympischen Bereich haben Trainer, Betreuer und Manager. Senioren sind am schlechtesten informiert." Viele wissen nicht, welche Medikamente auf der Dopingliste stehen.

Zwei Millionen Senioren bei Volks- und Straßenläufen

In kaum einer Sportart sind Senioren so breit organisiert wie in der Leichtathletik. Bei Deutschen Meisterschaften sind regelmäßig 2600 Athleten vertreten, im Alter zwischen 35 Jahren und über neunzig. Von den 900.000 Mitgliedern im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) sind 300.000 älter als 40 Jahre. Angesichts des demografischen Wandels steigt die Zahl der Aktiven auch außerhalb des Verbandes. So nehmen mehr als zwei Millionen Senioren jährlich an Volks- und Straßenläufen teil. Für viele zählt neben der Geselligkeit und dem Gesundheitsanspruch der Wettbewerb, der Leistungsgedanke, der Medaillenwunsch. Laut einer Umfrage bei Seniorensportlern aus dem Jahr 2012 trainieren die meisten dreimal pro Woche etwa anderthalb bis zwei Stunden. "Ein trainierter 70-Jähriger kann so fit sein wie ein untrainierter 40-Jähriger", glaubt Jörg Erdmann, der beim DLV für Senioren zuständig ist.

Dopingvergehen durch Blutdrucksenker

Die interessante Frage ist, welche Grenzen Senioren für den Sieg überschreiten. Preisgelder werden nicht vergeben, bei Welt- oder Europameisterschaften müssen die älteren Sportler Kosten für Reise und Unterkunft sowie die Startgebühren selbst tragen. Als international tätiger Antidopingbeauftragter hatte Dieter Massin immer wieder Anabolika-Sünder ertappt. Der ehemalige Vizepräsident des DLV hat in einer mehrsprachigen Broschüre auf Gesundheitsrisiken hingewiesen. Das Krebs- und Herzinfarktrisiko steige durch unerlaubte Substanzen. Auch der Gebrauch von Schmerzmitteln müsse im Seniorensport thematisiert werden.

Doping-Aufklärer Dieter Massin. Foto: Massin
Doping-Aufklärer Dieter MassinBild: privat

Dieter Massin möchte keinen falschen Eindruck erwecken. Oft gerieten Senioren unter Dopingverdacht, weil sie von ihrem Hausarzt ein blutdrucksenkendes Mittel erhalten hätten. Für solche Medikamente können die Athleten eine Sondergenehmigung beantragen, bis 30 Tage vor dem Wettkampf, doch viele versäumen das aus Unwissenheit. "Ich habe da einige Dramen erlebt", sagt Dieter Massin, ehemaliger Präsident des Europäischen Senioren-Leichtathletik Verbands (EVAA). "Einen Dopingverdacht werden die Sportler so schnell nicht los. Aber: Jeder ist für sich selbst verantwortlich." Der DLV versendet einen Antidoping-Newsletter und bietet bei Meisterschaften Informationsstände an. Wie nachhaltig diese Maßnahmen sind, lässt sich schwer ermitteln.

Helden der Heimatzeitungen

In den Internetforen zum Thema Seniorensport wird der Leistungsgedanke kontrovers diskutiert. Die einen sprechen von "Titelgeilheit" und Medaillenjagd, die anderen von sportlicher Ehre und Vorbildfunktion. Der DLV teilt seine Altersklassen in Fünf-Jahres-Schritten, beginnend mit 35. Für Deutsche Meisterschaften müssen sich Senioren qualifizieren, bei internationalen und mitunter weit entfernten Wettbewerben fallen diese Normen weg, so ist das Leistungsgefälle groß. Einige Sportler starten bewusst in Disziplinen mit wenigen Teilnehmern, um einer Medaille näher zu kommen. "Diese Sportler feiern sich in ihren Heimatzeitungen", berichtet Alfred Hermes. "Das kann man mögen oder nicht, verurteilen sollte man es auf keinen Fall."

Überlastung, Knochenbruck, Herzinfarkt

Alfred Hermes aus Jülich bei Köln wird bald 68, er hat als Mittelstreckenläufer Erfolge erzielt, seit zwei Jahren vertritt er die Senioren als Athletensprecher. Hermes hat für die Hallen-WM in Budapest Ende März sechsmal wöchentlich trainiert. Er plädiert dafür, alle Leistungen zu respektieren: "Auch Siege in einem kleinen Starterfeld können der Gesellschaft zeigen, wie leistungsfähig und selbstbewusst ältere Menschen sein können." Doch er beobachtet auch, dass Senioren mit Blick auf die Goldmedaille öfter über die Stränge schlagen. Die Folgen: Überlastung, Knochenbrüche, in seltenen Fälle: Herzinfarkte.

Senioren-Athletensprecher Alfred Hermes. Foto: Hermes
Senioren-Athletensprecher Alfred HermesBild: privat

Deutsche sind Rekordstarter

Aus gesundheitlichen Gründen verzichtet der DLV auf einige Wettbewerbe in den älteren Startklassen, etwa im Hürdenlauf oder Stabhochsprung. International sollen so genannte "Safety Officers" darauf achten, dass sich Athleten nicht übernehmen. In Deutschland fordert der Verband regelmäßig zum Gesundheits-Check auf, erläutert Jörg Erdmann vom DLV. In den vergangenen zehn Jahren sind durchschnittlich 660 deutsche Senioren bei Welt- oder Europameisterschaften an den Start gegangen, kein Land war mit mehr Sportlern vertreten. Jörg Erdmann betont ihre Vorbildfunktion: "Es ist in der Gesellschaft angekommen, dass sich durch Training viele Alterungsprozesse verzögern lassen."