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Keine Perspektive in Donezk

Inna Kuprijanowa / Markian Ostaptschuk21. Januar 2015

Die Kämpfe in Donezk eskalieren. Unter Beschuss geraten Krankenhäuser und Schulen. Die Menschen legen Lebensmittel- und Wasservorräte an. Sie suchen nach Schutz und Wegen zur Flucht.

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Zerstörtes Haus in Donezk (Foto: REUTERS/Alexander Ermochenko)
Bild: REUTERS/Alexander Ermochenko

Immer wieder sind in Donezk gewaltige Explosionen zu hören. Geschosse treffen Häuser, Geschäfte und Krankenhäuser. Zerstörungen gibt es inzwischen auch im Zentrum der Stadt, wo es früher relativ ruhig war. "Anfangs dachten wir, eine Rakete sei direkt in den Supermarkt eingeschlagen. Die Menschen liefen in Panik davon. Dann stellte sich heraus, dass noch ein weiteres Geschoss das Krankenhaus neben dem Einkaufszentrum beschädigt hat. Fensterscheiben sind zu Bruch gegangen und die Fassade ist zerstört", sagt ein Augenzeuge. Die Konfliktparteien - die Truppen der ukrainischen Regierung und die prorussischen Separatisten - geben sich gegenseitig die Schuld für den Beschuss.

Wegen der zunehmenden Explosionen und Zerstörungen befürchten die Menschen in Donezk, die Kämpfe in der Stadt könnten jetzt noch weiter eskalieren. "Ringsherum herrscht das Grauen, deswegen sitzen wir nur noch im Haus. Wo verstecken sich eigentlich unsere ganzen Donezker Herrschaften? Oder ist bei denen alles in Ordnung? Sie haben bestimmt Ausweichquartiere, weit weg, wo sie jetzt sicher sind", sagt eine wütende Frau. Sie lebt in der Nähe des Flughafens, der zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee heftig umkämpft wird.

Luftaufnahmen vom Flughafen Donezk am 15.01.2015 (Foto: REUTERS/Army.SOS/Handout via Reuters )
Luftaufnahme des umkämpften Flughafens von DonezkBild: Reuters/Army.SOS

Schulen geschlossen, Krankenhäuser geöffnet

Wegen der sich zuspitzenden Lage wurden alle Bildungseinrichtungen vorübergehend geschlossen. "Man hat uns befohlen, den Unterricht an allen Schulen zu beenden und unsere Häuser nicht zu verlassen. Vorerst werden die Kinder nicht zur Schule gehen. Was weiter passiert, weiß niemand", erzählt eine Lehrerin.

Viele Fabriken und auch alle Krankenhäuser hingegen setzen ihren Betrieb fort. Die Menschen gehen weiterhin ihrer Arbeit nach. Die öffentlichen Verkehrsmittel meiden nur die gefährlichsten Stadtviertel. "Mein Sohn arbeitet im Koks- und Chemiewerk. Es kann nicht einfach die Produktion einstellen. Und meine Tochter arbeitet im Krankenhaus. Sie kann nicht zu Hause bleiben. Wer wird sich dann um die Verletzten kümmern?", fragt Tatjana aus Donezk.

Welche Märkte und Läden der Stadt öffnen, hängt von der Lage im jeweiligen Viertel ab. Die meisten Menschen, vor allem Rentner, suchen die Geschäfte nur dann auf, wenn es unbedingt notwendig ist. "Ich kaufe nur Brot, weil ich ja kaum noch Geld habe. Zum Überleben brauchen wir humanitäre Hilfe", sagt der Rentner Viktor.

Ein zerstörtes und geplündertes Einkaufzentrum in Donezk (Foto: Nikolai Muravyev/TASS )
Ein zerstörtes und geplündertes Einkaufszentrum in der ostukrainischen StadtBild: picture-alliance/dpa/M. Nikolai

Lebensmittel- und Wasservorräte

Viele Einwohner legen in dieser Situation Nahrungsmittelvorräte an. "Ich habe Mehl und Fleisch gekauft. Jetzt haben wir keinen Strom, der Kühlschrank funktioniert nicht. Aber es ist Winter und die Lebensmittel verderben nicht so schnell. Hauptsache, wir überleben", sagt Maria, deren Haus sich in der Nähe der Front befindet.

Wie die Explosionen sind inzwischen auch Probleme mit der Wasserversorgung an der Tagesordnung. Jeder in Donezk hat heute in seiner Wohnung alle möglichen Behälter mit Wasser gefüllt. Immer dann, wenn es Wasser gibt, legen die Menschen schnell Vorräte an. Die Vertreter der selbst ernannten Volksrepublik Donezk melden Schäden an Wasserleitungen meist im Fernsehen, aber auch im Internet. Oft informieren sich aber die Menschen auch untereinander per Telefon, wenn sie von einem Leitungsschaden wissen.

Flüchtlingsstrom nimmt weiter zu

Diese Lebensumstände drängen immer mehr Menschen dazu, Donezk zu verlassen. So auch Marina. Ihr Mann ist Bauarbeiter. Derzeit verdient er Geld in Russland, da er in Donezk keinen Job fand. Im Sommer suchte Marina mit ihren beiden Kindern noch Schutz im Keller ihres Hauses. "Aber im Winter hält man es dort nicht lange aus. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Hier ist es gefährlich, aber auch eine Flucht ist gefährlich", sagt sie verzweifelt.

Dennoch nimmt der Flüchtlingsstrom zu. "Alle 40 Minuten fährt einen Minibus von Donezk nach Konstantinowka. Aber für morgen sind schon alle Plätze vergeben", berichtet einer der Busfahrer. Konstantinowka wird von der Ukraine kontrolliert. Erst von dort kann man mit einem Zug bis nach Kiew fahren. Wer in Donezk bleibt, sucht Schutz in fensterlosen Fluren, Badezimmern und Treppenhäusern. Ihre Wohnungsfenster schützen die Menschen mit Kissen, denn sie wissen nicht, wo das nächste Geschoss einschlagen wird.