1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der umkämpfte Donbas

Jeanette Seiffert15. April 2014

Im Kohlerevier Donbas im Osten schlägt das industrielle Herz der Ukraine. Nun ist die Region zum Unruheherd geworden. Doch wie wichtig ist der Donbas für Kiew - und welche Bedeutung hat er für Moskau?

https://p.dw.com/p/1Bho8
Industrieanlage in Kriwoi Rog. Foto: Pixel/dpa.
Bild: picture-alliance/itar-Tass

"Donbas ist das Herz der Ukraine", ist am Ortseingang von Donezk im Osten der Ukraine zu lesen. Aus wirtschaftlicher Sicht hat der Satz seine Berechtigung: Das Kohlerevier, das im Osten bis auf russisches Gebiet hinüberreicht, ist das viertgrößte in Europa. Die Kohlereserven werden auf über 10 Milliarden Tonnen geschätzt. Die Region rund um die Stadt Donezk macht nur fünf Prozent des Territoriums der Ukraine aus, hier leben zehn Prozent der Bevölkerung - aber es werden 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und rund ein Viertel des Exportvolumens des Landes produziert. Im Rest des Landes dominiert die Landwirtschaft.

Die Unruhen in den östlichen Landesteilen der Ukraine haben das flächenmäßig unbedeutende Gebiet mit einem Mal in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt: Russlandfreundliche Separatisten haben Teile der Verwaltungsgebäude und Einrichtungen von Polizei und Geheimdienst unter ihre Kontrolle gebracht, die Regierung in Kiew setzt Anti-Terror-Einheiten ein. Glaubt man dem Gouverneur der Region Donezk, Serhi Taruta, kann das allerdings kaum an seiner wirtschaftlichen Bedeutung liegen: Früher habe es den Mythos gegeben, die Ukraine ernähre die ganze Sowjetunion, sagte Taruta kürzlich der Zeitung "Nowosti Donbassa". Heute, so Taruta weiter, laute der Mythos, dass der Donbas die Ukraine ernähre: "Doch wenn wir die Statistiken anschauen, dann sehen wir, dass der Donbas eine subventionierte Region ist."

Donbas-Kohle nicht konkurrenzfähig

Was das Kohlerevier Donbas betrifft, kann ihm Ewald Böhlke, Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums in Berlin, nur zustimmen: "Da muss man seit den 1980er Jahren sagen: Es ist unrentabel, kostenintensiv und wird eigentlich nur noch aus sozialen Gründen künstlich am Leben erhalten."

Dennoch gibt es die berechtigte Sorge, Russland könnte das Ziel verfolgen, sich nach der Krim auch die östliche Ukraine einzuverleiben. Anders als auf der Halbinsel Krim fühlt sich hier aber keineswegs eine große Mehrheit der Menschen Russland zugehörig - nur etwa ein Viertel der Einwohner sind ethnische Russen. "Im Kern ist es eine sehr gemischte Bevölkerung", so der Ukraine-Experte Böhlke im DW-Interview. "Und bis zum Beginn dieses Jahres hat dort kaum einer darüber nachgedacht, sich Richtung Russland zu orientieren." Nun allerdings lieferten sich Kiew und Moskau seit einigen Wochen einen regelrechten Propagandakrieg: Es sei für die Bevölkerung schwierig, neutrale Informationen zu bekommen, viele seien auf Gerüchte angewiesen und zunehmend misstrauisch gegenüber der Kiewer Zentralregierung.

Grafik: Deutsche Welle
Unübersichtliche Gemengelage: Der Osten der Ukraine

Mythos Kosakenland

Doch welches Interesse hat Moskau angesichts dieser unklaren Stimmungslage überhaupt an der Ostukraine? Rein ökonomisch jedenfalls würde sich eine Annexion für Russland kaum lohnen, meint Böhlke: "Russland müsste eigentlich sagen: Gott sei Dank ist der Donbas Teil der Ukraine, und wir müssen die Region nicht mit subventionieren."

Viel entscheidender als der pragmatische Nutzen sei etwas ganz anderes: "Es gibt in Moskau eine Renaissance des Gedankens: Wir wollen das Russische Reich neu begründen." Dabei spiele der Donbas, einst der Mittelpunkt der sowjetischen Schwerindustrie, eine eher symbolische Rolle: "Das sind die alten Kosakengebiete, die jahrhundertelang agrarisch waren und erst durch Stalin industrialisiert worden sind."

Prorussische Kundgebung in Donezk. Foto: pixel/dpa.
Prorussische Demonstranten in Donezk: Welches Ziel verfolgt Moskau?Bild: picture-alliance/dpa

Stahl für russische Panzer

Zu diesen eher symbolischen Gründen kommt der ganz handfeste, dass zahlreiche Unternehmen im Osten der Ukraine wichtige Rohstoffe und Produkte nach Russland liefern - vor allem für die russische Weltraum- und Rüstungsindustrie. Entsprechend brisant war deshalb eine Nachricht, die in der westlichen Welt allenfalls am Rande registriert wurde: Man werde die militärische Zusammenarbeit mit Russland einstellen, teilte die Kiewer Übergangsregierung Ende März mit. Sofort meldete sich der stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Rogosin zu Wort: Russland müsse sich stärker von ausländischen Technologien und Lieferungen unabhängig machen, so Rogosin, der auch für die Verteidigungsindustrie zuständig ist.

Doch das dürfte nicht so einfach sein: So werden allein zwölf Typen von russischen Interkontinentalraketen im ostukrainischen Dnipropetrowsk hergestellt, inklusive Ersatzteilen und Wartung. Im Donbas wird zudem ein spezieller Stahl für die Panzer der russischen Streitkräfte produziert, und die meisten russischen Kampfhubschrauber fliegen mit Triebwerken aus dem ostukrainischen Saporischje.

Wer hängt von wem ab?

Noch viel stärker seien allerdings die ostukrainischen Unternehmen von der Nachfrage aus Russland abhängig, so Andreas Umland von der Kiewer Mohyla-Akademie. Man befürchte, dass Russland seinen Markt schließen könnte: "Das wäre ein Problem, denn die Produkte - Geräte und Anlagen - werden speziell für den russischen Markt hergestellt und lassen sich nicht so ohne Weiteres auf anderen Märkten verkaufen", so Umland im DW-Interview.

Auch wenn Teile der Industrie von Subventionen abhängig sind, stellen die ostukrainischen Exportartikel eine wichtige Einnahmequelle für die Kiewer Regierung dar. Umso mehr, da die Ukraine quasi bankrott ist - und daher zunehmend von internationalen Geldgebern abhängig: "Wenn es dort zu Separationsbestrebungen kommt, würde Kiew natürlich in der Risikobewertung der Geldmärkte völlig zusammenbrechen, weil das Land damit viele Ressourcen verlieren würde", so der Ukraine-Experte Ewald Böhlke.

Ewald Böhlke, Berthold-Beitz-Zentrum. Foto: Dirk Enters/DGAP
Ewald Böhlke: Separatisten nachgeben ist gefährlichBild: Dirk Enters/DGAP

Er halte dennoch nichts von der Idee, der Ostukraine mehr Autonomie zuzugestehen, um den Landesteil zu befrieden. In der derzeitigen instabilen Lage habe die Ukraine nur als starker Zentralstaat eine Chance: "Jede Art von Föderalisierung würde das Land auseinander reißen - im Extremfall könnte die ganze Ukraine zerfallen."