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Diner: "Israel musste über Schatten springen"

Bettina Marx8. Mai 2015

Seit fünfzig Jahren stehen Deutschland und Israel in diplomatischen Beziehungen. Doch die Anfangsjahre des neuen Verhältnisses waren alles andere als harmonisch, sagt der Historiker Dan Diner im DW-Interview.

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Der Historiker und Autor Dan Diner (Foto: ZB Fotoreport/ Picture Alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/K. Franke

DW: Herr Diner, in Ihrem jüngsten Buch "Rituelle Distanz" beschäftigen Sie sich mit dem ersten bilateralen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Israel, dem Luxemburger Abkommen von 1952. Darin verpflichtet sich Bonn, Israel und der Jewish Claims Conference Entschädigung zu bezahlen für das Menschheitsverbrechen der Shoah. Welche Bedeutung hatte dieses Abkommen?

Dan Diner: Das Luxemburger Abkommen war für die Bundesrepublik entscheidend, um wieder in die Völkerfamilie aufgenommen zu werden. Es war so etwas wie ein Gründungsakt. Die diplomatischen Beziehungen selbst haben nicht diese Bedeutung gehabt. Man könnte sagen, beide Ereignisse, 1952 und 1965 gehören insoweit zueinander, als 52 all das begründet wurde, was 1965 dann gleichsam rituell und demonstrativ nach außen gekehrt wird. Die ohnehin bestehenden Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden öffentlich gemacht. Entscheidend ist das Jahr 1952, weil damals Israel über seinen Schatten gesprungen ist, um mit Deutschland Beziehungen einzugehen, die aufgrund des Luxemburger Vertrages geschlossen wurden.

Das Wiedergutmachungsabkommen wurde 1952 unterzeichnet. Erst 13 Jahre später, im Jahr 1965, nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Warum dauerte das so lange?

1952 lehnte die israelische Seite die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ab. Man befürchtete, dass dies einen Schlussstrich unter das Vergangene und damit auch so etwas wie Versöhnung bedeuten würde. Die deutsche Seite wäre damals zur Anerkennung Israels bereit gewesen. In den 50er und 60er Jahren wurde die Bundesrepublik dann zu einem sehr wichtigen Faktor des Westens, der Nato. Und da war es dann an Israel, immer wieder anzufragen, ob diplomatische Beziehungen vorstellbar wären. In Bonn aber fürchtete man, wenn die Bundesrepublik mit Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen würde, dass die arabischen Staaten die DDR anerkennen würden. Es galt ja die Hallstein-Doktrin, die davon ausging, dass die Bundesrepublik Deutschland mit jedem Staat, der die DDR anerkennt, die diplomatischen Beziehungen abbricht. Die arabische Welt war ein wichtiger Faktor bundesdeutscher Politik, auch bundesdeutscher Wirtschaftspolitik. Die Bundesrepublik wich daher den israelischen Avancen aus, lieferte dafür aber im Geheimen Waffen an Israel. Als das Mitte der 60er Jahre bekannt wurde, erklärte der damalige Bundeskanzler Erhard: "Wir werden diplomatische Beziehungen mit dem Staat Israel aufnehmen. Dafür werden wir die Waffenexporte einstellen".

Buchcover zum Buch von Dan Diner: Rituelle Distanz - Israels deutsche Frage
Buchcover "Rituelle Distanz - Israels deutsche Frage"Bild: DVA/Spiegel Buchverlag

Wie waren die Beziehungen zwischen beiden Ländern nach dem Botschafteraustausch?

Gesellschaftlich blieb die Distanz zunächst bestehen. Es war weiterhin so, dass alles, was mit Deutschland, mit der deutschen Kultur und der deutschen Sprache zu tun hatte, verpönt war. An den Universitäten gab es keine germanistischen Abteilungen, die deutsche Sprache wurde boykottiert. Das heißt, alle diese Elemente, die haben sich erst später entfaltet. Diese zwei Jahre, 1965 bis 67, waren in der Tat eine Zeit, die man, um dieses eine Wort noch mal zu benutzen, als frostig bezeichnen kann.

50 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen sind die Kontakte zwischen Deutschland und Israel eng. In Israel liebt man Berlin, deutsche Autos und deutschen Fußball. Es gibt einen vielfältigen und regen Austausch auf praktisch allen Ebenen, zum Beispiel in der Wissenschaft und der Kultur. Wie "normal" sind deutsch-israelischen Beziehungen heute?

Sie haben völlig Recht, wenn Sie darauf verweisen, wie positiv Israelis gegenwärtig gegenüber der Bundesrepublik eingestellt sind. Aber man darf nicht vergessen, dass die Vergangenheit und die Gegenwart nebeneinander herlaufen. Ich liebe das folgende Bild: die deutsch-israelischen Beziehungen lassen sich in Form eines Schwarz-Weiß-Dokumentarfilms abbilden. Das sind immer wieder dieselben Szenen, die sich als Ikonen in das Gedächtnis eingegraben haben. Und parallel dazu läuft eben ein Farbfilm ab. Das ist das gegenwärtige Deutschland, Berlin, die deutsche Automobilindustrie, die Bundesliga und all das, wofür Deutschland international steht. Beide Filme, der Schwarzweiße Dokumentarfilm und der Farbfilm, laufen nebeneinander her. Manchmal wird der eine stärker abgerufen und manchmal eben der andere. Insofern kann man sagen, dass das israelische Bewusstsein Deutschland gegenüber gespalten ist.

Frau Merkel hat gesagt, dass die Sicherheit und das Existenzrecht Israels deutsche Staatsraison sind. Wie beurteilen Sie diese Aussage?

Diese Aussage von Frau Merkel ist interessant, denn die Bundeskanzlerin ist sozusagen eine verspätete Bundesdeutsche. Sie hat die verschiedenen Stufen des deutsch-israelischen, des deutsch-jüdischen Verhältnisses nachgeholt. Das heißt, sie hat die Traditionen Adenauers und Kohls aufgenommen, ohne sie selbst in der jeweiligen Zeit durchlebt zu haben. Ich kenne Frau Merkel nicht, ich bin ihr nie begegnet. Aber es ist es mein Eindruck, dass sie sozusagen alle positiven Bezüge des deutsch-israelischen Verhältnisses verdichtet in sich aufgenommen hat. Ihr ist bewusst geworden, welche große Bedeutung die Vergangenheit für die Konstitution des alten und neuen bundesrepublikanischen Gemeinwesens hat. Darum hat sie diesen Satz gesagt, als wäre er Teil der Präambel des Grundgesetzes. Hätte es im Mai 1949, bei der Annahme des Grundgesetzes, dieses Bewusstsein der Vergangenheit gegenüber gegeben, dann wäre das wahrscheinlich so dort gestanden. Aber da es nicht so war, könnte man fast sagen, dass Frau Merkel es nun nachträglich reinschreibt. Inwieweit das jedoch politisch realistisch oder relevant ist, das mag man sich in der Tat fragen.

Dan Diner ist Historiker und Professor für Geschichte. Er war tätig an Universitäten in Israel, Dänemark und Deutschland. Bis 2014 war er Leiter des Simon-Dunow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Sein letztes Buch, "Rituelle Distanz - Israels deutsche Frage" ist im März 2015 in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen.