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Mangelnde Reformen

Stefanie Müller10. Oktober 2012

In Spanien stehen bereits 17 autonome Regionen und Städte vor der Pleite. Auch deshalb fordern immer mehr Spanier die Regierung auf, Schattenwirtschaft und Korruption zu bekämpfen.

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Bewegung, Detailaufnahme, Fliesen, Gegenlicht, Mann, Schatten, Schattenmann, Schuhe, Korruption, Karriere Quelle: fotolia.de, #2705848, Copyright: Jürgen Rode - Fotolia.com
Schatten Mann Sillhouette SymbolbildBild: Fotolia/Jürgen Rode

Während die spanische Bevölkerung aus Sparzwängen den Gürtel immer enger schnallen muss, werden die Deutschen immer unzufriedener angesichts der Nachrichten aus Spanien. Die Angst geht um, dass das von den Deutschen so geliebte Urlaubsland zu einem chronisch Kranken für Europa und damit zu einer Dauerbelastung für den deutschen Steuerzahler wird.

Die Südländer wiederum haben nicht nur genug von ihrem wenig überzeugenden Premier Mariano Rajoy, sondern auch vom rigiden Sparkurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie glauben, dass Deutschland von der spanischen Krise profitiert. Währenddessen nimmt die Gewalt am Rande von Protestkundgebungen im selben Maße zu wie die Unzufriedenheit in der Bevölkerung immer größer wird. "Das ist mehr als Politikfrust, das ist schon Verzweiflung", sagt der Musiker Manuel Villalta, der in seiner Wohnung im Herzen von Madrid die Proteste derzeit hautnah mitkriegt. Der 55-Jährige kann die Wut seiner Landsleute verstehen: "Es wird alles auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen." Es gebe keine Reichensteuer, keine gemeinsame Aktion von spanischen Star-Unternehmern wie dem Zara-Gründer Amanacio Ortega für die Rettung des Landes. "Es gibt nur Geldflucht", kritisiert Villalta.

Spain's Prime Minister Mariano Rajoy (L) and German Chancellor Angela Merkel talk before their meeting at Moncloa Palace in Madrid, September 6, 2012. (Foto: REUTERS)
Spaniens Regierungschef Rajoy und Bundeskanzlerin MerkelBild: Reuters

Probleme werden nicht angesprochen

Für viele Spanier wie den Geschäftsführer der Werbeagentur Lime XL Joaquin Gómez, der beruflich zwischen Deutschland und Spanien pendelt, ist es unverständlich, dass die wahren Probleme des Landes auch von der deutschen Regierung oder der EU nicht angesprochen werden. "Schattenwirtschaft, miserable Zahlungsmoral und Korruption zerstören das Land und sein enormes Talent", sagt Gómez. Er glaubt, dass bei den Reformen versäumt wurde, diese Probleme anzugehen: "Mit dem Sparkurs ändern wir langfristig nichts und die Armut wird immer weiter steigen, aber die ineffizienten und Wettbewerb verzerrenden Strukturen bleiben erhalten und verschlingen das Geld aus Brüssel."

Gómez ist nicht der einzige Spanier, der glaubt, dass die Regierung unter Mariano Rajoy unter diesen Umständen keinen Pfennig mehr aus EU-Töpfen erhalten sollte. Diese Meinung vertritt auch Roberto Centeno, Wirtschaftsprofessor an der politechnischen Universität von Madrid. Er freut sich, dass Deutschland Spanien außerhalb des Rettungsschirm sieht: "Wir müssen selbst aus der Krise gelangen und unsere ganze staatliche Organisation überdenken." Die großen Parteien der jungen Demokratie hätten sich das Land aufgeteilt. "In den vergangenen 30 Jahren hat sich eine systematische Korruption entwickelt, die ihren Ausdruck in den überwuchernden Verwaltungen der 17 autonomen Regionen und Städte findet."

Auch Königshaus in der Kritik

Wirtschaftprofessor Centeno betont, dass ein nicht funktionierender Rechtsstaat den Fortschritt aufhalte: "Es wurden öffentliche Stiftungen gegründet, staatliche Unternehmen und Agenturen geschaffen, Flughäfen gebaut und Autobahnen, die nur dem jeweiligen Politiker vor Ort etwas gebracht haben, aber unseren Staatshaushalt mit unsinnigen Ausgaben in den Ruin getrieben hat", sagt Centeno. Ein Grund, warum Spanien mit rund 46 Millionen Einwohnern über mehr Flughäfen verfügt als Deutschland mit einer doppelt so großen Bevölkerung und einer viel dichteren Besiedlung.

Der Unmut vieler Spanier richtet sich auch gegen die Monarchie, die für viele nichts als Kosten und Skandale produziert: "Statt unser Image zu stärken, schadet der König uns durch sein Verhalten", sagt Alicia Rodríguez. Die junge Frau arbeitet bei einer Versicherung und engagiert sich in ihrer Freizeit für eine Monarchie-kritische Organisation. "Unsere Bewegung 'Destino Republicano' wird immer stärker." Rodríguez und ihre Mitstreiter wollen ein föderalistisches System wie in Deutschland: "Wir glauben, dass es demokratischer und gerechter ist. Die Monarchie ist völlig antiquiert."

Spain's King Juan Carlos, right, and Crown Prince Felipe, left, wait for their cars after the official opening of Parliament. (Foto:AP/dapd)
Spaniens König Juan Carlos und Kronprinz FelipeBild: dapd
Ein Polizist schlägt einen Demonstranten mit einem Gummiknüppel (Foto: AP/dapd)
Bei Demonstrationen kommt es immer öfter zu AusschreitungenBild: dapd

Transparenz bei Entscheidungen

Wie "Destino Republicano" haben sich Dutzende von neuen Bewegungen, Plattformen und Stiftungen gegründet, die sich in die Politik einschalten. Über das Internet, mit Pressekonferenzen und Straßendemos protestieren sie gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Arbeitslosigkeit von 25 Prozent, die fast 500 Hausräumungen pro Tag und gegen die zahlreichen Kürzungen der Sozialleistungen. Sie alle fordern eine transparentere Demokratie.

"Wir regen uns vor allem auf, dass keine gesellschaftliche Debatte über Spaniens Zukunft stattfindet, dass die Entscheidungsprozesse der Regierung nicht transparent sind. Das Land verliert auch deswegen an Glaubwürdigkeit", sagt Alicia Costas von der Organisation "Access Info Europe" in Spanien. Sie hatte kürzlich zu einer Debatte über mehr Durchsichtigkeit und eine größere Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen geladen, an der alle Parteien teilnahmen - nur nicht die regierende PP.

Politik komplett überdenken

"Unsere Demokratie ist dabei, zusammenzubrechen. Die aktuelle Regierung verletzt Presserechte und weigert sich, mit gesellschaftlichen Bewegungen zu sprechen", glaubt der Bildhauer Rafael Lapuente, der die Situation als sehr dramatisch empfindet und in seinen Kunstwerken thematisiert. "Es ist schrecklich zu sehen, wie aufgebracht die Menschen sind."

Santiago Abascal, selber Mitglied der regierenden PP und Geschäftsführer der Stiftung Denaes, versucht Spanien zu verändern, wieder eine gemeinsame Basis zu finden, die das Land voranbringt. In seiner Partei stößt er dabei nicht auf viel Gegenliebe. Man ignoriere sein Vorhaben, sagt Abascal. "Wir müssen die Art, wie wir in diesem Land Politik machen, komplett überdenken und die Organisation des Staates reformieren." Die Abspaltungsdebatte Kataloniens vom Rest Spaniens verschärfe die Image-Krise des Landes und zeige, dass das aktuelle System nicht funktioniere.

Eine Porträtaufhnahme Abascals
Der Politiker Santiago AbascalBild: Santiago Abascal

Konsum hat Werte ersetzt

Für den ehemaligen IBM-Top-Manager und jetzigen Geschäftsführer der Stiftung von Zara-Gründer Amancia Ortega, Felipe Pallete-Rivas, haben die falschen Werte zur Krise geführt: "Wir haben ohne Bremse konsumiert." Das Streben nach Reichtum habe alle anderen Werte ersetzt. Als Reaktion darauf hat Pallete-Rivas das "Instituto Calidad y Cultura Democráticas" ins Leben gerufen, das sich um die Vermittlung von politischer Bildung bemüht. "Natürlich haben die Politiker und ihre Abhängigkeit von Unternehmen, Banken und ihr Einfluss auf die Justiz große Schuld an der aktuellen Situation, aber auch die Gesellschaft ist nicht unschuldig. Die Spanier sind immer noch nicht richtig in der Demokratie angekommen." In Schulen und sozialen Medien sowie mit Gratis-Kursen will er helfen, Spanien ein Stück demokratischer zu machen.

Eine Porträtaufnahme von Pallete Rivas, Gründer eines spanischen Pendants der Bildungzentrale für Politische Bildung
Ex-Manager Felipe Pallete Rivas beklagt einen Mangel an WertenBild: Felipe Gómez-Pallete Rivas

Der Bildhauer Lapuente begüßt ein solches Engagement. Er selbst gibt sich kämpferisch: "Ich habe gegen Franco gekämpft und mit Freude die Demokratie begrüßt. Jetzt kämpfe ich gegen die korrupten Politiker, die dieses System der Abhängigkeiten von Justiz und Wirtschaft hervorgebracht hat."