1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Lage in Libyen

Diana Hodali19. Mai 2014

Abtrünnige Soldaten wollen islamistische Milizen vertreiben. Die libysche Regierung ist zu schwach zum Handeln. Doch wer hat in Libyen eigentlich das Sagen? Die wichtigsten Informationen zur Lage in Libyen.

https://p.dw.com/p/1C2eu
Angriff auf das Parlamentsgebäude in Tripolis (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Drei Jahre nach Beginn der Aufstände gegen Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi scheint Libyen wieder bei null angelangt. Es gibtimmer noch keine Verfassung und die Regierung ist nicht handlungsfähig. Das jüngste Chaos begann am Freitag (16.05.2014), als abtrünnige Soldaten unter dem Befehl des früheren Generalmajors Chalifa Haftar einen eigenmächtigen Militäreinsatz gegen radikal-islamische Brigaden in der östlichen Stadt Bengasi starteten. Mindestens 75 Menschen kamen bei den Gefechten ums Leben. Am Sonntag (18.05.2014) weiteten sich die Unruhen auf die Hauptstadt Tripolis aus, wieder gab es Tote und Verletzte, als Milizen das Parlament stürmten. Keine Partei scheint stark genug, die Macht ganz zu übernehmen.

Wer ist Chalifa Haftar?

Chalifa Haftar hat unter Machthaber Gaddafi die Streitkräfte kommandiert. Ende der 1980er Jahre sagte sich Haftar von Gaddafi los und zog in die USA. Dort schloss er sich der Exil-Opposition an. Mit Beginn der Revolution im Februar 2011 kam er nach Libyen zurück und unterstützte die Kämpfer beim Aufbau des militärischen Widerstands in Bengasi. "Er hat als einer der wichtigsten Rebellenführer gegen Gaddafi gekämpft", sagt Günter Meyer vom Zentrum für Arabische Studien in Mainz. Aus der Zeit als Oppositionsaktivist werden ihm Kontakte zum US-Geheimdienst CIA nachgesagt. Nach Informationen des Nachrichtensenders Al-Arabija wird Haftar im Kampf gegen die Islamisten in Libyen auch von Saudi-Arabien und Ägypten unterstützt.

Chalifa Haftar (Foto: Reuters)
Chalifa Haftar hat den Islamisten und der Regierung den Kampf angesagtBild: Reuters

Haftar war Teil der stetigen Machtkämpfe um die Führung der Armee. In einem neuen Libyen sollte er ursprünglich den Aufbau der Streitkräfte übernehmen. Das wurde durch eine nicht ganz freiwillige Verabschiedung eines Gesetzes im Sommer 2013 allerdings verhindert. Damals belagerten Milizen das Parlament und erzwangen mit Waffengewalt die Zustimmung zu dem so genannten Isolationsgesetz. Dieses Gesetz besagt, dass alle diejenigen, die unter Gaddafi eine staatliche Position innehatten, kein staatliches Amt oder eine politische Position mehr bekleiden dürfen. Auch wenn diese Männer ganz erheblich zum Sturz Gaddafis beigetragen haben, so wie Haftar. "Er hat sich durch das neue Gesetz ausgebootet gesehen", sagt Libyen-Experte Günter Meyer.

Wer gehört zu seinen Milizen?

Im Februar hatte Haftar in einer TV-Ansprache gedroht, das Parlament zu stürzen, weil er es für illegitim hält. Gleichzeitig rief er das Generalkommando der libyschen Armee zur Rettung der Nation ins Leben. Kurz darauf gelang es ihm, im Osten des Landes zwei Militärstützpunkte zu besetzen. Einige Stammesmilizen schlossen sich ihm an, um gegen Islamisten in Bengasi vorzugehen. Zudem erhält er derzeit von den einflussreichen Sintan-Milizen aus der Hauptstadt Tripolis Rückendeckung. Sie waren es, die das Parlament stürmten. "Gegenwärtig spaltet sich das Land in Haftar-Anhänger und Anhänger der Regierungsmitglieder", sagt Meyer vom Zentrum für Arabische Studien. Wie groß sein Rückhalt ist, sei gegenwärtig noch schwer einzuschätzen. Haftar und seine Kämpfer sehen sich nicht als Milizen, sondern als Teil der nationalen Streitkräfte. Immer mehr Mitglieder der Streitkräfte und auch Milizen haben sich seither auf seine Seite gestellt.

Welche Ziele verfolgt Haftar mit seinem Generalkommando?

Haftars Generalkommando kämpft nach eigenen Angaben gegen extremistische Milizen und ihre Unterstützer unter den Abgeordneten. Ihr selbst erklärtes Ziel ist es, islamistischen Streitkräfte und deren Unterstützer aus dem ganzen Land zu vertreiben. Weil die Übergangsregierung es in den vergangenen drei Jahren nicht geschafft hat, eine handlungsfähige, vereinte und starke Armee aufzubauen, ist in Libyen ein Machtvakuum entstanden, das Islamisten für sich genutzt haben.

Nach der Erstürmung des Parlaments verlas der Chef der Militärpolizei, Mochtar Fernana, der sich ebenfalls Haftars Männern angeschlossen hat, eine Botschaft an die libysche Bevölkerung: "Das libysche Volk wird es nicht zulassen, dass sein Land zum Tummelplatz für Terroristen und Extremisten wird." Das Parlament sei aufgelöst und eine neu gewählte Kommission werde damit beginnen, die Verfassung zu schreiben. Haftars Vorstoß gegen die Islamisten im Osten genießt in der Bevölkerung angesichts der Ohnmacht der erst im Aufbau begriffenen Armee eine gewisse Sympathie. Beobachter schließen deshalb nicht aus, dass die Unterstützung für ihn noch zunehmen könnte, sollte er Erfolg haben. Haftar hatte bereits im vergangenen Frühjahr erfolglos versucht, die damalige Regierung zu stürzen.

Angriff auf das Parlamentsgebäude (Foto: AP)
In Tripolis herrscht ChaosBild: picture-alliance/AP Photo

Wie viel Einfluss hat die libysche Regierung?

Die Macht zwischen einzelnen Städten, Stämmen, Regionen und einer Zentralregierung konnte in den vergangenen drei Jahren seit dem Sturz und der Ermordung Gaddafis nicht ausbalanciert werden. Während der Revolution sind viele lokale Machtzentren entstanden, in denen Städte und Stämme - teilweise gestützt auf lokale Milizen - um die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft konkurrieren. Die lokalen Räte, die sich in den Städten und Regionen gebildet haben, genießen je nach Ort unterschiedlich starke Autorität. Der Übergangsregierung ist es bisher nicht gelungen, die zahlreichen bewaffneten Gruppen und Stammesmilizen unter die zentrale Kontrolle eines Sicherheitskomitees in Tripolis zu stellen.

Man hatte ihnen zwar Waffen und Geld gegeben, damit sie sich der Nationalarmee unterordnen, doch stattdessen haben sie immer mehr Forderungen gestellt und ihre Machtpositionen ausgebaut - ohne sich den nationalen Streitkräften anzuschließen. "Die Regierung ist weitestgehend machtlos. Das Land wird von rivalisierenden Milizen beherrscht", sagt Günter Meyer. Übergangsministerpräsident Abdullah al-Thinni bleibt zwar zunächst im Amt. Allerdings hat der Regierungschef schon vor Wochen seinen Rückzug bekannt gegeben, weil seine Familie von Milizionären bedroht wurde. Sein zwischenzeitlich vom Parlament gewählter Nachfolger Ahmed Maitieg muss zunächst eine neue Regierung bilden, bevor er übernehmen darf.

Welche Rolle spielt die instabile Lage in Libyen für die Nachbarländer?

Von Libyen ist bereits eine Gefahr für die Nachbarländer ausgegangen. Mit dem Sturz Gaddafis und dem entstandenen Machtvakuum konnten die islamistischen Kräfte in Tunesien, Algerien und Mali erstarken, denn sie werden über Libyen mit Waffen versorgt. Nach Angaben des ägyptischen Geheimdienstes soll es in Libyen auch ein Ausbildungslager von Al-Kaida geben, so Nahost-Experte Günter Mayer.

Was kann der Westen tun?

Die US-amerikanische Regierung fürchtet, dass sich Libyen zu einem zentralen Land für die Förderung von Terrorismus weltweit entwickelt. "Haftar und die US-Regierung haben hier ein gemeinsames Interesse, aber es ist nicht bekannt, ob es direkte Absprachen gibt", so Günter Meyer. In Sizilien ist die US-Marine bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden. 5000 tunesische Soldaten sind zudem an der Grenze aufmarschiert.

Bei einer internationalen Libyen-Konferenz Anfang März im Rom hatten Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius der libyschen Regierung zugesagt, sie bei der Sicherung unkontrollierter Waffenbestände zu unterstützen. Libyen-Experte Meyer sieht das eher skeptisch: "Angesichts der aktuellen Machtverhältnisse sehe ich keine Möglichkeit, eine Regierung zu unterstützen, der es innerhalb von drei Jahren nicht gelungen ist, eine nationale Armee aufzubauen, auf die sie sich verlassen kann. Die Macht ist extrem zersplittert." Zudem wurden Waffenbestände auch schon über die Grenze gebracht oder werden von den verschiedenen Milizen im Land genutzt.