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Die Uni der Zufriedenen

Ralf Bosen2. Februar 2014

Die Universität der Europäischen Kulturhauptstadt Umeå liegt an der Spitze nationaler und internationaler Bewertungslisten. Ihr Erfolgsrezept: Die Studenten aus 40 Nationen werden ganz besonders umsorgt.

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Foto von Erasmus-Studenten in Umeå (Foto: Ralf Bosen/DW)
Bild: DW/R. Bosen

Am Anfang war Ann-Kathrin Beck etwas geschockt. "Ich kam nach Umeå, und kein Mensch war da", berichtet die deutsche Studentin. Auf dem Weg von der Uni zum Wohnheim "hatte ich niemanden getroffen". Die Studentin der Politik- und Verwaltungswissenschaften war bereits eine Woche vor Semesterbeginn nach Nordschweden gereist. In einer Zeit, in der die Studentenhochburg tatsächlich wie ausgestorben wirkt. Denn die 38.000 Studenten und Uni-Mitarbeiter aus aller Welt hinterlassen während der Semesterferien eine große Leere. Die 80.000-Einwohner-Stadt lebt von der Universität - kulturell, aber auch wirtschaftlich.

Der gute Ruf des Bildungssystems

Mittlerweile ist das Semester in vollem Gange, in den Fakultäten pulsiert das Leben. Gruppenweise schieben sich junge Menschen durch den weißgetünchten großen Flur des Hauptgebäudes. Rechts und links des Ganges strömen andere Hochschüler, Professoren und sonstige Lehrkräfte in die Seminar- und Vorlesungsräume. Oder sie verschwinden an den Abzweigungen in schier endlos lange Korridore. Dazu hört man ein ständiges Stimmengewirr in den unterschiedlichsten Sprachen. Es ist nicht leicht, in der fünftältesten Universität Schwedens die Orientierung zu bewahren. Ann-Kathrin Beck aus dem schwäbischen Kurort Bad Buchau und die Psychologie-Studentin Anna Reith aus der osthessischen Kleinstadt Herbstein, die hier für ein Semester studieren, wissen aber mittlerweile, wo es auf dem Campus lang geht.

Blick auf den Campus der Universität Umea (Foto: Ralf Bosen /DW)
Das Gelände der Universität ist wie ein nordamerikanischer Campus gestaltetBild: cc-by-sa-3.0/Mikael Lindmark

"Ich wollte nach Schweden, weil ich noch nie in Skandinavien war und das Bildungssystem einen ausgezeichneten Ruf hat", sagt Ann-Kathrin Beck. Die 21-Jährige entschied sich aber kurzerhand gegen Stockholm und die anderen Uni-Städte im Süden des Landes. "Ich wollte lieber etwas Extremeres machen. Dann sah ich auf der Landkarte Umeå, das ziemlich weit nördlich liegt, und dachte mir: Das ist sicher nicht langweilig." Ihre Kommilitonin Anna Reith wählte die nordschwedische Stadt vor allem aus, weil der Unterricht auf Englisch erfolgt. "Ich wollte auch noch einmal eine neue Sprache lernen, und da war Schwedisch ein gutes Angebot", sagt die 23-Jährige. Beck und Reith werden als Austauschstudenten vom Erasmus-Programm gefördert, das zum "Lifelong Learning Programme" der Europäischen Union gehört. Mit dem Erasmus-Studium werden unter anderem Auslandsstudien ermöglicht und finanziell unterstützt.

Kennenlernprogramm für Auslandsstudenten

Um ausländische Studenten zu integrieren, starteten die Uni-Verantwortlichen vor einigen Jahren ein Programm zum Kennenlernen, das sogenannte Buddy-Programm. Die Buddys sind schwedische Studenten, die ihren internationalen Kommilitonen einen Einblick in die schwedische Kultur geben. "Am Anfang gibt es eine Zusammenkunft, bei der sich alle kennenlernen, aber dann bilden sich die Gruppen hauptsächlich von selbst", erzählt Ann-Kathrin Beck. Die schwedischen Buddys organisieren unterschiedliche Aktivitäten, die Bezug zu ihrer Heimat haben, "aber auch ganz lustige Sachen, wie zum Beispiel ein Abendessen, wo original schwedisches Essen gekocht wird". Meist gebe es dann die Fleischbällchen Köttbullar, für die Schweden so bekannt sei, und Preiselbeer-Kompott. "Man kann hier schlecht vereinsamen, wenn man es nicht darauf anlegt", ergänzt Anna Reith.

Die Erasmus-Studentin Ann-Katrin Beck macht sich das Essen in der Mikrowelle warm (Foto: Bosen /DW)
Statt Mensa-Essen: Ann-Kathrin Beck macht sich das Essen in der Mikrowelle warmBild: DW/R. Bosen

Daneben bietet die Universität Orientierungs- und Sprachkurse an und hat eine mehrsprachige Homepage, auf der alles Wichtige zur Region und zum Studium steht. Ein weiterer Vorteil: Von vornherein gibt es eine feste Zusage für ein Zimmer. Die riesigen Studentenwohnheime - ein Stadtteil besteht fast ausschließlich aus Studentenwohnheimen - sind mit etwa 24 Quadratmeter pro Zimmer geräumig, mit eigenem Bad ausgestattet und werden auch an Austauschstudenten vergeben. "Ein tolles Angebot", findet Anna Reith. "Ich musste nicht erst drei Wochen in einem Hostel schlafen, um dann in irgendeiner Kaschemme unterzukommen." Das Angebot hat sich auch für die Uni selbst ausgezahlt. So wurde sie 2012 zum zweiten Mal in Folge zu der Uni Schwedens gewählt, deren internationale Studenten am zufriedensten sind. Auch auf anderen Bewertungslisten liegt Umeå im Spitzenfeld.

Blick auf die wissenschaftliche Bibilothek von Umea
Die wissenschaftliche Bibliothek ist mit ihren 1,3 Millionen Bänden die größte NordschwedensBild: DW/R. Bosen

Lichtraum gegen Winterdepression

Der Campus beherbergt vier Fakultäten: Geisteswissenschaften, Medizin, Technik- und Naturwissenschaften sowie Gesellschaftswissenschaften. Diese sind für mehr als 50 Institute und 20 Forschungszentren verantwortlich. Den Fakultäten sind außerdem acht Hochschulen zugeordnet. Die 1965 gegründete Universität liegt am Stadtrand Umeås, aber mit ihren modernen Bauten und den idyllisch angelegten kleinen Seen wirkt sie fast wie ein kalifornischer Edelcampus. Kritik gibt es allerdings am Kantinenessen, das den meisten Hochschülern zu teuer ist. In den Pausenräumen stehen deshalb ganze Batterien von Mikrowellenherden, an denen sie sich ihr mitgebrachtes Essen warmmachen.

Wer es gerne warm und hell hat, sollte außerdem nicht gerade zum Wintersemester von Anfang September bis Mitte Januar nach Nordschweden gehen. Dann liegen die Temperaturen oft bei minus 20 Grad, und in der Stadt liegt der Schnee mehr als einen Meter hoch. Außerdem müssen sich vor allem ausländische Studenten daran gewöhnen, dass es bereits ab 13 Uhr dunkel wird. "Wenn ich mittags Uni-Schluss habe, fahre ich heim und bin dann auch müde, man ist ja nachmittags immer müde", sagt Anna Reith. Um Winterdepressionen vorzubeugen, hat die Uni einen Raum mit Tageslichtsimulation bereitgestellt, wo sich Studenten ihre tägliche Portion Licht holen können. In dem etwa 30 Quadratmeter großen Raum Aurora ist alles weiß: Boden, Decken und Wände ebenso wie Möbel und Kittel, die die Studenten dort tragen müssen. Selbst der CD-Player, aus dem Vogelgezwitscher klingt, ist weiß.

Ann-Kathrin Beck und Anna Reith im Tageslichtraum (Foto: DW/MichaelGessat)
Ann-Kathrin Beck und Anna Reith im TageslichtraumBild: DW/R. Bosen

Vom Dorfleben zur internationalen Wohngemeinschaft

Auch in Punkto Lehrplan mussten sich Beck und Reith umorientieren. An deutschen Universitäten gibt es mehrere Veranstaltungen zu verschiedenen Themen parallel, die mit einer Prüfung enden. "Hier ist es tendenziell so, dass ein Kurs mit Vorlesungen und Seminaren über vier Wochen läuft. Das heißt, man beschäftigt sich wirklich nur mit einer Thematik", sagt Ann-Kathrin Beck.

Die Entscheidung, hier zu studieren, haben beide Studentinnen nicht bereut. Anna Reith ist besonders von der Internationalität begeistert. "Ich komme aus Hessen, aus Hessisch-Sibirien, aus einem absoluten Dorfleben. Dort gibt es nicht mal viele Türken. Jetzt wohne ich mit einer Türkin zusammen, und das ist wunderbar." Ihr Gefühl, Europäerin zu sein, habe durch das Erasmus-Auslandsprogramm noch mal zugenommen. Umso schlimmer findet es Reith, dass die EU durch die Eurokrise so in Frage gestellt werde: "Ich habe gemerkt, dass mir der Zusammenhalt der EU total wichtig ist. Es müssten eigentlich noch viel mehr Studenten ins Ausland gehen und so eine Erfahrung machen."