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Mit Naivität gegen die NSA

Heiner Kiesel1. November 2013

Das Team um Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert auf die NSA-Schnüffelei mit gespielter Aufregung. Ein grüner Oppositionspolitiker bringt sie unterdessen weiter in Verlegenheit, meinen Experten.

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Angela Merkel mit Smartphone. (Foto: Reuters/Fabrizio Bensch)
Bild: Reuters/Fabrizio Bensch

Die Bundesregierung kann nicht wirklich vermitteln, dass es ihr Ernst ist mit ihrer Empörung über die Schnüffeleien der US-Geheimdienste. Sie kommt auch reichlich spät.

Als Anfang Juni Informationen über das NSA-Spähprogramm "Prism" bekannt werden, hält man sich in Berlin erst einmal zurück. Erst als der Verdacht laut wird, das Handy der Kanzlerin werde überwacht, kommt es zu empörten Äußerungen. "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", meint Merkel. Ihr Innenminister Hans-Peter Friedrich hält das Brechen von deutschen Gesetzen auf deutschem Boden für etwas, "das wir auf keinen Fall akzeptieren werden". Maßnahmen werden ergriffen, die eine geradezu grimmige Entschlossenheit der Belauschten ausdrücken: Eine Arbeitsgruppe soll sich in Washington umhören, was da eigentlich los ist.

Vielleicht erkundigen sie sich auch nach einer Anfrage aus dem Bundesjustizministerium, die dort seit dem Sommer unbeantwortet bei den US-Behörden liegt. Bisher hat sich offenbar niemand die Mühe gemacht, einmal nachzuhaken. Aber warum nach Amerika fahren - Antworten gibt es auch in relativer Nähe.

Hans-Peter Friedrich, Angela Merkel und Ronald Pofalla. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)
Emsige Aufklärer? Hans-Peter Friedrich, Angela Merkel und Ronald PofallaBild: Getty Images

An die Quelle gehen

Keine drei Flugstunden von Berlin entfernt sitzt Edward Snowden, der ehemalige CIA- und NSA-Mitarbeiter, in einem Moskauer Hotel. Er besitzt die Dokumente, auf denen die Enthüllungen der letzten Monate beruhen. "Seit Juni redet alle Welt von Edward Snowden und ich habe mir die Frage gestellt, warum fragt man ihn nicht selber", sagt der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Die Bundesregierung sei nicht gefahren, die Bundesanwaltschaft auch nicht, deshalb habe er sich selbst in Bewegung gesetzt und sei nach Moskau gereist.

In einem Brief, den Ströbele von Snowden mitgebracht hat, steht, dass sich der Whistleblower auf ein Gespräch mit jedem freut, der Aufklärung in der Sache sucht. So einer könnte Innenminister Friedrich sein.

Prinzipiell sei er dazu bereit, macht der Minister deutlich. Die Bundesregierung sei dankbar für alle Informationen, "egal ob durch Herrn Ströbele oder Briefe oder sonst etwas". Nein, eine aktive Kontaktaufnahme gebe es noch nicht, stellt kurz darauf der Sprecher des Innenministeriums klar.

Hans-Christian Ströbele mit dem Brief von Edward Snowden. (Foto: Getty Images/Sean Gallup)
Hans-Christian Ströbele mit dem Brief von Edward SnowdenBild: Getty Images/Sean Gallup

Ströbele kann sich gut vorstellen, dass ein Bundestags-Untersuchungsausschuss Snowden nach Deutschland holt. Damit würde die Bundesregierung faktisch gezwungen, dem Mann, der von den USA als Verräter verfolgt wird, Asyl zu gewähren. Das wird der Bundesregierung kaum gefallen.

Sie hätten es wissen können

Der IT-Experte und Berater der Bundesregierung Sandro Gaycken findet deren Verhalten fadenscheinig. "Natürlich sollten Entscheider auf diesem Level wissen, dass sie abgehört werden." Spielen die Politiker der Bundesregierung also scheinheilig und wider besseres Wissen die Empörten? Wer, wenn nicht sie - die Regierungschefin, der für die innere Sicherheit verantwortliche Minister und der Geheimdienstkoordinator - hätten sich im Klaren darüber sein müssen, dass Deutschland Ziel der Auslandsspionage der USA sein könnte?

"Vielleicht wussten sie wirklich nichts", sagt Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Universität zu Berlin. Weil aber Belege fehlen, dass die Regierung es besser wusste, spricht Münkler statt von Scheinheiligkeit lieber von einer "strategischen Naivität". Im Sommer hätten Friedrich und Pofalla das Thema - es war Wahlkampf - betont niedrig gehängt. Jetzt versuchten sie, ihr Image aufzupolieren. "Sie geben sich empört, und das hat mir ihren früheren Einlassungen zu tun: Sie stehen düpiert da und treten deswegen etwas kraftmeierisch auf", analysiert Münkler. Kein Minister gelte gern als Unwissender.

Sicherheit kontra Freiheit

In Münklers Wortschöpfung der "strategischen Naivität" ist enthalten, dass sich die betroffenen Politiker durch gezieltes Handeln durchaus hätten kundig machen können, es aber aus rationalen Gründen unterlassen haben. Möglicherweise aus der Überlegung heraus, dass sie die gewonnenen Informationen in Konflikte gebracht hätten.

Politologe Herfried Münkler. (Foto: Peter Endig/dpa)
Politologe Münkler attestiert den deutschen Sicherheitspolitikern "Schlafmützigkeit"Bild: picture-alliance/dpa

Amtsträger des Bundes verpflichten sich mit ihrem Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu verteidigen. Auf der einen Seite gibt es also die Freiheitsrechte der Bürger und auf der anderen Seite möglicherweise die Angst, dass die Sicherheit gefährdet sein könnte, wenn die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten beeinträchtigt wird. Hier würde es wahrscheinlich helfen, die eigenen Dienste fit für ihre Aufgaben zu machen.

Weniger zielführend werde es sein, meint der Politikwissenschaftler, weiterhin auf einem "Geht-nicht-unter-Freunden" zu beharren, wie es die Kanzlerin mache. "Mir ist das als Deutscher auch irgendwie peinlich, dass die Kanzlerin mit dem Reden über Freundschaft da Schutz vor Ausforschung einfordert", sagt Herfried Münkler. "Das ist Bettelei."

Es werde, so fürchtet er, durch die aktuelle Affäre wohl ein großer Scherbenhaufen zwischen Deutschland und den USA übrig bleiben. Ein positives Ergebnis könnte allerdings sein, dass das deutsche Verhältnis zu den USA künftig realistischer eingeschätzt wird.