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Die Stille von Eschborn

Joscha Weber1. Mai 2015

Ein Radrennen als Kulisse eines Terroraktes, kaum vorstellbar - bisher. Die Absage des Frankfurter Radklassikers hinterließ ein mulmiges Gefühl bei vielen Teilnehmern - auch bei DW-Sportreporter Joscha Weber.

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Plakat des abgesagten Radrennens (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Dort, wo sonst lange Menschenschlangen stehen und auf ihre Startunterlagen warten, dort, wo sich der Autoverkehr bis weit auf die Autobahn zurückstaut, dort, wo sonst überall Rennradfahrer entlangsausen, ist es jetzt ziemlich ruhig geworden. Eine Halle in einem Gewerbegebiet von Eschborn nahe Frankfurt am Main. Ein paar Helfer tragen Kisten nach draußen, verladen sie in ihre Autos. Zwei Radfahrer hieven ihre Rennmaschinen auf den Radträger am Auto. Eine Gruppe französischer Nachwuchsfahrer steht etwas ratlos in der Gegend herum. Kaum jemand spricht. Eine fast schon gespenstische Stille liegt über dem Startort von "Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt".

Auch ich bin angereist, um an der traditionellen Fahrt durch das bergige Umland von Frankfurt teilzunehmen. 115 Kilometer durch den Taunus mit dem Großen Feldberg als Höhepunkt – eine echte Herausforderung, selbst für trainierte Radsportler. Wie viele Starter erfahre auch ich erst unterwegs nach Frankfurt von einem geplanten Terrorakt im Umfeld des Radrennens, vor Ort wird mir klar: Das Rennen wird nicht stattfinden. Am Vorabend des Rennens ziehen Polizei und Veranstalter die Reißleine. Die Sicherheit der Veranstaltung könne nach den aufgedeckten Anschlagsplänen nicht gewährleistet werden.

Joscha Weber auf Rennrad (Foto: DW)
Wollte auch "Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt": DW-Reporter Joscha WeberBild: DW/A. Küppers

"Viele Teilnehmer waren enttäuscht"

Um mich herum bedrückte Mienen. Eine davon gehört Guido Fischer. Erst ist Chef der Anmeldung und sollte hier eigentlich die Ausgabe der Startnummern an gut 4500 Teilnehmer koordinieren. Stattdessen muss Fischer Gemüter beruhigen: Ein aufgebrachter Radsportler will von ihm wissen, warum genau das Rennen abgesagt wurde, ob er sein Startgeld zurückbekomme und warum man all das nicht früher hätte mitteilen können. "Viele waren enttäuscht, dass wir so kurzfristig absagen mussten. Wir versuchen Lösungen zu finden", sagt Fischer, kann aber auch noch nicht sagen, wie diese aussehen sollen. Alle haben Fragen, alle suchen nach Antworten. So fiel die Webseite des Radrennens unter dem Ansturm an Zugriffen zeitweise aus, das Handynetz am Startort brach zusammen. Also musste viel persönlich beantwortet werden – durch Menschen wie Guido Fischer. "Die meisten Teilnehmer konnten verstehen, dass wir das Rennen so nicht starten konnten. Die Sicherheit geht in jedem Fall vor."

Das sehen auch die meisten Athleten so. In einem Teamhotel in der Nähe des Startorts treffe ich Casper Folsach. Er ist aus Dänemark und wollte im Rennen der U23-Klasse starten - in einem Rennen, das als wichtiges Schaufenster für Nachwuchstalente auf dem Sprung ins Profilager gilt. "Natürlich ist mein ganzes Team enttäuscht. Wir sind neun Stunden angereist, haben uns auf das Rennen gefreut. Aber es war die richtige Entscheidung, wenn die Polizei nicht für die Sicherheit garantieren kann." Folsach hat auch eine Erklärung, warum gerade ein Radrennen zum Ziel eines möglichen Attentats wurde: "Ich denke, die Terroristen wollten einfach so viel Aufmerksamkeit wie möglich und haben sich dafür eine Großveranstaltung mit viel Medieninteresse ausgesucht."

Kein Rennen, stattdessen viele Fragen

Dylan Page kann dazu nur den Kopf schütteln. Ich treffe ihn am Hotel-Buffet. Der Nachwuchsfahrer ist aus der Schweiz angereist und ärgert sich sichtlich über die Rennabsage: "Ich war so motiviert, jetzt bin ich einfach nur enttäuscht. So eine lange Reise für nichts, schade." Mehr Verständnis hat Franco Adamo, der das Jedermannteam Strassacker leitet. Mit 20 Fahrern wollte die Mannschaft in Eschborn an den Start gehen und die Führung in der Jedermann-Serie "German Cycling Cup" verteidigen. Daraus wird nun nichts. "Nicht auszudenken, wenn etwas passiert wäre. Die Sicherheit von Fahrern wie Zuschauern steht an oberster Stelle", sagt Adamo, der danach sofort wieder zum Telefon greift und seine noch nicht angereisten Teammitglieder informiert. "Ihr könnt umdrehen, das Rennen fällt aus."

Kein Rennen, stattdessen viele Fragen. Eine beschäftigt mich besonders, was wäre passiert, wenn…? Eine Bombe direkt an der Strecke, die just in dem Moment, wenn ich gerade vorbeifahre… ein sehr mulmiges Gefühl beschleicht mich. Dass spätestens seit dem Attentat auf den Boston-Marathon auch der Sport keine terrorfreie Zone mehr ist, war mir klar. Aber irgendwie war all das weit weg, eher eine abstrakte Gefahr. Jetzt ist er plötzlich ganz nah, der Terror. Zu nah. Sie hat etwas beklemmendes, die Stille von Eschborn.