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Ein Dorf versorgt sich selbst

Anne Herrberg9. März 2009

In Schönau im Schwarzwald gründete eine Gruppe von Bürgern ihr eigenes Stromwerk. Heute gehören die "Schönauer Stromrebellen" zu den größten alternativen Stromversorgern.

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Blick auf das Dach der Kirche in Schönau mit ihren Solarzellen (Foto: EWS Schönau)
Blickfang und gutes Beispiel: die Kirche von SchönauBild: EWS-Schönau GmbH

Die Bergkirche von Pfarrer Hasenbrinck ist das erste, was einem auffällt, wenn man nach Schönau kommt. Ihr Dach ist komplett bedeckt mit Solarzellen. Mit dieser Solaranlage seien Gräben überwunden worden, bemerkt der Pfarrer stolz: "Ganz viele haben sich eingesetzt für unser Schönauer Schöpfungsfenster."

Gegen den Protest des Denkmalamts, der Stammtische und der Schützenvereine ist die Bergkirche mit Photovoltaik ausgestattet worden. Das ist nur die kleinste Errungenschaft, die die "Schönauer Stromrebellen" gegen eingerostet geglaubte Strukturen gewonnen haben.

Tschernobyl als Initialzündung

Blick auf das AKW Tschernobyl im Schnee (Foto: GRS)
Tschernobyl war für viele ein Symbol für die Gefahren von AtomstromBild: GRS

Alles begann im April 1986. Mit dem Unfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl stieg das Unbehagen, das viele Bürger mit der Atomenergie verbunden hatten. Die heutige Geschäftsführerin der "Energiewerke Schönau" Ursula Sladek erinnert sich: "Damals waren wir noch sehr naiv. Wir haben gedacht, jetzt werden die Politik und die großen Energieversorger etwas ändern - jetzt, wo sie sehen, wie gefährlich die Atomenergie ist." Aber schnell sei klar geworden, dass man selbst etwas tun müsse, dass die eigenen Ärmel hochgekrempelt werden müssten. "Das haben wir dann auch gemacht", so Sladek.

Zuerst war es vor allem die Sorge um die eigenen Kinder, die eine Gruppe Schönauer Bürger dazu trieb, die Elterninitiative für eine atomfreie Zukunft zu gründen. Sie veranstalteten Energiespar-Wettbewerbe, um ein Bewusstsein zu schaffen, und unterstützten traditionelle Wasserkraftwerke, um Alternativen aufzuzeigen. In Workshops wollten sie mehr über die Möglichkeiten regenerativer Energien erfahren. Doch der regionale Energieversorger, die KWR, blockte jeden Versuch der Bürger rigoros ab, etwas am Status Quo zu verändern.

Eigeninitiative als Weg aus der Unzufriedenheit

Ursula und Michael Sladek stehen auf einer Treppe vor dem EWS-Gebäude (Foto: dpa)
Die Gründung der EWS war ein gewagter Schritt, aber es hat funktioniertBild: picture-alliance/ dpa

Michael Sladek ist über diese Tatsache heute noch verärgert. Es sei die Arroganz der Macht gewesen, die er gefühlt habe. Dagegen galt es anzugehen: Wenn man gegen besseres Wissen in einem demokratischen System - wie es die Bundesrepublik ist - nicht den Mund aufmachte, dann sei ihm auch nicht klar, in welchem System man eine Veränderung hinbekommen könne, so Sladek.

Die Entscheidung der Schönauer Initiative war gefasst. Dem Energieversorger, der sich gerade um eine neue Konzession für das Städtchen bewarb, galt es, die Stirn zu bieten: als EWS, als alternative "Energiewerke Schönau". Im Rückblick erscheint Ursula Sladek diese Idee wahnwitzig, das Stromnetz der Gemeinde übernehmen zu wollen. "Es war schon klar, dass das eine gigantische Herausforderung war."

David gegen Goliath

Der regionale Monopolist KWR spielt seine Machtposition aus: Er hatte jahrelange Erfahrung, die Hand auf dem Stromnetz, viel mehr Geld und vor allem den Gemeinderat auf seiner Seite. Die EWS dagegen hatte Rückendeckung von der gerade aufkeimenden Anti-Atomkraftbewegung. Experten aus ganz Deutschland und die alternative GLS-Bank halfen, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Vor allem aber halfen die Schönauer Bürger: Sie ließen sich vom Konzept der alternativen Energiewerke überzeugen, investierten in das Bürgerunternehmen und stimmten - in insgesamt zwei einberufenen, hitzigen Bürgerentscheiden - für die Schönauer Stromrebellen.

Strommasten vor blauem Himmel (Foto: picturealliance)
Der Strom für Schönau ist ÖkostromBild: picture-alliance / chromorange

Die Häme des Monopolisten war groß: Wie will Fritzchen sich denn um den Posten des Installateurmeisters bewerben, spöttelte die KWR und setzte acht Millionen Mark für den Verkauf des Stromnetzes an. Die EWS lancierten eine bundesweite Spendenkampagne, die von einer jungen Werbeagentur und den Medien kostenlos unterstützt wurde. Innerhalb weniger Wochen war das Geld zusammen. In Schönau habe dieser Wandel auf dem Strommarkt auch noch ganz andere Dimensionen gehabt, meint Michael Sladek. "Veränderung der Energiepolitik ist Veränderung der Gesellschaftspolitik", sagt er. Für die Bürger in Schönau sei die EWS zwar ein Stromverkäufer, aber hinter dem Produkt stehe etwas ganz Anderes.

Erst Strom, dann Gas – die EWS expandiert

Die EWS kooperiert inzwischen mit alternativen Energieversorgern in ganz Europa, den USA und Kanada. Seit Januar 2009 ist sie zudem in die Gaswirtschaft eingestiegen. Selbst der Bürgermeister von Schönau Bernhard Seger, der zur Gründung noch skeptisch war, muss nach all den Jahren zugeben: "Ich denke, heute identifizieren wir uns mit diesem Unternehmen."