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Politische Korrektheit

Marie Todeskino19. Februar 2013

Wie politisch korrekt muss Sprache sein? Darüber debattiert nicht nur Deutschland häufig, sondern auch andere Länder. DW-Journalisten und Sprachwissenschaftler geben einen Einblick.

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Buchstabensalat (Foto: fotolia/babimu)
BuchstabensalatBild: fotolia/ babimu

An seinem ersten Arbeitstag in Deutschland sprach Shitao Li, Journalist in der Chinesisch-Redaktion der DW, seinen neuen Chef mit dem Wort "Führer" an - und erntete fassungslose Blicke. Li erklärt: "Für mich war der Begriff im Chinesischen ganz normal. Ich wusste nicht, dass man 'Führer' in Deutschland nicht sagt." Der Ausdruck war im Dritten Reich die Bezeichnung für Nazi-Diktator Adolf Hitler.

Nicht nur wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht, gibt es in Deutschland Tabu-Worte. Erst im Januar gab es eine öffentliche Debatte um die Frage, ob der Ausdruck "Neger" noch in Kinderbücher gehöre. Zur Entstehungszeit von beliebten Klassikern wie "Die kleine Hexe" (1957) wurde dieser rassistische Begriff von der Mehrheit der Deutschen als nicht diskriminierend eingeschätzt, heute wird das anders gesehen.

Debatte um Rassismus in Kinderbüchern: die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" (Foto: DW)
Debatte um Rassismus in Kinderbüchern: die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit"Bild: DW

Kritikern gehen solche Änderungen jedoch zu weit, sie fürchten eine Verfälschung der Werke. Auch der Vorwurf einer "vorauseilenden politischen Korrektheit" steht im Raum. Helen Whittle findet das merkwürdig: "Ich bin oft schockiert, was man in Deutschland alles sagen darf, zum Beispiel das Wort 'Mohrenkopf'. Die Sprachsensibilität ist in Großbritannien viel stärker", erklärt die britische DW-Redakteurin.

Auch Kate Müser, DW-Kulturredakteurin aus den USA, kann nicht nachvollziehen, dass bestimmte Ausdrücke in Deutschland nicht als problematisch angesehen werden: "Heute sagt man in den USA African Americans. Die Ausdrücke Schwarze oder gar Farbige sind verpönt."

Politische Korrektheit als Vorwurf

Die USA sind sozusagen das Mutterland der Diskussion um die politische Korrektheit der Sprache. Die Bewegung kam in den 80er Jahren auf. Anhänger befürworten eine kritische Auseinandersetzung mit sensiblen Begriffen: Sprache dürfe niemanden auf Grund seiner Hautfarbe, seines Geschlechts oder seiner Religionszugehörigkeit diskriminieren. Wenn Ausdrücke abwerten und verletzen, dann sollten sie im Sinne einer politischen Korrektheit geändert werden.

Ein Beispiel dafür ist der Begriff "Zigeuner" in Deutschland. Nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Bezeichnung mit "Diebstahl" und anderen diffamierenden Assoziationen verknüpft. Diese Abwertung spiegelt sich im heute politisch korrekten Begriff "Sinti und Roma" nicht mehr.

Gegner von politischer Korrektheit kritisieren jedoch, dass eine Ersetzung von rassistischen Formulierungen nichts an der gesellschaftlichen Realität von Betroffenen ändern würde. Ist der Streit um diskriminierende Sprache nur eine Scheindebatte? Nein, sagt der Sprachwissenschaftler Martin Wengeler, denn: "Sprache bildet Realität nicht nur ab, sie schafft sie auch." Deshalb sei es nicht egal, wie Menschengruppen bezeichnet würden. Mit neuen Ausdrücken fielen abwertende Intentionen, denen man sich unter Umständen gar nicht bewusst sei, weg. Wengeler lehrt Germanistische Linguistik an der Universität Trier und gehört der Jury an, die jedes Jahr unter großer medialer Aufmerksamkeit das "Unwort" des Jahres kürt. Auch er musste sich schon häufiger den Vorwurf einer allzu eifrigen politischen Korrektheit gefallen lassen.

Prof. Dr. Martin Wengeler lehrt Germanistische Linguistik an der Universität Trier
Linguistik-Professor Martin WengelerBild: Martin Wengeler

Dramatische Ereignisse als Auslöser

In vielen anderen Ländern gibt es dagegen keine öffentlichen Debatten über abwertende Äußerungen: "In Deutschland wird stärker auf Worte geachtet. Das ist in Russland noch nicht so", sagt der russische Journalist Andrey Kobyakov. Er arbeitet in der russischen Redaktion der DW. Das bedeute aber nicht, dass es in Russland keine rassistischen Begriffe gebe.

Dagegen berichtet der gebürtige Iraner Eskandar Abadi, Redakteur in der Persisch-Redaktion der DW: "Ähnlich wie in Deutschland gibt es im Iran unter Intellektuellen Kontroversen über bestimmte Bezeichnungen und ihre moralische Korrektheit. In Deutschland läuft das nur offizieller über die Medien ab."

Woran liegt es, dass in manchen Ländern heftige Diskussionen über bestimmte Bezeichnungen aufkommen, in anderen aber nicht? "Auslöser sind immer dramatische Ereignisse, die so schlimm sind, dass ein großer Teil der Bevölkerung sie als unerträglich betrachtet", erläutert Ulrich Ammon, Professor für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Soziolinguistik an der Universität Duisburg-Essen. Dazu gehörten zum Beispiel die brutalen Morde des Ku Klux Klans an Afro-Amerikanern in den USA oder der Nationalsozialismus in Deutschland.

Indien diskutiert

Das gelte längst nicht nur für Europa oder die USA. Kürzlich kehrte Ammon von einem Forschungsaufenthalt im indischen Pune zurück: "Dort gab es in den letzten Wochen eine heftige Diskussion um die Diskriminierung von Frauen. Dabei ging es in vielen Zeitungen auch um Schimpfwörter und verachtende Formulierungen." Diese breite Debatte sei nach der furchtbaren Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau neu aufgekommen.

Bildbeschreibung: Prof. Dr. Ulrich Ammon lehrt Linguistik an der Universität Duisburg-Essen
Sprachwissenschaflter Ulrich AmmonBild: Ulrich Ammon

Ammon sieht jedoch noch einen weiteren Grund dafür, warum politische Korrektheit gerade in Deutschland und den USA ein großes Thema ist: "Es gibt hier eine sprachwissenschaftliche Tradition, die sich auf den Zusammenhang von Sprache und Denken beziehungsweise Wahrnehmung gerichtet hat." Eine Debatte über abwertende und beleidigende Begriffe liegt da nahe.

Wie weit darf Sprachsensibilität gehen?

Wie weit Korrektheit gehen darf, ist auch unter Experten eine Streitfrage. Für Ulrich Ammon wird es zum Beispiel schwierig, wenn die "Behinderung" zur "Herausforderung" wird: "Natürlich ist es ermutigend, wenn man Menschen nicht schon durch den Ausdruck nahe legt, dass sie schwer behindert sind." Dennoch dürfe daraus nicht folgen, dass diese Menschen nur "herausgefordert" seien und sich jederzeit selbst helfen könnten.

Martin Wengeler unterstreicht jedoch auch: "Sprache ist für die eigene Identität wichtig." Das bedeutet: Menschen, die sich durch bestimmte Begriffe diskriminiert fühlen, sollten auch mitentscheiden dürfen, wie sie künftig bezeichnet werden. Eine Schlussfolgerung, die sich auch auf die deutsche Debatte um die Änderung von Kinderbüchern beziehen lässt: Politische Korrektheit muss sich vor allem an den Betroffenen orientieren.