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Die Detox-Kur der Piraten

Kay-Alexander Scholz12. Mai 2013

Auf ihrem Parteitag haben die Piraten einen Neuanfang versucht und sich von Ballast befreit. Sie wollen trotz mieser Umfragewerte in den Bundestag. Dabei helfen sollen ein neues Programm und mehr Teamgeist.

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Schriftzug 'Bitte kein Tumult' beim Bundesparteitag der Piratenpartei (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das vergangene Jahr lief schlecht für die Piratenpartei in Deutschland. In Meinungsumfragen sanken ihre Umfragewerte von 13 auf 3 Prozent. Schlagzeilen machten die Piraten hauptsächlich mit innerparteilichen Querelen, seltsamen TV-Auftritten des ehemaligen Geschäftsführers Johannes Ponader und Shitstorms bei Twitter gegen eigene Mitglieder. Dem Piraten-Hype folgte ein ziemlicher Kater - in der Partei und in der öffentlichen Wahrnehmung. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid ergab, dass derzeit vier von fünf Bundesbürgern mit einem Scheitern der Piraten bei der Bundestagswahl im September rechnen, die Piraten also nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, um Abgeordnete in den Bundestag entsenden zu können.

Auf ihrem am Sonntagabend (12.05.2013) zu Ende gegangenen dreitägigen Parteitag im bayerischen Neumarkt haben die Piraten nun deshalb den Neustart versucht. Wir wollen in den Bundestag und müssen deshalb geschlossen auftreten - so lautete der zentrale Parteitagsslogan. Die neue politische Geschäftsführerin Katharina Nocun formuliert es noch ein wenig derber: "Die Piraten sollen sich für den Wahlkampf den Arsch aufreißen und gefälligst nach vorne schauen."

Wieder eine Frau

Vermutlich wird sie selber den zentralen Part dabei übernehmen. Die sympathische und eloquente 26-jährige Studentin mit polnischem Migrationshintergrund ist das neue Gesicht der Piratenpartei für die Medien. In ihrer ersten Pressekonferenz parierte Katharina Noturn gekonnt die Fragen der Journalisten. Sie bezeichnete die Piraten als ein langfristiges Projekt. Wenige Stunden nach ihrer Wahl mit 81-prozentiger Zustimmung zierte ihr Gesicht auch schon die Berichterstattung der großen deutschen Online-Angebote.

Katharina Nocun (Foto: dpa)
Das neue Gesicht der Piraten: Katharina NocunBild: picture-alliance/dpa

"Sie bringt uns sicherlich zwei Prozentpunkte mehr in den Meinungsumfragen", sagte ein Pirat aus Baden-Württemberg. Mit einer Frau an der Spitze haben die Piraten schon einmal gute Erfahrungen gemacht: Marina Weisband führte in den Jahren 2011 und 2012 die Partei in die Erfolgsspur. Sie sorgte für eine gute Medienresonanz und intern für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Fraktionen.

Auf dem Weg zum Vollprogramm

Hauptaufgabe des Parteitags waren jedoch keine Personalentscheidungen. Die Piraten haben in Neumarkt ein Wahlprogramm beschlossen, das mit dem Image der Ein-Themen-Partei aufräumen will. Arbeit, Soziales, Europa, Außenpolitik, Bildung - zu vielen klassischen politischen Thema haben sich die Piraten inzwischen nicht nur eine Meinung gebildet, sondern ein Programm erarbeitet, auch wenn es an manchen Stellen noch ein rudimentäres ist. Sie wollen, so heißt es, die progressive Partei für das 21. Jahrhundert sein und die gesamte Gesellschaft an die digitale und globalisierte Zukunft anpassen. Zentrale Maxime ist der Anspruch auf Teilhabe für alle Bürger. Das betrifft nicht nur die Internetkommunikation, sondern auch anderen Lebensbereiche wie Bildung oder soziale Teilhabe.

Ihrem linksliberalen Profil bleiben sich die Piraten treu, das zeigt auch das Wahlprogramm. Sie fordern einen Staat, der sich um alle Bürger kümmert. Für das Leben im Netz aber fordern sie maximale Freiheitsrechte. So stehen sie ein für gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität, eine Reform des Urheberrechts und die Legalisierung von Tauschbörsen im Internet. Sie sind gegen staatliche Überwachungssoftware oder Service-Provider, die als Internet-Polizei auftreten.

Schon vor einigen Wochen hatten die Piraten der Öffentlichkeit für die verschiedenen Politikbereiche Themenbeauftragte vorgestellt. Sie sollen Ansprechpartner für Medien und Bürger sein und zum Beispiel erklären, wie genau der Übergang zum bedingungslosen Grundeinkommen gedacht ist. Die Zeiten, in denen die Piraten auf viele politische Fragen antworteten, sie hätten sich noch keine Meinung gebildet, scheinen vorbei zu sein.

Online oder Offline?

Eine Premiere in Deutschland war die Mischung aus Online- und Offline-Diskussion des Wahlprogramms. Auf dem parteiinternen "Schwarzen Brett im Internet", dem Tool Liquid Feedback, wurden im Vorfeld hunderte Anträge diskutiert. Die Parteiführung filterte die Anträge und stellte sie dem Parteitag in Modulen zur Abstimmung. Das ging dann ziemlich schnell über die Bühne. Allerdings war am Rande des Parteitags auch zu hören, dass etwas mehr Diskussionen nicht schlecht gewesen wären, denn dafür seien Parteitage doch gedacht.

Die eingesparte Zeit floss in die Debatte über die sogenannte Ständige Mitgliederversammlung, kurz: SMV. Über diesen Punkt - und nicht über Personen oder das Programm - stritten sich die Piraten auf diesem Parteitag am längsten und leidenschaftlichsten. Manche Piraten betrachteten die Geschäftsordnung eines Parteitags offenbar als sportliche Herausforderung. Mit allen möglichen verfahrenstechnischen Winkelzügen versuchten die Gegner der SMV, eine Abstimmung zu verhindern, nachdem ein unverbindliches Meinungsbild zuvor eine Mehrheit pro SMV ergeben hatte. Die Feinheiten dieses Verfahrens waren für Laien kaum noch nachvollziehbar.

Zwei Mikrofone für Pro- und Contra-Beiträge für die Delegierten (Foto: dpa)
Diskutiert wurde online und offline...Bild: picture-alliance/dpa

Nach zweimaliger Vertagung wurde am dritten und letzten Tag des Parteitreffens dann endlich über die SMV abgestimmt. Kein Antrag für die SMV fand die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Satzungsänderung. Die Befürworter einer SMV wollten "die Schwächen des Basisdemokratie" technologisch lösen. Diskussionen und Abstimmungen könnten zu jeder Zeit im Netz und bundesweit stattfinden. Wer wegen Arbeit oder Familie nicht abstimmen kann, könnte seine Stimme an andere delegieren. Doch die Kritiker setzten sich durch. Sie befürchten, dass "Super-Delegierte" entstehen, da auch mehrstufiges Delegieren möglich wäre. Auch gibt es aus Datenschutzgründen Vorbehalte gegen ein solches System.

Keine Showeinlagen, strenge Regie

Männer, die vor Rechnern sitzen und ständig etwas eintippen - auch dieses Mal bot sich dieses Bild wieder bei den Piraten. Dennoch hat sich etwas geändert. Es gab mehr Frauen und Vertreter der Generation 20plus im Saal. Gerade unter den jüngeren Piraten gibt es viele durchschnittlich aussehende Studenten. Unter den Älteren vertreten bleibt die Fraktion der sogenannten Alt-68er, die aus der linken Protestbewegung stammen - und was man ihnen äußerlich auch ansieht.

Die Stimmung auf dem Parteitag war insgesamt ernster und arbeitsamer als zuvor. Auch gab es weniger Parteifolklore wie Showeinlagen verkleideter Piraten. Die Parteitagsführung führte ziemlich autoritär Regie, Redezeiten wurden streng eingehalten, Störungen geahndet. Und es wurde aufgeräumt: Mitglieder, die zwölf Monate keine Beiträge zahlen, werden nun ausgeschlossen. Und weil die Partei einige Probleme mit Mitgliedern am rechten politischen Rand hatte, wurde eine Unvereinbarkeitserklärung mit der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" beschlossen.

Zahlreiche Delegierte halten ihre Stimmkarten in die Höhe (Foto: dpa)
...und auch abgestimmtBild: picture-alliance/dpa

Rund 1300 Piraten - und damit etwas weniger als erwartet - waren auf dem Parteitag. Trotzdem lag die Teilnehmerzahl doppelt so hoch. Denn bis zu 1600 nutzten den Livestream im Internet vom heimischen Rechner aus. Nur abstimmen konnten sie - noch - nicht.