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Die NATO will Regeln für Krieg im Internet

Spencer Kimball / Übersetzung: Dirk Kaufmann7. Juli 2014

Das nordatlantische Verteidigungsbündnis will bis zum Gipfel im September eine neue Strategie für den Krieg im Netz formulieren. Dabei geht es um die Frage, wie das Kriegsvölkerrecht auf den Cyber-War anzuwenden ist.

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US-Soldat vor Compzuter (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Jahrelang gab es innerhalb der NATO keinen gesetzlichen Rahmen, der die Regeln für den Krieg im Internet formuliert. Vor dem nächsten NATO-Gipfel im September in Wales nähern die 28 Mitgliedsstaaten des Verteidigungsbündnisses ihre Standpunkte an: Sie wollen offiziell die Regeln des Kriegsvölkerrechts auch im Cyber-War anwenden. Das hätte weitreichende Konsequenzen darauf, wann und wie ein Krieg im digitalen Zeitalter geführt würde.

"Die Verbündeten wollen erreichen, dass das internationale Recht auch im Cyber-Space gilt", sagte Christian Lifländer von der "Cyber Defence Section" im NATO-Hauptquartier am Rande des diesjährigen Global Media Forums der Deutschen Welle. "Die NATO kann keine Gesetze erlassen, aber die Mitgliedsstaaten können sich für die Anwendung internationaler Gesetze aussprechen", sagte Lifländer und erwähnte ausdrücklich das Kriegsvölkerrecht.

Computer-Tastatur vor einem elektrischen Schaltplan (Foto: picture-alliance)
Der Krieg der Zukunft sieht nur auf den ersten Blick "sauber" ausBild: picture-alliance/dpa

Überfälliger Schritt

Das Kriegsvölkerrecht regelt das Recht, wann und wie es zum Krieg kommen kann und welche Gesetze im Krieg selbst gelten. Dazu gehört auch das sogenannte humanitäre Völkerrecht. Das regelt zum Beispiel, wer Kriegsteilnehmer ist und wer nicht oder wie mit Kriegsgefangenen und Kulturgütern umgegangen wird. So dürfen Staaten nur gegen andere Kriegsteilnehmer und militärische Ziele vorgehen. Angriffe auf Zivilisten und ihr Eigentum, wie etwas Häuser, Krankenhäuser und Schulen, sind verboten.

Wäre das Kriegsvölkerrecht für einen Krieg im Internet verpflichtend, böte es den Mitgliedsstaaten eine größere Sicherheit bei der Durchführung von Online-Attacken, sagt Michael Schmidt, Direktor des Stockton Center für Internationales Recht am US Naval War College. "Das ist ein wichtiger und lange überfälliger Schritt", so Schmidt. "Die Vorstellung, in einen Krieg zu ziehen ohne zu wissen, welche Gesetze dort gelten, ist sehr verwirrend - speziell bei einem Cyber-War in einer Zeit, in der Cyber-Attacken eine zentrale Rolle auch in bewaffneten Konflikten zukommt."

Bundeswehr-Patrouille in Afghanistan (Foto: imago)
Immer häufiger werden militärische Operationen online unterstützt oder vorbereitetBild: imago/EST&OST

Direkte und indirekte Gefahr für Zivilisten

Zwar werden immer häufiger militärische Operationen digital, also im Cyber-Space, geführt, doch haben sich viele Regierungen noch keine Gedanken darüber gemacht, welche Regeln dafür gelten sollen. Obwohl eine Cyber-Attacke ein Ziel nicht physisch vernichtet wie bei einem Bombenangriff, kann sie dennoch katastrophale Folgen für Zivilisten und ihr Eigentum haben.

Laut Laurent Gisel, Rechtsberater am Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, warnen viele Experten vor Szenarien, wie Cyber-Operationen das Leben und die Gesundheit Tausender Zivilisten bedrohen können: Durch eine Online-Attacke kann man Staudämme öffnen und Überschwemmungen verursachen oder auch chemische Fabriken und Atomkraftwerke so beschädigen, dass es zu Umweltkatastrophen und Versuchungen kommt.

Sogar ein gezielter Angriff, der nur die militärischen Fähigkeiten eines Gegners beeinträchtigen soll, könnte sogenannte Kollateralschäden mit zivilen Opfern verursachen. Wenn eine kriegführende Partei beispielsweis versucht, das Radarsystem eines Gegners auszuschalten, wäre auch die zivile Luftfahrt gefährdet: Es könnte zu Flugzeugabstürzen kommen. "Zum Glück hat es bislang keine Angriffe im Cyber-Space mit physischen Zerstörungen gegeben", sagt Gidel. "Dennoch sind wir besorgt, dass es dazu kommen könnte."

Recht auf Selbstverteidigung?

Nach Artikel 36 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention sind Staaten verpflichtet, das Kriegsvölkerrecht auch bei neuen militärischen Werkzeugen und neuen Möglichkeiten der Kriegsführung anzuwenden. Wie das konkret umzusetzen ist, hat im vergangenen Jahr eine Forschungsgruppe von 20 Experten mit Unterstützung der NATO untersucht und die Ergebnisse als sogenanntes "Tallinn-Handbuch" veröffentlicht.

Darin stellten die Experten fest, dass das Kriegsvölkerrecht auch in der digitalen Welt gelten muss. Zudem kamen sie zu dem Schluss, dass es keinen großen Unterschied macht, ob das Kriegsvölkerrecht auf Kriege mit Kanonen oder auf Kriege mit Computern angewendet wird. Cyber-Attacken, die zivile Opfer fordern, müssten genauso verboten sein wie Luftangriffe auf Krankenhäuser und Schulen.

Die Fragen, wann eine Online-Attacke das UN-Verbot der Gewaltanwendung verletzt und wann ein angegriffener Staat seinerseits Gewalt anwenden darf, um auf eine digitale Attacke zu antworten, seien viel komplizierter gewesen, sagte Forschungsleiter Michael Schmidt. Einig war man sich, dass ein Cyber-Angriff, der neben digitalen auch reale Schäden anrichtet, vom Angegriffenen beantwortet werden darf. Der dürfe - innerhalb der Selbstverteidigungsregeln der UN-Charta - ebenfalls Gewalt anwenden, sei es durch einen eigenen Online-Angriff oder etwa durch einen Luftangriff. Strittig war hingegen, ob das Selbstverteidigungsrecht auch gelten sollte, wenn ein Angriff "nur" digitale aber keine realen physischen Schäden verursacht. Michael Schmidt selbst würde auch in diesem Fall das Recht auf Selbstverteidigung befürworten: "Wir schauen darauf, wie schwerwiegend eine Operation ist, und nicht, ob sie physisches Leid und Schaden hervorruft."