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Die Magie der Flöte

Suzanne Cords25. Juli 2013

35.000 Jahre soll die älteste Flöte der Welt sein, die ein Steinzeitmensch aus den Knochen eines Geiers schnitzte. Rund um den Erdball gehören Flöten zum Kulturerbe der Menschheit und bieten eine unendliche Tonvielfalt.

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Johannes spielt an einer Schweriner Musikschule auf der Blockflöte
FlötenschülerBild: picture-alliance/dpa

Ob mit oder ohne Mundstück, aus Holz, Schilfgras, Blech oder Knochen: Die Flöte ist das älteste Blasinstrument überhaupt und in Afrika genauso populär wie in Asien, Amerika oder Europa. Während Kinder in Deutschland normalerweise der Blockflöte die ersten Töne entlocken, spielen ihre Altersgenossen in der Türkei die "Ney", in den Anden die Panflöte und in Irland die "Tin Whistle" aus Blech. Die Flöte untermalt mit hypnotischen Klängen kultische Rituale der Naturvölker, sie dient buddhistischen Mönchen bei Zeremonien und Hirten beim Viehhüten, und sie erklingt in der Kirche ebenso wie auf dem Tanzboden. Kurzum: Kaum ein Instrument ist so vielseitig einsetzbar und in so vielen Varianten mit den unterschiedlichsten Tonleitern zu finden.

Flötentöne und Fachvokabular

"Flöte ist noch lange nicht gleich Flöte", bestätigt denn auch der Musiker Wolfgang Meyering lachend, "aber um all diese Unterschiede zu kennen, muss man schon ein ausgebildeter Experte sein. Da wären Längs- und Querflöten, Schnabelflöten, Einhand- und Obertonflöten, solche mit und ohne Kernspalt oder Mundstück, mit und ohne  Grifflöcher. Es gibt die Kaval, die Quena, die Peul oder die Shakuhachi. Wollen Sie noch mehr hören?" Einem Laien wird ganz schwindelig bei so viel Flöten-Fachvokabular.

Der Musiker Wolfgang Meyering Foto: Horst Krauth Bild: KH foto Rechte geklärt
Wolfang Meyering leitete das Projekt "Magic Flutes"Bild: HKfoto

Doch Meyering hat unlängst das Unmögliche möglich gemacht, und Flötisten aus 15 Ländern zum "Magic Flutes"-Experiment eingeladen. Vier Tage lang hatten die Virtuosen aus aller Welt Zeit zum Üben, bevor sie beim Rudolstädter Weltmusikfestival 2013 gemeinsam vor Publikum auftraten und den andächtig lauschenden Zuhörern im wahrsten Sinne des Wortes die unterschiedlichsten Flötentöne beibrachten: mal archaisch und Ehrfurcht gebietend, dann wieder verspielt oder klassisch angehaucht.

Was eine Blockflöte alles kann 

Aus Deutschland war Heike Merzig mit von der Partie. Sie lernte schon in der Schule Blockflöte und ist ihrer ersten Liebe bis heute treu geblieben. Längst hat sie sich von der auf dem Instrument verbreiteten Barockmusik verabschiedet, spielt Folk und Jazz und macht es ihren Vorfahren aus dem Mittelalter nach, die sich keine Genregrenzen auferlegen ließen.  Anno dazumal war das Instrument in deutschen Landen in allen Bevölkerungsschichten beliebt. Improvisierte Flötentöne erschallen beim Gaukler auf dem Marktplatz ebenso wie im Wirtshaus oder beim Erntefest, während Komponisten wie Bach, Händel oder Vivaldi gleichzeitig klassische Flötenwerke zu Papier brachten. Es gab kunstvolle und selbstgeschnitzte Exemplare, das Instrument war leicht zu transportieren – alles ideale Voraussetzungen für seine große Verbreitung.

Flötenspieler mehrerer Nationen auf einer Bühne in Rudolstadt Foto: Horst Krauth
Flötenspieler aus aller Welt beim "Magic Flutes"-KonzertBild: HKfoto

Küchenpartys mit der Tin Whistle

Was die Blockflöte für Deutschland ist, das ist die Tin oder Penny Whistle aus Blech für die britischen Inseln: preiswert, überall erhältlich und zumindest in den Grundzügen leicht zu erlernen. Ein Meister auf der sechslöchrigen Flöte ist der Ire Alan Doherty: Millionen dürften sein Spiel vom Soundtrack von "Der Herr der Ringe“ kennen, für den der gebürtige Dubliner die Flötenparts beisteuerte. "Mein Instrument ist sehr kraftvoll und laut", erzählt er. Das ist auch nötig, denn es wurde traditionell bei Sessions in Pubs gespielt, wo man sich ohne Mikrofon Gehör verschaffen musste.

Nicht immer bekamen die Musiker Geld für ihre Auftritte; stattdessen floss Bier, um die Band bei Laune zu halten. "Irische Flötenmusik hat eben vor allem einen sozialen Charakter", betont  Doherty. "Wir Iren feiern, tanzen und singen gern. Das war der katholischen Kirche aber ein Dorn im Auge, deswegen haben wir jahrzehntelang so genannte 'Küchen Partys' am heimischen Herd veranstaltet oder uns heimlich an irgendwelchen Straßenkreuzungen getroffen, und dort zum Tanz aufgespielt. Händchen halten war ja anderswo verboten."  Diese Zeiten seien gottlob seit den 60er Jahren vorbei, lacht er, als Bands wie The Chieftains und Jethro Tull die Flötentöne gesellschaftsfähig machten. 

Die Sehnsucht der Ney

Verboten war auch lange Zeit die Musik der islamischen Ordensgemeinschaft der Sufi in der Türkei, deren zentralen Klang die Neyflöte liefert. Als die ottomanische Gesellschaft der Sultane von Kemal Ataktürk und der Republik abgelöst wurde, verbannte man auch alle Traditionen der alten Zeit, inklusive der hypnotischen Sufi-Klänge, die die Derwische zum Tanzen brachten. "Erst in den 80er Jahren, als der Tourismusbranche den ausländischen Gästen Kulturgut bieten wollte, kam die Sufi-Musik mit Macht zurück", erklärt Kudsi Erguner. Der Virtuose auf der Ney kämpft schon lange darum, dass die Kompositionen vergangener Jahrhunderten nicht verloren gehen.

Der türkische Neyspieler Kudsi Erguner Foto: Horst Krauth
Auf dem Weg zur Probe: Ney-Virtuose Kudsi ErgunerBild: HKfoto

Sein Instrument ist von Nordafrika bis hin nach Persien im  ganzen Vorderen Orient verbreitet und erzeugt einen wehmütigen sehnsuchtsvollen Klang, den nur wenige Flöteninstrumente für sich reklamieren können. Leicht ist die Ney nicht zu lernen, denn sie hat kein Mundstück, und es erfordert viel Geduld, bis man durch eine schräge Anblastechnik den ersten vernünftigen Ton erzeugt.

Von Hirten und Mönchen

Ebenso schwer zu spielen ist die Flöte des Peul-Stammes in Afrika. Die Peul leben weit verstreut zwischen Senegal und Kamerun südlich der Sahara und züchten Rinder. Ihre Flöte ist das Instrument der Hirten, die mit ihrem weithin hörbaren Ton verlorene Tiere aufstöbern. Sie erklingt aber auch bei Familienfesten und zu anderen feierlichen Anlässen in den Dörfern, wenn junge Männer auf Brautschau gehen und im Mondenschein um die Angebetete werben. "Leider spielen nur noch Wenige die Peul-Flöte", bedauert der Nigerianer Yacouba Moumouni, in seiner Heimat ein unbestrittener Meister seines Fachs. "Es dauert nämlich Jahre, bis man eine einfache Melodie zustande bekommt."

"Ein wenig einfacher ist die Technik der Bambusflöte "Shakuhachi" zu erlernen", verrät der Japaner Koushi Tsukuda. In seiner Heimat gilt sie seit dem 17. Jahrhundert als Instrument der buddhistischen Zen-Mönche und hat wiederum ihre Ursprünge in der noch 1000 Jahre älteren chinesischen "Xiao". Der weiche Klang rief die Priester zur Meditation, und bis heute verfallen Esoteriker den tranceartigen Flötentönen.

Der japanische Flötenspieler Koushi Tsukuda Foto: Horst Krauth
Koushi Tsukuda spielt die Bambusflöte "Shakuhachi"Bild: HKfoto

Ob der Steinzeitmensch, der vor 40.000 Jahren seine Knochenflöte auf der Schwäbischen Alb liegen ließ, seinem Instrument fröhliche oder hypnotische Töne entlockte? Diese Frage können auch Musikethnologen nicht beantworten, doch eines ist sicher: Die Magie der Flöte hat bis heute nichts von ihrem Zauber eingebüßt.