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Alles neu

Christoph Hasselbach31. Dezember 2013

Zwischen dem Europa von 2014 und dem Europa vor der Finanz- und Wirtschaftskrise liegen Welten. Die Folgen werden sich spätestens bei der Europawahl zeigen. Was erwartet die EU im neuen Jahr?

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Spruchband "frohe Krise" Foto:
Bild: Reuters

Ängste vor dem großen Zusammenbruch haben sich verzogen. Den Euro gibt es noch, und kein Land musste bisher die gemeinsame Währung verlassen. In Irland wurde der Rettungsschirm sogar schon wieder zusammengeklappt. Doch trotz mancher Lichtblicke hat Europa noch große Probleme. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit hat Enttäuschung und Verbitterung hinterlassen. Kann und will Europa uns überhaupt helfen, fragen etwa junge Griechen und Spanier, oder ist Europa im Gegenteil sogar schuld an unserem Schicksal, weil die EU unseren Ländern eine harte Konsolidierungspolitik abverlangt hat? Die liberale deutsche Europaabgeordnete Nadja Hirsch empfindet eine große Verantwortung diesen Menschen gegenüber: "Wir haben das Versprechen nach Wohlstand, nach Freiheit, nach Lebenschancen gegeben, und dieses Versprechen muss jetzt wieder, egal, an welchem Ort ich in Europa lebe, mit Leben gefüllt werden", sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Angst vor der Europawahl

Das kann allerdings dauern, sagt Hirsch ganz offen, länger jedenfalls als bis zum nächsten Mai. Dann finden die nächsten Europawahlen statt. Und Nadja Hirsch und viele andere Politiker befürchten, dass sich die schlechte Stimmung bei den Wahlen entladen wird. Dann, so die Sorge, werden extreme Parteien am linken und rechten Rand punkten. Wenn das passiert, kommt es entscheidend auf das Verhalten der etablierten Parteien an, glaubt die Liberale: "Dann wird die Frage sein: Wie verhält man sich als demokratische Partei? Rückt man dann nochmal ein Stück mehr zusammen, oder passiert es, dass im speziellen die Konservativen versuchen, in den Wettbewerb mit diesen rechtspopulistischen Parteien zu gehen und sich an diese Gruppierungen angleichen?" Eine Garantie will sie nicht geben. Doch wie sie glaubt auch ihr CSU-Mitabgeordneter Manfred Weber nach wie vor, dass Europa die Antwort und nicht das Problem ist: "Wer glaubt denn ernsthaft, dass wir heute die Finanzmärkte, die Finanzspekulanten, die Haie national noch regeln kann. Deswegen müssen wir deutlich machen, dass Europa die Lösung ist."

Jugendliche auf einer Bank (Foto: Jens Büttner)
In manchen EU-Ländern ist jeder zweite Jugendliche arbeitslosBild: picture-alliance/ZB

Europa eine Kraft des Fortschritts? Zum Lachen!

Europa als Lösung aller Probleme, dieser Grundkonsens bröckelt. Über die Vorstellung kann der britische konservative Europaabgeordnete Daniel Hannan sowieso nur lachen. Er meint gegenüber der Deutschen Welle: "Der unkritische Glaube, dass die Europäische Union eine Kraft des Friedens und des Fortschritts sei, war in Großbritannien noch nie populär." Der Ruf, Zuständigkeiten zurück in die Einzelstaaten zu holen, ist stärker geworden. Doch es gibt keinen allgemeinen Trend zurück zur Nation, findet Nadja Hirsch. Die Leute hätten zwar nicht verstanden, warum Europa die Glühbirne verbieten müsse. Aber "in der Außen- und Sicherheitspolitik, da fragen viele Bürger, warum können wir da nicht gemeinsam im Weltgeschehen auftreten?"

Mal mehr, mal weniger Europa

Diesen Eindruck bestätigt auch Janis Emmanouilidis, Politikwissenschaftler von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. Auf einigen Gebieten werde mehr, auf anderen weniger Europa gefordert: "Wir sehen, dass wir im Kontext der Eurokrise bereits in einigen Politikfeldern eine vertieftere Zusammenarbeit erleben, die Bankenunion ist hier das große Stichwort." Mit der Bankenunion wollen die Mitgliedsstaaten versuchen, Banken stärker gemeinsam zu kontrollieren, ihnen zu helfen und sie notfalls auch zu schließen, das alles mit dem Ziel, dass die Bürger nicht wieder mit ihrem Steuergeld überschuldete Banken stützen müssten. Doch, so Emmanouilidis, in anderen Bereichen fragten viele, warum man alles gemeinsam erledigen müsse. Es gebe also "eine Kombination aus mehr und weniger Europa".

Schiefes Bankgebäude der spanischen "Bankia" (Foto: DW)
Banken in Schieflage mussten mit Steuergeld gerettet werdenBild: DW/V. Tscherezki

Euroskepsis ist gut

Eindeutig weniger europäische Integration will dagegen Daniel Hannan. Ihn stört es auch nicht, wenn man ihn Euroskeptiker nennt: "Skeptiker bedeutet, dass man nicht blindlings Dinge glaubt. Und das Problem mit dem europäischen Projekt ist, dass Leute ihren Glauben über die Realität stellen." Er sieht den Euro als bestes Beispiel für europäische Blindheit. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl habe etwa Bedenken, ob Griechenland die Voraussetzungen der Währungsunion erfülle, damals mit politischen Argumenten beiseite gewischt, klagt Hannan. Das Ergebnis könne man ja heute sehen.

Europa als Schicksalsgemeinschaft

Tatsache ist, Europa ist durch die Krise stärker gespalten als zuvor. Und das hat auch politische Folgen, meint der Politikwissenschaftler Emmanoulidis: "Diese Fragmentierung macht es schwieriger, Kompromisse zu finden." Grundlegende Reformen würden dadurch schwieriger. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sieht allerdings auch positive Aspekte in der Krise. Es entstehe eine gesamteuropäische Öffentlichkeit. Spanier interessierten sich plötzlich für einen Wahlausgang in Deutschland, Deutsche fragten nach dem Rentenniveau in Griechenland: "Wir erleben, dass wir europäische Schicksalsgemeinschaft sind, dass wir aufeinander angewiesen sind."

Titelseiten ausländischer Zeitungen mit Merkel-Artikeln Foto:
Es entsteht eine gesamteuropäische ÖffentlichkeitBild: picture-alliance/dpa

Europa als bloße Freihandelszone?

Nach grundlegenden Veränderungen ist den meisten Europapolitikern im Moment nicht gerade zumute. Das Bestehende sichern, niemanden verschrecken und sich langsam, aber sicher aus der Krise herausarbeiten, das scheint die Devise zu sein. Daniel Hannan lehnt dagegen die ganze Richtung ab. Wenn es nach ihm ginge, gäbe es eine große gesamteuropäische Freihandelszone "von Island und den Färöer-Inseln bis zur Türkei und nach Georgien". Und wo bliebe dann die politische Union? Für ihn kein Problem: "Innerhalb dieser Freihandelszone könnten die Länder, die eine politische Union haben wollen, dieses Ziel verfolgen, ohne auf das Veto zögerlicher Länder wie Großbritannien Rücksicht nehmen zu müssen." Zur Not müsse sein Land eben aus der EU aussteigen.

Deutschland braucht Verbündete

Die bisherige Berliner Regierung aus Union und FDP vertrat wirtschafts- und finanzpolitisch eine völlig andere Linie als der traditionelle Partner Frankreich. Mehr noch, der französische Präsident François Hollande versuchte zusammen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta und dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy, ein Anti-Spar-Bündnis gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu schmieden. Die deutsche Führung in der Krisenpolitik kam ohnehin nicht überall gut an. Die neue deutsche Koalition aus Union und SPD ist allerdings gegenüber der Vorgängerregierung politisch nach links gerückt und könnte daher die Zusammenarbeit mit den sozialistischen Regierungen Europas erleichtern. Der CSU-Europaabgeordnete Weber glaubt sogar, "dass das Modell Deutschlands, diese große Koalition, auch ein Modell für die nächsten fünf Jahre in Europa ist". Gerade wenn die Europawahl extreme Parteien stärken sollte, so Weber, "müssen sich die großen Parteienfamilien die Hand reichen und die Probleme anpacken".

Merkel und Hollande beim EU-Gipfel (Foto: REUTERS)
Die deutsch-französische "große Koalition" Merkel-Hollande ist keine LiebesheiratBild: Reuters