Die kreative Klasse wehrt sich
18. Januar 2010Alejandro Soto steigt die Treppen eines leer stehenden Einkaufszentrums hinauf. Er ist auf dem Weg zu seinem Atelier. Der 46jährige Chilene ist Maler, viel Geld für einen Arbeitsraum hat er aber nicht. Er malt seine Bilder seit ein paar Monaten in einem Raum des so genannten Frappant-Gebäudes in Hamburg Altona. Es ist Winter, die Temperatur im Gebäude knapp über Null Grad. Soto macht erst einmal den Gasheizer an. "Vorher habe ich in einem abbruchreifen Haus in St. Pauli gearbeitet, mit zwei Dutzend anderer Künstler. Das war noch kaputter als das hier", berichtet der stämmige Mann. Das Haus wurde mittlerweile abgerissen, um Bürotürmen Platz zu machen. Die Stadt bot den Künstlern Ausweichräume, ein paar Kilometer weiter im Stadtteil Altona.
Ein bisschen dreckig, ein bisschen wild und: kreativ!
Alejandro Soto fühlt sich von der Stadt herumgeschoben wie ein Spielstein: In St. Pauli waren die Künstler lange Zeit willkommen – es passte zum Stadtteil, dass sie dort ihre meist wenig kommerzielle Kunst machten. Ein bisschen dreckig, ein bisschen wild, und vor allem kreativ: Das ist das Image von St. Pauli, das Touristen anzieht und auch immer mehr wohlhabende Hamburger.
Doch auf St. Pauli haben die Künstler längst ihren Zweck erfüllt: Der Stadtteil boomt, die Immobilienpreise steigen - und die Mieten. Wie bei Doreen Schröter. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni, muss sich aber mit mehreren Jobs über Wasser halten. Ihr Vermieter ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga – ein kommerzielles Unternehmen, das vom Boom auf St. Pauli profitiert. Doreen Schröter und ihre Mitbewohnerin klagen gerade gegen eine Mieterhöhung um 20 Prozent: "Die argumentieren damit, dass es hier so viele Ausgehmöglichkeiten gibt, dass es unglaublich tolle Naherholungsgebiete gibt. Nach deren Begründung könnte man St. Pauli Süd glatt mit Blankenese verwechseln."
Kein Platz für kreative und soziale Vielfalt
Der Vergleich mit dem noblen Elbvorort ist nicht so weit hergeholt: St. Pauli gehört längst zu den teuersten Hamburger Stadtteilen. Um 28 Prozent ist die durchschnittliche Miete in den letzten fünf Jahren gestiegen. Die Stadt profitiert natürlich von dieser Entwicklung, nicht nur als Immobilienbesitzerin. Sie bietet Künstlern und Kreativen ganz strategisch Arbeitsräume in bislang unattraktiven Stadtteilen an, damit sie diese gewissermaßen "urbar" machen für eine wohlhabendere Klientel. Doch die Hamburger Kreativen haben diese Instrumentalisierung satt: "Not In Our Name, Marke Hamburg“ ist ein Manifest überschrieben, in dem sie sich gegen ihre Rolle im Hamburger Monopoly wehren. Besonders wütend macht sie die Verlogenheit des Ansatzes: Nach Außen wirbt die Stadt mit ihrem kreativen Image, im Innern lässt sie aber keinen Platz für kreative und soziale Vielfalt – jedenfalls nicht im Herzen der Stadt.
"Recht auf Stadt"
Mit der Besetzung des historischen Gängeviertels durch eine Gruppe Künstler im vergangenen Jahr ist das Thema durch deutsche und internationale Medien gegangen – und hat der Stadt ein neues Image geschenkt: Einer lebendigen Stadt mit einer selbstbewussten und durchaus unbequemen kreativen Szene. "Die Künstler haben an Selbstbewusstsein gewonnen: Sie sind diejenigen, die die Stadt erfinden", freut sich Christoph Schäfer. Er ist Künstler und einer der Sprecher des Bündnisses "Recht auf Stadt". Darin haben sich Künstlergruppen und soziale Projekte zusammengeschlossen, um für ihren Platz in dieser Stadt zu kämpfen. "Das Interessante ist, dass die Frage nach kreativen Freiräumen verknüpft wird mit der Frage nach sozialen Freiräumen. Das wird auf Dauer für Unruhe sorgen!"
Eine neue soziale Bewegung
Im Dezember beeindruckte das Bündnis, als es 4000 Menschen bei Eiseskälte für eine "Recht-auf-Stadt-Parade" durch Hamburg mobilisierte. Es sieht so aus, als würde eine neue soziale Bewegung ihren Anfang in Hamburg nehmen – ganz in hanseatischer Tradition, dass die Bürger die Stadt sind. Vielleicht werden sich auch die Hamburger Regierenden eines Tages darüber freuen: Hier liegt ein ganz großes Potential für die Stadt, unter den sich immer ähnlicher werdenden Metropolen dieser Welt ein unverwechselbares Gesicht zu bekommen.
Autor: Dirk Schneider
Redaktion: Conny Paul