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Die Kinder-Ecole: Spracherwerb en passant

Julia Elvers-Guyot19. Januar 2013

Die deutsch-französischen Beziehungen leben vom gegenseitigen Spracherwerb. Je früher, desto besser, denn Kinder lernen Sprachen besonders leicht. In einem Pariser Kindergarten gelingt dies spielend.

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Zwei Jungen aus der Kinder-Ecole in einem Spielplatz-Haus (Foto: DW)
Bild: DW/M. Stegemann

Eins, zwei, drei - das Reden ist vorbei. Klassische Musik macht den Kindern deutlich, dass es Zeit für den Morgenkreis ist. Schnell wird noch ein letztes Mädchen mit einem Kuss von der Mutter verabschiedet und den Erzieherinnen übergeben: "Ich bringe Ihnen die kunterbunte Anouschka mit, sie wollte sich heute bunt anziehen. Geh mal Spatz, es hat schon angefangen." Noch ein Kuss - und dann wird der Tag gemeinsam mit einem deutschen Lied begonnen.

Die deutsch-französische "Kinder-Ecole" in Paris wurde 1974 von deutschen und französischen Eltern zunächst als kleine Elterninitiative namens AJEFA (Association des parents d'élèves de Jardins d'Enfants Franco-Allemands) gegründet. Vier Kindergarten-Gruppen mit je 25 Kindern zwischen zwei und sechs Jahren sind es heute.

Sprachwechsel auf Knopfdruck

Da die Kinder in einem französischen Umfeld aufwachsen, ist Französisch ihre Basissprache. Doch der Sprachwechsel fällt den Kindern leicht, sagt Elisabeth Feldmeyer, die Leiterin der AJEFA. "In dem Moment, wo ein Erwachsener mit dabei ist, switchen die Kinder ins Deutsche - ohne dass ihnen klar ist, dass sie ins Deutsche gewechselt haben." Und da in jeder Gruppe mehrere Erwachsene sind, die mit den Kindern ausschließlich Deutsch reden, wechseln die Spielsituationen immer wieder ins Deutsche über.

Elisabeth Feldmeyer liest im Morgenkreis ein deutsches Buch vor (Foto: DW)
Elisabeth Feldmeyer liest im Morgenkreis ein deutsches Buch vorBild: DW/M.Stegemann

Die Erzieherinnen werden zusätzlich von deutschsprachigen Volontärinnen wie Leonie Herzberg unterstützt. Die 18-Jährige kommt aus Stuttgart. Nach dem Abitur hat sie von der Agentur für Arbeit von der Möglichkeit erfahren, ein Freiwilligenjahr bei der "Kinder-Ecole" in Paris zu absolvieren. "Ich hatte Französisch-Leistungskurs, war immer in den Ferien in Frankreich und wollte schon immer mal in Paris leben." Für die Erzieherinnen, die teilweise schon seit Jahrzehnten in Frankreich leben, sind die jungen Menschen wichtig, die ganz "frisch" aus Deutschland kommen und damit noch näher am Alltagsdeutsch sind als sie selbst.

Leonie Herzberg sitzt mit den Kindern der Kinder-Ecole im Morgenkreis (Foto: DW)
Leonie Herzberg volontiert in der Kinder-EcoleBild: DW/M. Stegemann

Kinder-Ecole: "Spa - ghe - ttiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!"

Genau so wichtig ist es, die Kinder auf die französische Schule vorzubereiten. Die Gruppe der Vier- bis Sechsjährigen wird zweimal in der Woche von der französischen Vorschullehrerin Chloë Darche unterrichtet. Die 27-Jährige hat eine ganz besondere Beziehung zu der Einrichtung: als Kind ist sie selbst in die "Kinder-Ecole" gegangen. Sie begrüßt die Kinder in Kleingruppen alle einzeln und fragt, wie es ihnen geht: "Comment ça va, qu'est-ce que tu me racontes?"

Chloë Darche macht mit den Kindern Übungen (Foto: DW)
Gelernt wird in KleingruppenBild: DW/M. Stegemann

Französisch sprechen - für die Kleinen kein Problem. Doch Chloë Darche übt mit ihnen auch die Anfänge des Lesens und Schreibens, erste grammatikalische Dinge wie Silbentrennung. Wie viele Silben hat das Wort "Spaghetti"? Und in welcher Silbe steckt das "i"? Die Kinder klatschen bei jeder Silbe in die Hände und brüllen es heraus: "Spa - ghe - ttiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!"

Mini-Ecole: "Mund - oh oui! Mund, c'est ça!"

Schüler der Mini-Ecole in Paris (Foto DW)
Schüler der "Mini-Ecole"Bild: DW/M. Stegemann

Ortswechsel. Neben der "Kinder-Ecole" betreibt die Elterninitiative auch noch eine "Mini-Ecole" für ehemalige Kindergartenkinder, die inzwischen zur französischen Grundschule gehen. Die "Mini-Ecole" findet jeden Mittwoch statt, wenn die Schulen in Frankreich geschlossen sind. Hier wird den Kindern Gelegenheit gegeben, ihre deutschen Sprachkenntnisse aufrechtzuerhalten und weiter zu entwickeln.

"Sprache ist wie Gymnastik, und je mehr man die Sprache spricht und übt, desto besser wird man", ist die Erzieherin Ursula Gallus-Menier überzeugt. Heutige Gymnastikübung: Koffer packen. "Wir packen unseren Koffer heute mit Körperteilen. Jeder von euch sagt mir jetzt mal ein Körperteil. Wer möchte anfangen? Eli!" - "Ich packe in meinen Koffer meine Augen rein." Das nächste Kind wiederholt, was der Vorgänger gesagt hat und packt ein weiteres Körperteil in den Koffer. Dann sollen die Schüler auf einem Übungszettel aufgezeichnete Körperteile den passenden Wörtern zuordnen. Diese Gymnastikübung fällt den Kindern schon schwerer. "Arm, c'est ça non?" - "Nein, das ist kein Arm." - "Arm, c'est quoi? Ah oui, ça c'est: Arm." - "Genau, das ist der Arm" - "Mais ça c'est: die Augen. Mund - oh oui! Mund, c'est ça!"

Ursula Gallus-Menier mit Schülern der Mini-Ecole (Foto: DW)
Regelmäßiges Üben erweitert den SprachschatzBild: DW/M.Stegemann

"…weil ich Dich verstehen will!"

Etwa zwei Drittel der Kinder kommen aus deutsch-französischen, rund ein Drittel aus französischen Familien. Aber es sind auch immer mehr Kinder französischer Familien dabei, die in Deutschland gelebt haben. Nach der Rückkehr nach Frankreich möchten die Eltern, dass ihre Kinder die deutsche Sprache weiter praktizieren. "Ein Kind lernt in diesem Alter sehr, sehr schnell eine zweite Sprache. Aber wenn es sie nachher nicht mehr hört und nicht mehr spricht, verlernt es sie auch genauso schnell wieder", begründet AJEFA-Chefin Elisabeth Feldmeyer das Interesse der Eltern.

Die AJEFA ist der einzige deutsch-französische Kindergarten in Paris. Zwei Jahre muss man derzeit auf einen Platz warten. Die Erzieherin Ursula Gallus-Menier wundert sich nicht über die große Nachfrage: "Nie wieder im Leben lernt man so leicht eine Sprache. Das ist für die Kinder ein Spiel." Für manche ein recht teures. Die Elternbeiträge bemessen sich nach dem Familieneinkommen und liegen für einen Vollzeitplatz in der "Kinder-Ecole" zwischen 50 und 850 Euro im Monat. Die Eltern sind überzeugt, dass es eine gute Investition in die Zukunft ist. Intensiver Spracherwerb, und gute Manieren gibt's - zumindest beim Tischspruch vor dem Mittagessen - noch obendrauf: "Ich bin ich, und Du bist Du, wenn ich rede, hörst Du zu, wenn Du redest, bin ich still, weil ich Dich verstehen will! Guten Appetit!"