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Die Hypothek des Anschlags

Sven Pöhle28. Januar 2015

Im Sommer 2014 verübten drei Palästinenser einen Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal. Nun steht das Urteil im Prozess gegen die Männer an. Doch die Wunden am Ort des Geschehens sind noch längst nicht verheilt.

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Wuppertaler Synagoge (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

"Genau hier", sagt Leonid Goldberg und deutet auf den Eingang der sandsteinfarbenen Synagoge im Wuppertaler Stadtteil Barmen. "Genau hierhin wurden die Brandsätze geworfen." Der Mittsechziger im grauen Anzug nickt dem Sicherheitsmann kurz zu, dessen Gesicht hinter einem Fenster neben dem Haupteingang aufgetaucht ist. Mitten in der Nacht sei er damals von einem Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes angerufen worden, erinnert sich der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal an die Nacht auf den 29. Juli vergangenen Jahres. Drei junge Palästinenser hatten am frühen Morgen mehrere mit Diesel gefüllte Flaschen in Richtung Eingang der Synagoge geworfen. "Gott sei Dank sieht man nichts mehr davon", sagt Goldberg und streicht sich kurz über den graumelierten Bart. Da die Brandsätze von selbst erloschen, blieb der Schaden damals gering. "Nach dem Anschlag hatten wir hier 24 Stunden Polizeipräsenz", erzählt er. "Jetzt hat die Polizei tagsüber das Auto abgezogen, aber nachts stehen sie noch hier."

"Für mich ist das purer Antisemitismus"

Grundsätzlich seien alle jüdischen Einrichtungen sehr gut gesichert, erklärt Goldberg und zeigt auf die Überwachungskameras, die links und rechts über der Synagoge zwischen den schwarzen Lettern angebracht sind. "Mein Haus soll ein Bethaus genannt werden für alle Völker", steht dort auf Hebräisch. Goldberg klopft an das Fenster des Wachmannes. Eine Nebentür öffnet sich. Durch eine Schleuse gelangen wir in die Synagoge. Der Haupteingang werde kaum genutzt, nur bei großen Veranstaltungen. "Dann steht am Eingang direkt ein Sicherheitsmensch." Der Mann am Schalter winkt kurz. Dann muss er warten, bis die Außentüre geschlossen ist, bevor er die Türe in das Innere des Gotteshauses öffnen kann. Dort angekommen deutet Goldberg auf die Fenster der Synagoge: schusssicheres Panzerglas nach Außen. Drinnen durchschusshemmendes Glas. Über eine Zwischentür geht es in das angrenzende Café. Koscher, sagt Goldberg. Und öffentlich. Auf dieser Seite hat die Tür zur Synagoge keine Klinke. Über das Café gelangt man nur mit einem Schlüssel in das Gotteshaus.

An dem großen Tisch im Hinterzimmer des Cafés setzt sich Leonid Goldberg und zündet eine Zigarette an. Aus dem Hauptraum, in dem eine Handvoll Menschen sitzt, dringen gedämpfte Gespräche. Ein Radio spielt leise. Wie er den Prozessauftakt am 14. Januar empfunden habe? Er schüttelt mit dem Kopf, wenn er daran zurückdenkt. Er war dabei, als sich die aus dem Westjordanland stammenden Männer vor dem Amtsgericht reumütig gaben: Die Tat sei unter starkem Alkoholeinfluss geschehen, nachdem man das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert habe, hatten die Männer erklärt. Mit ihren Brandsätzen wollten sie ihren eigenen Angaben nach Aufmerksamkeit für die israelische Offensive im Gazastreifen erregen. Dass sie damit aber auch das Gotteshaus anzünden oder gar Menschen verletzen hätten können, daran hätten sie in dieser Situation nicht gedacht.

Die Angeklagten Mohamad E. (l.), Ismail A. (2.v.r) und Mohammad A. (r) sowie ihre Dolmetscherin Berlanti Kirchhoffer (2.v.l) sitzen im Amtsgericht (Foto: dpa)
Die Angeklagten Mohamad E. (l.), Ismail A. (2.v.r) und Mohammad A. (r.) sowie ihre Dolmetscherin vor GerichtBild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

"Das sind Ausreden für mich", sagt Goldberg. Er legt die Stirn in Falten: "Für mich ist das purer Antisemitismus." Aufmerksamkeit für den Krieg in Nahost habe es vergangenen Sommer genug gegeben, findet er und bemüht sich ein wenig um Fassung. "An Signalen hat es nie gemangelt. Signale gab es im Juli zu viele: Alle Demonstrationen gegen Israel. Und nicht nur gegen Israel, auch gegen Juden." Goldberg kratzt an seinem Bart und seufzt. Dass es vor diesem Hintergrund zu Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen kommt, sei zu erwarten gewesen, "die Frage war nur, wann und wo."

Spuren bleiben

Die Fassade des jüdischen Gotteshauses in Wuppertal ist inzwischen wieder gereinigt. Spezialfirmen haben die Reste des Gemisches aus Diesel und anderen Substanzen entfernt. Spuren innerhalb der Gemeinde habe der Anschlag in Wuppertal aber ebenso hinterlassen, wie die Geiselnahme in dem jüdischen Supermarkt in Paris, die im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" stand, sagt Goldberg. "Diese Ängste gibt es. Sie bestehen aber nicht erst seit den Anschlägen von Paris. Die sind schon seit Jahren da."

Offene Anfeindungen gegenüber Menschen jüdischen Glaubens und jüdischen Einrichtungen hätte es schließlich in deutschen und europäischen Städten auch schon vor den beiden Anschlägen gegeben, klagt der Gemeindevorsitzende. Aus Frankreich seien immerhin allein im vergangenen Jahr 7000 französische Juden ausgewandert. In seiner Gemeinde hätte bislang kein Mitglied das Land verlassen. Nein, eindeutig nicht. Aber manche spielten inzwischen mit dem Gedanken, seufzt er. Auch in Wuppertal selbst.

Ermittler suchen am Tatort nach Spuren (Foto: dpa)
Ermittler suchen am Tatort nach SpurenBild: picture alliance/dpa

Viele Gemeindemitglieder würden sich beispielsweise um ihre Sicherheit sorgen, wenn sie sich als Jude zu erkennen gäben. "Seit vielen Jahren kann unser Rabbiner nicht mit einer Kippa auf dem Kopf durch die Stadtmitte gehen." Er verzieht leicht den Mund. "Menschen, die Kippa tragen, versuchen das zu verbergen, indem sie beispielsweise eine Kappe oder einen Hut darüber tragen, damit sie nicht von überwiegend muslimischen Jugendlichen beleidigt werden." Wieso gerade von muslimischen Jugendlichen? In seine Stimme schleicht sich eine Spur von Ärger. Schuld daran trage vor allem die Erziehung, findet Goldberg. Und die arabischen und türkischen Medien. Die seien inzwischen ständig zu empfangen und berichteten zunehmend antiisraelisch und antisemitisch. Als Resultat habe der muslimische Antisemitismus sehr stark zugenommen.

Ob die sogenannte "Scharia-Polizei" ein Anzeichen dafür gewesen sei? Vergangenen Herbst waren muslimische Männer in Wuppertal in orangefarbenen Westen durch die Innenstadt patrouilliert und hatten unter anderem versucht, Menschen von Glücksspiel und Alkohol abzuhalten. Lächerlich nennt Goldberg die selbst ernannten Ordnungshüter und schmunzelt kurz. "Das wäre genauso, wie wenn ich sagen würde: Jetzt machen wir eine Koscher-Polizei". Andererseits, sagt er wieder ernst, wisse man, dass beispielsweise in England in manchen Gegenden Scharia-Gesetze gelten. "Und wir möchten es nicht erleben, dass das irgendwann auch in Deutschland dazu kommt." Nach einem letzten Zug drückt Goldberg die Zigarette im Aschenbecher aus. "Wir vertrauen allerdings auf unsere Polizei und auf unsere Sicherheitsbehörden", sagt er zum Abschied. "Noch vertrauen wir." Draußen vor der Synagoge dreht ein Polizist seine Runde. Nach einem kurzen Blick auf das Gelände schlägt er den Kragen hoch und geht weiter.