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Die Herren des Saatguts

14. November 2011

Sojabohnen, Mais, Raps, Baumwolle – Gentechnik soll Saatgut widerstandsfähiger gegen Schädlinge machen und mehr Ertrag bringen. Doch Verbraucher und Bauern protestieren. Ein Saatgutkonzern steht im Zentrum der Kritik.

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Schild mit der Aufschrift 'Genfood' vor einem Maiskolben (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa
'Right2Know'-Marsch zum Weißen Haus (Foto: DW/Christina Bergmann)
Sie wollen wissen, was sie essenBild: DW

"Wir wollen nur ein Etikett" rufen die Demonstranten und marschieren an einem sonnigen Herbsttag auf das Weiße Haus zu. "80 Prozent der Lebensmittel in einem normalen Supermarkt sind mit gentechnisch veränderten Zutaten hergestellt. Aber das steht nicht drauf", ärgert sich Megan Westgate, Chefin von "NONGMO Project" und eine der Organisatorinnen der Demonstration in der US-Hauptstadt. GMO bedeutet "genetisch modifizierter Organismus". Anders als beispielsweise in Deutschland müssen gentechnisch veränderte Lebensmittel in den USA nicht gekennzeichnet werden.

Der Marsch auf das Weiße Haus und die anschließende Kundgebung im angrenzenden Lafayette Park sind der Höhepunkt des "Right2Know"-Marsches. Joseph Wilhelm, der Gründer der deutschen Bio-Kette Rapunzel, hat schon in Deutschland zwei "Genfrei Gehen" Märsche organisiert. Jetzt also "Right2Know", das "Recht, zu wissen". Wilhelm hat die Schuhe ausgezogen und gönnt seinen Füßen etwas Sonne. "Ich bin den ganzen Weg von New York City bis zur Hauptstadt zu Fuß gelaufen", erklärt er stolz.

Monsanto als Symbolfigur

Eigentlich hatte sich Joseph Wilhelm ein anderes Ziel für den Marsch gewünscht: Den Firmensitz von Monsanto in St. Louis, im US-Bundesstaat Missouri. Monsanto, das ist für ihn "das Symbol für die Entwicklung von gentechnisch manipulierten Saaten". Aber ein Marsch nach St. Louis hätte weniger Aufmerksamkeit gebracht - und darum geht es hier schließlich.

Joseph Wilhelm, Vorstand Rapunzel Naturkost AG (Foto: DW/Christina Bergmann)
Lief aus Protest von New York nach Washington: Joseph WilhelmBild: DW

Monsanto wurde 1997 als Agrarunternehmen neu gegründet. Die Geschichte der Vorgängerfirma mit dem gleichen Namen reicht allerdings bis 1901 zurück. Zu ihrer Vergangenheit gehört unter anderem die Herstellung von Agent Orange. Dieses berüchtigte Pflanzenvernichtungsmittel wurde von der US-Armee im Vietnamkrieg eingesetzt und wird heute für massive gesundheitliche Probleme bei US-Soldaten und Vietnamesen verantwortlich gemacht.

Monsanto distanziert sich heute von dieser Vergangenheit und präsentiert sich als Firma, die nur "Samen und Agrarprodukte" entwickelt und verkauft. Dazu gehören in den 1990er Jahren eingeführter Mais und Baumwolle, die von sich aus gegen Schädlinge resistent sind. "Die Pflanze produziert das Gift selbst", erläutert Rapunzel-Chef Joseph Wilhelm. Wenn sie dann zum Beispiel an Tiere verfüttert wird, "isst man die Pflanzengifte mit,", gibt Wilhelm zu bedenken. Die Verfütterung solcher Pflanzen ist auch in Deutschland nicht kennzeichnungspflichtig.

Eine andere Variante sind Pflanzen wie zum Beispiel Raps, der gegen die Unkrautvernichtungsmittel von Monsanto, etwa das häufig benutzte "Roundup" resistent sind. Der Allesvernichter zerstört jede Pflanze auf dem Acker, nur eben nicht den speziell darauf abgestimmten Raps. Monsanto sagt, die Pflanzen seien gesundheitlich unbedenklich: "Biologisch veränderte Pflanzen müssen sich mehr Tests und Untersuchungen unterziehen bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen, als alle anderen Agrarprodukte" in den USA, schreibt Mark Buckingham, Pressesprecher von Monsanto Europa auf Anfrage in einer Email.

Gesundheitliche Bedenken

Bill Freese vom US-Zentrum für Lebensmittelsicherheit widerspricht: "Wenn ich mir das Regelungssystem für gentechnisch veränderte Pflanzen ansehen, dann glaube ich, dass es unzureichend ist." Wenn man eine Pflanze gentechnisch verändert, erzeugt man Mutationen, erklärt er: "Daraus könnten Defekte entstehen: Weniger Nährwerte beispielsweise, mehr Giftstoffe, die in der natürlichen Pflanze bereits in geringen, unschädlichen Mengen vorhanden sind, oder es entstehen völlig neue Giftstoffe." Ein großes Problem sind seiner Ansicht nach Allergien. Durch die fehlende Deklarationspflicht könne der Verbraucher selbst im Nachhinein nicht nachvollziehen, wogegen er möglicherweise allergisch reagiert hat.

Auch Hans Rudolf Herren, Präsident des Washingtoner Millennium Instituts, warnt vor gesundheitlichen Problemen durch genveränderte Pflanzen - zumal entgegen der Versprechungen von Firmen wie Monsanto längerfristig immer mehr Gift gespritzt werden müsse: "Es genügt nicht mehr, einmal zu spritzen, man spritzt zweimal und mit einem ganzen Cocktail von Herbiziden." Denn die Unkräuter würden nach einer gewissen Zeit gegen das Gift resistent. Herren spricht von "Superweeds".

Die wichtigste Waffe im Kampf gegen den Hunger?

Als Argument für gentechnisch verändertes Saatgut wird oft der Einsatz im Kampf gegen den Hunger genannt. Monsanto-Sprecher Buckingham schreibt: "Gentechnische Veränderungen bieten Bauern und Verbrauchern eine große Bandbreite an Möglichkeiten, die mit anderen Mitteln nicht erzielt werden können." Er verweist auf Indien: Die Baumwollernte habe sich dort von 300 Kilogramm pro Hektar von 2002 auf 524 Kilogramm pro Hektar in 2009 erhöht.

Auch die Trägerin des alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, demonstriert in Washington. Die Umweltaktivistin aus Indien kämpft seit Jahren gegen Monsanto und, verweist auf den Bericht "Der GMO-Herrscher hat keine Kleider", den ihre Organisation Navdanya International Mitte Oktober herausgegeben hat. Darin heißt es, Monsanto würde den Bauern in Indien wesentlich höhere Erträge versprechen als die von Sprecher Buckingham genannten - und diese Versprechen nicht halten können. Auch Shiva ist zur Demonstration nach Washington gekommen. Sie sagt, die Gen-Pflanzen "haben die Ernte nicht erhöht. Ihre Behauptung, dass man weniger Chemie braucht, stimmt nicht.“

Massive Vorwürfe

Auf Monsanto konzentriert sich die Kritik, weil, so Shiva, "95 Prozent der Baumwollsaat von Monsanto kontrolliert wird, die Lizenzverträge mit 60 indischen Saatgutfirmen haben." Monsanto selbst macht keine Angaben zum Marktanteil ihres Saatgutes in anderen Teilen der Welt. In den USA, so Monsanto, liefert das Unternehmen etwa ein Drittel des Maissaatgutes und neun von zehn Fluren mit Sojabohnen werden mit der "Roundup Ready-Technologie" von Monsanto und ihren Lizenzfirmen beackert.

Weil das Monsanto-Saatgut patentiert ist, dürfen es die Bauern nur für eine Aussaat benutzen. Sei können sich nicht auf das Recht berufen, einen Teil der Ernte als Saatgut für das nächste Jahr zurückzubehalten, wie es Bauern seit Urzeiten tun. Weil sie jedes Jahr erneut teure Samen kaufen müssten, argumentiert Vandana Shiva, seien viele indische Bauern hochverschuldet. "250.000 Farmer in Indien haben sich wegen der hohen Verschuldung umgebracht, die meisten dieser Selbstmorde gibt es im Baumwollanbaugebiet", sagt sie.

Die prominente indische Monsanto-Gegnerin Vandana Shiva ist nach Washington gekommen und präsentiert die Studie "Der GMO-Herrscher hat keine Kleider" (The GMO Emperor has no clothes) ihrer Organisation, den Einsatz von Gentechnik kritisiert. Foto: Christina Bergmann, DW, Washington, DC, 16. Oktober 2011
Erhebt schwere Vorwürfe gegen die Saatgutkonzerne: Vandana ShivaBild: DW

Obamas Versprechen

Eine Studie des International Food Policy Research Institutes (IFPRI) von 2008 konnte allerdings keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Anbau der gentechnisch veränderten Baumwolle und den Selbstmorden der Bauern herstellen. Der Studie zu folge gab es tatsächlich einen Ertragszuwachs in vielen Teilen Indiens durch die Gen-Baumwolle. Ernteausfälle – die es auch gab - wurden durch Dürren oder andere ungünstige Bedingungen verursacht.

Als Präsidentschaftskandidat hatte Barack Obama 2007 versprochen: "Wir werden die Leute wissen lassen, ob ihre Lebensmittel gentechnisch verändert sind, denn Amerikaner sollen wissen, was sie kaufen". Bisher ist aber in der Hinsicht nichts passiert. Verantwortlich für die Überprüfung und Kennzeichnung von Lebensmitteln in den USA ist die FDA, die Food and Drug Administration, genauer der Vorsitzende des Bereiches für Lebensmittelsicherheit. 2010 setzte Präsident Obama einen neuen Mann in dieses Amt. Sein Name: Michael R. Taylor. Einer seiner früheren Jobs: Vize-Präsident des Lobbyisten-Büros bei Monsanto.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Matthias von Hein

Der kanadische Bauer Percy Schmeiser (vorne rechts) ist zur Demonstration nach Washington gekommen. Schmeiser hat sich jahrelang mit Monsanto einen Rechtsstreit geliefert, der schließlich im Patt endete. Schmeiser muss für die – wie er sagt – ohne sein Zutun auf seinen Rapsfeldern gewachsenen gentechnisch veränderten Pflanzen keine Entschädigung an Monsanto zahlen, das Patentrecht der Saatgutfirma wurde aber bestätigt. Foto: Christina Bergmann, DW, Washington, DC, 16. Oktober 2011
Der kanadische Bauer Percy Schmeiser(rechts im Bild)musste jahrelang vor Gericht gegen Monsanto streitenBild: DW