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Die gewaltbereite Linke in Deutschland

Christian Ignatzi14. Januar 2014

Muss sich Deutschland auf eine Welle linker Gewalt gefasst machen? Nein - sind sich Verfassungsschützer und Wissenschaftler einig: Was in Hamburg passierte, ist kein neuer Trend. Die radikale Szene hat sich verändert.

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Hamburg Ausschreitungen Proteste Kulturzentrum Rote Flora (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Eingeschmissene Scheiben, brennende Müllcontainer und Farbflecken an der Wand der SPD-Zentrale - das ist die Bilanz einer Demonstration der autonomen Szene in Frankfurt. Auch in Berlin protestieren etwa 150 Linke, dort bleibt es friedlich. Und selbst aus dem sonst eher als bürgerlich-prüde geltenden Bundesland Baden-Württemberg melden sich Autonome zu Wort und sprühen unterstützende Sprüche auf Universitätsmauern und Brücken in der Stuttgarter Innenstadt.

Die Solidaritätsbekundungen kommen in diesen Tagen aus allen Ecken Deutschlands. Es sind die Zeichen des Zusammenhalts der linksradikalen Szene, die damit die Hamburger Autonomen unterstützen wollen. Nach den gewalttätigen Demonstrationen am 21. Dezember gegen die Räumung eines autonomen Zentrums, bei denen in Hamburg hunderte Demonstranten und Polizisten verletzt wurden, hatte die Polizei Teile der Stadt zu einer Gefahrenzone erklärt und Passanten willkürlich kontrolliert."Wenn es zu solch massiven Gewalttätigkeiten gekommen ist, ist ein Gefahrengebiet allemal gerechtfertigt, um dort wieder eine staatliche Kontrolle herzustellen", meint Torsten Voss vom Verfassungsschutz Hamburg im DW-Gespräch. Erst am Montag (13.12.2014) endete die Aktion.

"Rote Flora" im Schanzenviertel in Hamburg (Foto: dpa)
Die "Rote Flora" in Hamburg: Das linksalternative Kulturzentrum könnte verkauft werden.Bild: picture-alliance/dpa

Keine Gefahr einer linksradikalen Terrorwelle

Was bleibt, sind die Bilder von gewaltbereiten Linken, die sich scheinbar bundesweit mobilisieren. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zog in der "Frankfurter Rundschau" sogar Vergleiche mit der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF), die in Deutschland in den 1970er Jahren Menschen entführte und ermordete: "Wir sind glücklicherweise von einem Terrorismus à la RAF noch weit entfernt. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht in eine solche Entwicklung kommen. Wehret den Anfängen."

Die Gefahr einer neuen linksradikalen Terrorwelle in Deutschland hält der Berliner Politologe Carsten Koschmieder dagegen für ausgeschlossen. "Dafür gibt es absolut keine Anhaltspunkte", sagt er im Gespräch mit der DW. "Der große Unterschied, den die radikalen Linken zur RAF aufweisen ist, dass sich ihre Gewalt nicht gegen Personen richtet, sondern gegen Dinge, die gegen ihre persönlichen Überzeugungen stehen." Wenn Steine gegen Polizeiautos während einer Demonstration flögen, sei das etwas anderes, als wenn jemand die Polizei in eine dunkle Gasse locke, um einen Anschlag auszuüben. "Auch das kam in Berlin schon vor, bleibt aber die Ausnahme", ist sich Koschmieder sicher.

Demo zum Erhalt der Roten Flora in Hamburg (dpa)
Oft demonstrieren Autonome friedlich, wie hier in Hamburg 2011Bild: picture alliance/dpa

Mal mehr, mal weniger Straftaten

Warum Linksextremisten trotzdem Polizisten angreifen, erklärt Verfassungsschützer Voss so: "Die Autonomen sehen Polizeibeamte in Panzerausrüstung nicht als Personen an, sondern selbst als Dinge, deshalb wenden sie gegen sie im äußersten Fall Gewalt an." Auch er ist sich sicher, dass die Gewalt der Autonomen, die in den Ausschreitungen vom Dezember gipfelte, nicht besorgniserregend ist: "Mit der RAF ist das nicht zu vergleichen. Hier haben wir es mit einer anderen Art der Gewalt zu tun." Nämlich eben mit jener, die sich zumindest hauptsächlich gegen Materielles richte, erläutert Voss.

Zwar seien die Gewaltszenen in Hamburg die schlimmsten der vergangenen 26 Jahre gewesen - seit den Protesten von Hausbesetzern in der Hamburger Hafenstraße -, es zeichnete sich aber nicht ab, dass die Straftaten generell stiegen. "Die Straftaten aus dem linken Milieu verlaufen in einer Wellenbewegung", sagt Voss. "Mal sind es mehr, mal weniger. Langfristig bleiben sie aber auf dem gleichen Niveau." Das liege daran, dass Autonome nicht wahllos Straftaten begingen, sondern vor allem Vergehen auf Demonstrationen in die Statistik einflössen. "Nach einem G8-Gipfel, oder nach solchen Protesten wie im Dezember in Hamburg geht die Zahl natürlich hoch", erklärt Voss. "Weil dabei schon einmal 1000 kleinere Straftaten auf einmal zusammenkommen, etwa wegen Blockaden", ergänzt Politologe Koschmieder. 2012 gab es in Deutschland laut Kriminalstatistik rund 3200 Straftaten mit linksradikalem Hintergrund. Das waren rund neun Prozent weniger als im Vorjahr. 2011 lag die Zahl noch deutlich höher.

Zahl der Autonomen bleibt konstant

Im Laufe der vergangenen Jahre habe sich lediglich die Gesinnung der Linksradikalen verändert: "Früher haben sie noch bewusst Gewalt gegen Menschen praktiziert", sagt Voss. Seit bei den Protesten gegen die Startbahn-West Mitte der Achtziger Jahre zwei Polizisten erschossen wurden, bestünde der Konsens, gewaltlos zu demonstrieren. Außer es handele sich bei den Gegnern um Neonazis.

Hamburg Ausschreitungen Proteste Kulturzentrum Rote Flora (Foto: Cuneyt Karadag/AA/ABACAPRESS.COM)
Nach den Ausschreitungen am 21. Dezember erklärte die Polizei Teile Hamburgs zur GefahrenzoneBild: picture-alliance/abaca

Auch die Zahl der Linksradikalen sei über Jahre hinweg in etwa gleich geblieben, sagt Voss. Sie liege bei bundesweit rund 7000, die gewaltbereit sind. 620 davon würden in Hamburg leben. "Bei der Demonstration im Dezember waren rund 4500 gewaltbereite Autonome dabei. Das zeigt, wie sich die Szene heutzutage vernetzt." Das - sind sich die Experten einig - heiße aber nicht, dass die Gewaltbereitschaft dadurch höher würde. "Die Sorgen einiger konservativer Innenpolitiker teile ich nicht", sagt Carsten Koschmieder. "Es gibt Probleme mit Radikalen. Die gab es aber auch schon immer - und es wird sie immer geben."