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Die Geschichte von Frau Zuckermann

Birgit Görtz2. Dezember 2012

Rosa Zuckermann war Hauptperson im Film "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" des deutschen Dokumentarfilmers Volker Koepp. Sie starb 2002. Ihre Geschichte erzählt nun ihr Sohn Felix.

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Fotografien von Rosa Zuckermann (Foto: DW/Birgit Görtz)
Rosa Zuckermann alt und jungBild: DW

Als ich Felix Zuckermann das erste Mal begegne, treffen wir kurz darauf auch zufällig auf Volker Koepp, mitten auf der Olga Kobylanska-Straße, die einst ganz nach Wiener Vorbild Herrengasse hieß und heute wieder die gute Stube von Czernowitz ist. Beide verbindet eine Freundschaft - und die Geschichte eines Films.

"Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ handelt von zwei hochbetagten Czernowitzer Juden, die sich seit Jahren jeden Abend treffen, um über alte Zeiten zu plaudern, als die Stadt Zentrum jüdisch-deutscher Kultur war, aber auch der postsowjetische Alltag ist ein Thema. Jetzt berichtet Volker Koepp Felix Zuckermann von seinem neuen Projekt. Wieder wird er in der Stadt filmen, in der Rosa Zuckermann 2002 gestorben ist.

Wie schon seine Mutter lehrt Felix Zuckermann Deutsch an einem Czernowitzer Gymnasium. Mit seiner Frau lebt er am Rande der Stadt. Dort sitzen wir nun, trinken Tee und schauen uns Fotos seiner Mutter an.

Felix Zuckermann schaut sich Bilder seiner Mutter an (Foto: DW/Birgit Görtz)
Felix Zuckermann lächelt oft, wenn er Bilder seiner Mutter schautBild: DW

Zärtlich und liebevoll nimmt er die Bilder seiner Mutter aus den Alben. Eines zeigt die 1908 Geborene in ganz jungen Jahren, mit Anfang 20. Noch vor dem Krieg heiratete sie ihren ersten Mann, Sohn Marcel kommt zur Welt.

Gemeinsam in den Tod

Am 22. Juni 1941 überfiel Deutschland die Sowjetunion. Gemäß einer Übereinkunft überließ das NS-Regime die Bukowina, also den Landstrich um Czernowitz, den faschistischen Rumänen. Die begannen im Oktober, die Juden der Stadt in einem Ghetto einzupferchen. Bald drängten sich 50.000 Juden dort, wo vorher 4.000 Menschen lebten.

Das Ghetto war freilich nur Durchgangsstation, denn von dort aus transportierten die Rumänen die Juden ab – in Lager nach Transnistrien, einen Landstrich zwischen  dem südlichen Bug und dem Dnjestr. Bleiben durfte nur, wer einen Schutzschein hatte, ein Fachmann war oder kriegswichtige Arbeiten verrichtete.

"Der Mann meiner Mutter hatte auch so ein Schutzpapier, deshalb konnten beide bleiben. Aber sie wollte ihre Eltern nicht alleine diesen schweren Weg gehen lassen. Deswegen sind sie alle zusammen in den Tod gegangen. Alle Verwandten meiner Mutter", erzählt Felix Zuckermann.

Die transnistrischen Lager waren nicht mehr als umzäunte Felder. "Dort wurden die Menschen wie Vieh gehalten. Sie hatten Ausgangsverbot, litten an Hunger und Kälte. Manche Bewohner aus dem Umland kamen und gaben ihnen zu essen oder tauschten Lebensmittel gegen Kleidung, Uhren, Wertsachen." Manche konnten sich auf diese Weise über Wasser halten, berichtet Felix Zuckermann.

Späte Wiedervereinigung

Rosa Zuckermann überlebte als einzige aus ihrer Familie den Flecktyphus, der im Lager wütete. "Sie wurde dann zusammen mit anderen Überlebenden in die Stadt gebracht. Sie konnte nicht begreifen, dass alle anderen, die mit ihr nach Transnistrien gegangen waren, nicht mehr am Leben waren."

Ein Foto zeigt Rosa Zuckermann auf dem Balkon (Foto: DW/Birgit Görtz)
Rosa Zuckermann wurde so oft fotografiert und interviewt, dass sie sich selbst gerne als "Museumsstück" bezeichneteBild: DW

1948 heiratete sie Martin Zuckermann, den Vater von Felix. Anders als ihre Familienangehörigen blieben sie in Czernowitz, reisten nicht nach Israel oder in die USA aus. Denn die Stadt war mehr als Heimat, hier waren auch die kulturellen Wurzeln.

Felix Zuckermann lächelt immer wieder, wenn er die Fotos seiner Mutter anschaut. Die Bilder zeigen entweder nur sie, oder ihre zweite Familie: ihn oder seinen Vater. Es gibt keine einzige Aufnahme der ersten Familie, die im Lager starb. "Sie hat alle Fotos in ein Deckchen gepackt und mit ins Grab genommen. Das war ihr Wunsch."

Das Wohnhaus von Felix Zuckermann (Foto: DW/Birgit Görtz)
Das Wohnhaus von Felix Zuckermann könnte genau so gut in einer süddeutschen Kleinstadt stehenBild: DW