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Die gereifte Borussia

Joscha Weber22. November 2012

Zum ersten Mal seit zehn Jahren steht Borussia Dortmund wieder im Achtelfinale der Champions League – Konsequenz eines kontinuierlichen Reife-Prozesses des Teams. Nun scheint der BVB sogar bereit für mehr.

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Dortmunds Marco Reus (l.) und Mario Götze am 18.09.2012 im Champions League Spiel Borussia Dortmund - Ajax Amsterdam. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der erste Champions-League-Auswärtssieg seit fast zehn Jahren, Sieg in der "Todesgruppe" vor Real Madrid und Manchester City sowie eine Galavorstellung in Amsterdam: Eigentlich hätte man kurz nach dem 4:1 (3:0)-Sieg gegen Ajax euphorische und stolze Dortmunder erwartet, stattdessen hört man vor der Spielerkabine vor allem leise Töne. "Ein schönes Gefühl, weil wir heute unseren BVB-Fußball gezeigt haben", sagt Marco Reus beinahe emotionslos und blickt dabei etwas schüchtern zu Boden. Ob der Sieg nun auch ein wenig gefeiert werde, wird Reus gefragt und der antwortet achselzuckend: "Wir haben nicht viel Zeit zu feiern, denn es geht direkt weiter in der Bundesliga." Konzentriert, spielstark und neuerdings auch international sehr erfolgreich – der BVB lässt Fußball-Europa staunen.

Dafür sorgte wieder einmal Dortmunds kongeniales Duo Mario Götze und Marco Reus, dem derzeit fast alles gelingt. In der 8. Minute wechselten sie blitzschnell die Positionen und überrannten damit förmlich die Ajax-Abwehr. Götze bediente von der Strafraumkante seinen Kumpel Reus und der spitzelte den Ball an Keeper Kenneth Vermeer vorbei ins Tor. Und alles sah so spielerisch, so einfach aus. Wenige Minuten vor der Halbzeit sorgten dann erst Götze mit einer selbstbewussten Einzelleistung (36.) und schließlich Torjäger Robert Lewandowski per Abstauber (41.) für klare Verhältnisse in der voll besetzten AmsterdamArena.

Eine neue Komponente im BVB-Spiel: Effizienz

Was die Zuschauer dort auf dem Rasen sahen, war nicht nur eindeutig, sondern auch vielsagend: Borussia Dortmund glänzt nicht mehr nur mit tollen Kombinationen und atemberaubenden Tempofußball. Das BVB-Spiel ist um eine Komponente reicher geworden: Effizienz. Aus vier Torchancen machten sie in der ersten Halbzeit von Amsterdam drei Tore – eine Quote, die in der vergangenen Saison noch undenkbar war. Neben der Tatsache, dass Lewandowski nach toller Vorarbeit von Götze noch auf 4:0 für Dortmund erhöhte, beeindruckte vor allem, dass der BVB mittlerweile auch einen Vorsprung sicher verteidigen kann. Eine Entwicklung, die der Borussia viel Anerkennung einbringt.

Iker Casillas (l.) rettet vor Mats Hummels and Robert Lewandowski (Foto: dpa)
Dortmund kann es auch mit den ganz Großen aufnehmen: Gegen Madrid holte der BVB einen Sieg und ein RemisBild: picture-alliance/dpa

Das Lob kommt aus ganz Europa: Juventus Turins Weltklasse-Torwart Gianluigi Buffon ist begeistert von Dortmunds "Spielkultur, taktischer Disziplin und präziser Arbeit" und Madrids Star-Coach José Mourinho sowie Manchester Uniteds ewiger Trainer Sir Alex Ferguson trauen dem BVB sogar den Titel in der Champions League zu. Eine erstaunliche Entwicklung, denn noch vor einem Jahr erntete die Borussia international meist nur Häme. Von fehlender Reife war die Rede, als das junge und international kaum erfahrene Team von Trainer Jürgen Klopp als Gruppenletzter früh ausschied.

Die Sturm-und-Drang-Phase scheint vorbei

Dabei übersieht man schnell: Auch in der Vorsaison spielte Borussia Dortmund in der europäischen Königsklasse teilweise herausragenden Fußball – nur eben keinen erfolgreichen. Symptomatisch war die Partie bei Olympique Marseille: Dortmund stürmte und rannte wie eine überlegene Heimmannschaft, verlor aber durch krasse Aussetzer deutlich mit 0:3.

Ein gutes Jahr später kann das mit durchschnittlich 24 Jahren immer noch sehr junge BVB-Team auch abwarten. Wollten sie die Gegner in der Vorsaison noch am liebsten demontieren, können die Spieler von Vaterfigur Jürgen Klopp nun auch mal einen Gang zurückschalten, den Gegner kommen lassen und so sich bietende Räume nutzen. Verteidiger Mats Hummels hat für den internationalen Erfolg eine Erklärung: "Es ist simpel: Wir sind einfach effektiver und schenken die Tore nicht mehr so leicht her."

Jürgen Klopp (3.v.l.) mit Spielern des BVB (Foto: GettyImages)
Erfolgs-Trainer Jürgen Klopp (3.v.l.) hat ein fast väterliches Verhältnis zu seinem TeamBild: Getty Images

Im Hintergrund laufen beim amtierenden Meister bereits die Weichenstallungen für die schwarz-gelbe Zukunft. Das BVB-Triumvirat aus Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Manager Michael Zorc und Trainer Jürgen Klopp muss bis zum Saisonende einige wichtige Personal-Entscheidungen treffen – und somit ein drohendes Auseinanderbrechen der erfolgreichen Einheit verhindern. Mit nicht weniger als sieben Schlüsselspielern muss die Vereinsführung über neue Verträge reden: Neben dem am 30. Juni 2013 auslaufenden Kontrakt mit Kapitän Sebastian Kehl bergen besonders die 2014 auslaufenden Verträge mit Roman Weidenfeller, Neven Subotic, Kevin Großkreutz, Felipe Santana und natürlich Torjäger Robert Lewandowski Brisanz.

Lewandowskis Wechselgedanken

Allein schon aus taktischen Gründen bleibt Manager Zorc äußerlich ganz gelassen: "Wir werden das alles in Ruhe angehen. Wir stehen nicht unter Druck." Nur ab und zu blitzt Zorcs Verärgerung über die "geschwätzigen Berater" von Stürmer Lewandowski durch, die schon seit Monaten die Werbetrommel für ihren möglicherweise wechselwilligen Klienten rühren. Ein Abgang Lewandwoskis – mit dem in Dortmund mittlerweile viele rechnen – würde eine große und wohl nur schwer zu schließende Lücke in Dortmunds Offensivspiel reißen. Doch die hatte man auch schon vor Shinji Kagawas Wechsel nach Manchester im vergangenen Sommer prophezeit. Das BVB-Kollektiv schloss sie in beeindruckender Manier.