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Ein reisender Freundeskreis

Janine Albrecht10. Mai 2014

In der Krise liegt die Chance - nach diesem Motto versucht die FDP sich neu aufzustellen. Am Wochenende treffen sich die Liberalen zum Bundesparteitag. Beim Neustart will die neue FDP mit den Werten der Alten punkten.

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Christian Lindner (FDP) (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Bild: Getty Images

Vor dem Reichstag flattert die deutsche Fahne im schwachen Wind, es ist sonnig an diesem Morgen in Berlin. Auf dem großen Platz zwischen Bundestag und Kanzleramt machen Touristen Erinnerungsfotos. Die gläserne Kuppel ist ein beliebtes Motiv, was unter dem Dach des Reichstages gerade besprochen wird, interessiert dabei weniger. Auch nicht wer dort gerade Politik macht. Oder besser: wer nicht mehr.

Es mutet noch ein bisschen seltsam an, dass die FDP kein Teil des Berliner Bundestagskosmos mehr sein soll. Doch nach der für sie traumatischen Bundestagswahl steht sie erst einmal außerhalb der Mauern der Macht. Und laut aktuellen Umfragen, wird sich das erst einmal nicht so schnell ändern. Noch immer dümpeln die Liberalen sie dort unter der magischen Fünfprozenthürde.

Alte Werte mit neuen Akzenten

Gute zehn Minuten Fußweg vom Bundestag entfernt sitzt Christian Lindner in seinem Büro im Thomas-Dehler-Haus, der Bundesgeschäftsstelle der Partei. Er tippt noch ein paar Zeilen in seinen Laptop, klappt ihn dann zu und setzt sich an den ovalen Tisch in der Mitte des großen Raumes. Seit Dezember ist Lindner der Vorsitzende der Partei. Er ist der Mann, der die Liberalen aus ihrem bislang tiefsten Tief herausziehen soll.

Christian Lindner zum neuen FDP Chef gewählt 7.12.13
Soll seine Partei zu neuen Ufern führen - Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDPBild: Reuters

Wie geht er damit um, dass es abseits von Parteitagen ruhig um die FDP geworden ist? Natürlich könne man jetzt Hauruckaktionen starten, den Tabubruch begehen, der die Partei auf die Titelseite der "Bild"-Zeitung bringe, sagt Lindner. "Das will ich aber nicht tun." Es gehe ihm vor allem darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Das gelänge nur durch Berechenbarkeit und Substanz. Wenn man Lindner richtig versteht, soll die neue FDP schnell wieder zur alten zurückfinden. Zu jener Partei, die einmal für die Werte Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz eintrat. "Die FDP ist nicht abgewählt worden, weil ihre Werte nicht mehr aktuell waren, sondern weil sie die Werte nicht mehr glaubhaft vertreten hat", sagt Lindner.

Die FDP sei gut darin gewesen, den Bürger vor zu viel Bürokratie zu schützen. Doch hier wollen sich die Liberalen einen neuen Akzent erarbeiten, so Lindner. Denn der Schutz vor zu viel Staat sei nur eine Seite des Liberalismus. Die andere Seite sei die Marktordnung. "Der Markt braucht klare Regeln. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen wie Google 90 Prozent Marktanteil hat. Da muss gefragt werden, ob das nicht zu dominant ist. Zudem muss es vernünftige Haftungsregeln geben, damit nicht der Steuerzahler für Bankenpleiten aufkommen muss."

Das Bild der neuen FDP

Wenn Lindner so über neue Akzente redet, kann man glatt vergessen, welcher Partei er vorsteht. Einer Partei, der die Bedeutungslosigkeit droht. Er wolle Parteivorsitzender sein, weil er ein Bild davon habe, wie die Liberalen wieder erfolgreich sein könnten. "Die FDP darf nicht eine Partei sein, die nur für einzelne Berufsgruppen oder Einkommensklassen Politik macht. Wir haben ja ein umfassendes Gesellschaftsbild, in dessen Zentrum steht der Mensch, der etwas aus seinem Leben machen will und der unabhängig sein will", sagt Lindner. Der Makel des Klientelismus soll die Partei endlich verlassen, auch das wird deutlich.

Lindners Roadshow

Um Vertrauen wieder zu gewinnen, um der FDP Respekt zu verschaffen, tourt Lindner durch die Republik. "Wir sind jetzt ein reisender Freundeskreis, wir verstecken uns nicht in unseren Büros", sagt der 35-Jährige. Er besucht Veranstaltungen, hält Vorträge, gibt Interviews. Die Neujahrsempfänge der FDP-Landesverbände zu Beginn des Jahres klapperte Lindner persönlich ab. Sie führten ihn bis in den hohen Norden Deutschlands.

Wolfgang Kubicki (FDP) (Foto: Carsten Rehder/dpa)
Wolfgang Kubicki - der neue Mann für die BürgerrechteBild: picture-alliance/dpa

"Meine Damen und Herren, Montagvormittag, FDP und ein volles Haus, allein um das zu sehen, hat es sich gelohnt, nach Kiel gekommen zu sein", begrüßte er Ende Januar, die schleswig-holsteinische FDP hatte in die Halle 400 nach Kiel geladen. Ein überwiegend älteres Publikum saß in dem Saal, langjährige Parteimitglieder aus der Region, doch die meisten der 200 geladenen Gäste waren Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Nur kurz blickte Lindner in seiner Rede auf die "historische Zäsur durch die Bundestagswahl" zurück, dann schimpfte er, ganz Opposition, lieber über die Politik der neuen Regierung. Nach vorn schauen, das will er, nicht in alten Wunden rühren.

FDP und Bürgerrechte

Es war kein Zufall, dass damals an Lindners Tisch Wolfgang Kubicki saß, Vorsitzender und innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion im Kieler Parlament. Er soll das neue Bürgerrechts-Gesicht im FDP-Präsidium sein - und Bürgerrechte sollen wieder FDP-Domäne werden. Dieses Feld hatte die FDP zuletzt quasi kampflos geräumt. Noch in der Regierung hätte die FDP sich schließlich im Zuge der NSA-Affäre, als Bürgerrechtspartei profilieren können.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) (Foto: Jörg Carstensen/dpa)
"Die FDP hat Chancen verpasst" - Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerBild: picture-alliance/dpa

Selbst die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt heute, dass diese Chance nicht genutzt wurde: "Es hätte ein sehr viel strikterer Tenor von der FDP zu hören sein müssen." Die ehemalige Ministerin gehört heute zur alten Garde der FDP. 1995 stellte sie sich vehement gegen den sogenannten "Großen Lauschangriff". Auf Druck der Union stimmte die FDP damals dafür, zur Verfolgung von Straftaten sollte Ermittlern das Abhören von Privatwohnungen zu erlauben. Leutheusser-Schnarrenberger trat daraufhin zurück.

Die neue Garde der FDP

Auch wenn sich die FDP heute, fast 20 Jahre später, als Bürgerrechtspartei behaupten will, spielt ihre wohl bekannteste Bürgerrechtlerin beim Neustart keine Rolle. Die neue FDP will durch neue Gesichter glänzen. Neben Kubicki sind Uwe Barth und Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Stellvertretende Bundesvorsitzende ins Präsidium gekommen. Barth stammt aus Thüringen, ist dort im Landtag FDP-Fraktionsvorsitzender, Strack-Zimmermann ist Düsseldorfs erste Bürgermeisterin. Die neue Generalsekretärin Nikola Beer war zuvor Kultusministerin in Hessen. Doch bislang ist von diesen Neuen nicht sehr viel zum Neustart ihrer Partei zu hören. Das übernimmt ihr Bundesvorsitzender. Christian Lindner.

Die neue Mannschaft der FDP: Christian Lindner (2.v.r), Nicola Beer, FDP- Generalsekretärin (li.), Alexander Graf Lambsdorff, der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl und Wolfgang Kubicki (re). (Foto: Roland Weihrauch/dpa)
Die neue Mannschaft der FDP: Nicola Beer, FDP- Generalsekretärin (li.), Alexander Graf Lambsdorff, der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Christian Lindner (2.v.r) und Wolfgang Kubicki (re).Bild: picture-alliance/dpa

Geringe Erwartungen an die Europawahl

Der wird nicht müde, immer wieder zu betonen, wie eigenständig und unabhängig die FDP jetzt sei. Das scheint das neue Mantra der Liberalen für den langen Weg zur nächsten Bundestagswahl zu sein. Erstes Etappenziel ist die Wahl des Europäischen Parlamentes am 25. Mai. Der Direktor des Münchner Centrums für angewandte Politikforschung, Werner Weidenfeld, erwartet für die Liberalen jedoch ein mittelmäßiges Ergebnis."Die FDP muss sich vielmehr intensiv Gedanken über ihre Zukunftsperspektiven machen", mahnt der Politikberater.

Für die FDP gibt es laut Lindner vor allem drei Zukunftsthemen: Solide Finanzen, starke Bildung und schlanke Bürokratie. "Das sind drei Kernfelder, die jeweils bedeuten, dass wir möglichst viel Hoheit über unseren eigenen Lebenslauf haben", sagt Lindner in seinem Berliner Büro. Mit den Osterferien sei nun die erste Phase der Neuaufstellung abgeschlossen, sagt er. Nun könne die FDP auch wieder in die Offensive gehen. Rechtzeitig zum Wahlkampf für die Europawahl. Auch wenn dort kein großer Sprung erwartet wird, ist den Liberalen immerhin der Einzug ins Brüsseler Parlament sicher. Denn Ende Februar kippte das Bundesverfassungsgericht die Dreiprozenthürde. Dort ist die FDP also wieder sicher drin im Parlament.