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Die erzwungene Arbeitslosigkeit der Asylbewerber

Naomi Conrad30. Mai 2013

Asylbewerber und Geduldete haben in Deutschland faktisch ein Arbeitsverbot. Auch eine geplante Gesetzesreform ändert daran wenig. Eine Begegnung mit Menschen, die ihr eigenes Geld verdienen wollen - aber nicht dürfen.

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Aufnahmeantrag für Asylbewerber in der Erstanlaufstelle für Asylbewerber - Foto: Karin Jäger (DW)
Bild: DW/K. Jäger

In den schlimmen Zeiten, erzählt Mitra Hashemi, kriechen die Minuten, Stunden ziehen sich endlos in die Länge. Sie zuckt mit den Schultern, ihr Vater Aman nickt: Die Familie Hashemi aus Afghanistan kennt die Langeweile. 2010 sind sie als Flüchtlinge nach Berlin gekommen, um dem Krieg in Afghanistan zu entkommen. Seitdem versuchen sie verzweifelt, eine Arbeitsstelle für den Vater zu finden - irgendeine.

"Am Anfang dachten wir, es wird einfach: Du guckst einfach im Internet, fertig", sagt Mitra Hashemi. Sie kenne alle Internetseiten, auf denen Jobs angeboten werden. In Afghanistan war Aman Hashemi Geschäftsmann und hat Waren aus dem Iran importiert. Jetzt sucht die Familie nach Hilfsjobs, "dort, wo es egal ist, ob man einen Relativsatz erkennt oder nicht", sagt die 20-jährige Mitra. Denn ihr Vater Aman spricht nur wenig Deutsch. Einen Sprachkurs konnte sich die Familie bislang nicht leisten - die Kosten wollte das Ausländeramt nicht übernehmen. Mitra hat in der Schule in Berlin fließendes Deutsch gelernt - und ist die Stimme der Familie geworden.

Vorrangprüfung erschwert die Suche

Ein kleines Bekleidungs-Unternehmen hatte Aman schließlich eine Stelle als Bügler angeboten. Doch das Ausländeramt lehnte ab. Flüchtlinge im Asylverfahren wie die Hashemis dürfen zwar nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland einer Arbeit nachgehen - benötigen dafür aber eine Arbeitserlaubnis vom Ausländeramt.

Das gleiche gilt für geduldete Ausländer, also Menschen, die zwar keinen Asylstatus bekommen haben, aber nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden, weil dort etwa Bürgerkrieg herrscht. Doch bevor die Arbeitserlaubnis erteilt wird, führt die Agentur für Arbeit eine sogenannte Vorrangprüfung durch. Damit soll ermittelt werden, ob es nicht auch geeignete deutsche Bewerber für eine Stelle gibt. "Das läuft wie ein normales Bewerbungsverfahren", erläutert eine Sprecherin der Agentur für Arbeit das Verfahren. Soll heißen, die Stellen werden bundesweit ausgeschrieben. Offizielle Zahlen, wie viele Vorrangprüfungen in Deutschland durchgeführt werden, liegen der Agentur nicht vor.

Flüchtlingsnotunterkunft in Berlin Grünau - Foto: Anja Koch (DW)
Flüchtlingsnotunterkunft in Berlin: Endlich eine eigene Wohnung mietenBild: DW/A. Koch

"Ein faktisches Arbeitsverbot", so nennt die Anwältin Berenice Böhlo die Vorrangprüfung. Oft würden Asylbewerber und Geduldete, die meist wenig bis gar kein Deutsch sprechen, nach schlecht bezahlten Hilfsjobs, etwa als Reinigungspersonal oder Aushilfskraft in einer Bäckerei, suchen. "Für diese Fälle stehen natürlich immer arbeitslose Deutsche, EU-Staatsbürger oder Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis zur Verfügung."

"Abschreckungspolitik"

Das zum Teil langwierige Verfahren schrecke viele Arbeitgeber ab, erzählt die Anwältin. In Berlin und Ostdeutschland, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, sei es deshalb extrem schwierig für Geduldete, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Und für Menschen im Asylverfahren sei das fast unmöglich. Viele ihrer Mandanten füllen immer wieder Formulare aus, schreiben Bewerbungen und gehen zum Ausländeramt, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine Arbeit zu finden. Sie schätzt, dass nicht einmal zehn Prozent von ihnen die dafür nötige Erlaubnis vom Arbeitsamt erhalten.

Daran werde sich auch in Zukunft wenig ändern, sagt Böhlo - trotz der vom Bundeskabinett beschlossenen Erleichterungen. Danach wird ab dem 1. Juli die Vorrangprüfung für Geduldete wegfallen, falls sich diese bereits länger als vier Jahre in Deutschland aufhalten. Das hält die Anwältin für völlig unzureichend. Sie fordert stattdessen einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt, so wie er in anderen EU-Ländern praktiziert wird. Die Politik versuche, mit dem Arbeitsverbot Menschen davon abzuhalten, in Deutschland Asyl zu beantragen. Doch diese "Abschreckungspolitik" sei kontraproduktiv. "Man finanziert die Leute lieber jahrelang, als ihnen eine Möglichkeit zu bieten, sich zu finanzieren." Und je länger die Menschen warten müssten, desto weniger Energie hätten sie, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. "Das zermürbt die Menschen."

"Man fühlt sich minderwertig"

Als wieder die Absage vom Ausländeramt kam, sei das "so richtig mies" gewesen, sagt Mitra Hashemis 13-jähriger Bruder Navid leise. "Man fühlt sich minderwertig", fügt Mitra hinzu und zupft an ihrem losen Kopftuch, "weil man denkt: ich bin doch auch ein Mensch, genauso wie die anderen". Ihr Vater habe Depressionen bekommen, sagt sie. Das endlose Warten, die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz, zumindest einen Deutschkurs, die immer wieder zerstört wurden - das sei alles einfach zu viel gewesen. Aman saß stundenlang vor dem Fernseher, wechselte ständig die Sender auf der Suche nach Nachrichten aus Afghanistan, die ihn dann doch weiter deprimierten.

"Es ist ein sehr schlechtes Gefühl, wenn ich immer zum Sozialamt gehen muss, um nach Geld zu betteln", sagt seine Frau Razia. "Man will doch nicht von dem Geld anderer Menschen leben", fügt Mitra hinzu. "Wir wollen doch einfach ein Teil der Gesellschaft sein."

Hoffnung auf Integration

In Afghanistan durften sich die beiden Frauen kaum außerhalb ihres Hauses in Herat aufhalten und mussten dann unter dem blauen Stoff der Burka verschwinden. Mitra durfte nicht in die Schule und wurde deshalb von einer Privatlehrerin unterrichtet. Arbeiten in Afghanistan? Ausgeschlossen. Die beiden schütteln den Kopf.

Nach dem Abitur möchte Mitra Zahnärztin werden. Ihre Mutter will eine Ausbildung als Erzieherin. Bald werden sie ihre Pläne ohne die Zustimmung der Ausländerbehörde umsetzen dürfen. Denn der Asylantrag der Familie Hashemi wurde vor Kurzem angenommen. Jetzt haben sie automatisch eine Arbeitserlaubnis und können sich frei bewerben.

Mitra hat deshalb wieder begonnen, im Internet nach einem Job für ihren Vater zu suchen. Wenn er eine Arbeit findet, irgendeine, dann will Aman Hashemi mit seinem ersten Gehalt Süßigkeiten kaufen - Türkisches Baklava, oder vielleicht Schokolade. Die will er an seine Freunde verteilen, um mit ihnen zu feiern. Aman macht eine kurze Pause. Dann lächelt er. Nein, noch vor den Süßigkeiten werde er sich ein Busticket kaufen. Er wird in einen Kiosk gehen und anstatt den Berlinpass vorzulegen, der ihn als Flüchtling oder Sozialhilfeempfänger ausweist, wird er das Ticket bar bezahlen - "mit meinem eigenen Geld." Er grinst: "Langweilig, oder?"