1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die endlos lange Nacht

Naomi Conrad15. Juni 2013

Im Iran werden Journalisten verhaftet, gefoltert und verjagt. Schon der Kontakt mit Auslandsmedien kann gefährlich sein. Vor den Präsidentschaftswahlen nahm die Verfolgung weiter zu.

https://p.dw.com/p/18HQi
Ein Demonstrant protestiert mit gefesselten Füßen gegen Verhaftungen im Iran (Foto: AFP/GettyImages)
Bild: Loic Venance/AFP/GettyImages

Die Nacht nach seiner Verhaftung war endlos lang. Ehsan Mehrabi musste stehen. Setzen durfte er sich nicht - auch nicht, als ihm erst schwindelig, dann schlecht wurde. Er fiel, verletzte sich am Kopf und musste weiter stehen. Aber schlimmer sei die psychische Folter gewesen, sagt der iranische Journalist: "Sie haben mir gedroht, dass sie meine Familie verhaften und mich hinrichten würden."

Über Nacht wurde er zum Spion. Geheimdienstagenten, sagt der heute 37-Jährige, klopften an die Türen seiner Nachbarn und Freunde und erzählten ihnen, Mehrabi habe mit ausländischen Regierungen zusammengearbeitet. Der Grund: Der Parlamentskorrespondent hatte im Februar 2010 dem persischen Programm des britischen Senders BBC ein Interview gegeben. Er zuckt die Schultern. "Das reichte aus, um mich für ein Jahr und drei Monate ins Gefängnis zu werfen."

Ein Stapel iranischer Zeitungen (Foto: BEHROUZ MEHRI/AFP/Getty Images)
Immer wieder werden Zeitungen verbotenBild: Behrouz Mehr/AFP/Getty Images

Briefe aus dem Kulturministerium

Es bedarf nicht viel, um als iranischer Journalist verhaftet und gefoltert zu werden: ein Artikel zum iranischen Nuklearprogramm, eine Reportage über den Preis von Lebensmitteln, der seit der Verschärfung der westlichen Sanktionen immer weiter steigt. Manchmal aber werden Artikel, die niemals geschrieben wurden, zum Verhängnis - etwa über den Jahrestag der islamischen Revolution oder regimefreundliche Demonstrationen. Journalisten müssen sich vorsichtig an die vielen roten Linien herantasten, die oft unsichtbar sind: "Die Regierung hat nie definiert, was sie unter Zensur versteht", sagt Reza Moini, Iran-Referent der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Die iranische Presse ist eine der am stärksten zensierten der Welt, so das Committee to Protect Journalists, das sich für den Schutz von Journalisten weltweit einsetzt.

Die Weisungen erreichen die Chefredakteure aus dem Ministerium für Kultur und islamische Führung - und sie wissen, dass sie sich besser daran zu halten haben. "Eine Zeitung wurde kürzlich geschlossen, weil sie über einen Oppositionsführer geschrieben haben", berichtet Ali Mazrooie von der im Iran verbotenen Gewerkschaft iranischer Journalisten (AOIJ). Über die Jahre hat er für viele Zeitungen gearbeitet: Denn immer wieder werden zu kritische Zeitungen und Sender verboten und geschlossen. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sind seit 2009 mehr als 30 unabhängige Zeitungen verboten worden. Die Folge: Mehr als 90 Prozent der Presse werden direkt von der Regierung kontrolliert, so Mazrooie, der heute im Brüsseler Exil lebt.

Journalisten fliehen

Mehr als 200 Journalisten seien in den vergangenen Monaten aus dem Iran geflohen. Denn die Regierung habe im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen die Zensur verschärft und sei gezielt gegen kritische Journalisten und Blogger vorgegangen: "Mehr als 24", so Moini, "sind seit Anfang des Jahres verhaftet worden." Manche wurden freigelassen, andere noch nicht. 46 Journalisten und Blogger sind inhaftiert, manche seit Jahren.

Journalisten wuden außerdem gezielt aufgefordert, sprich gezwungen, die Hauptstadt Teheran zu verlassen: "Ein Exil im Inneren des Landes", so nennt es Moini von Reporter Ohne Grenzen. Auch Angehörige von im Ausland lebenden Journalisten wurden aufgesucht und eingeschüchtert. Viele verwenden ein Pseudonym, "aber die Botschaft weiß doch trotzdem, wer wir sind", so eine junge iranische Journalistin, die in Deutschland lebt.

"Die Regierung hat versucht, die Wahlen zu beeinflussen", so Mazrooie. Das Regime befürchtete, dass es wie nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 wieder zu Protesten kommen könnte. Damals wurden die Demonstrationen brutal niedergeschlagen.

Eine junge Frau demonstriert (Foto: /Vahid Salemi/AP)
2009 gingen vor allem Studenten auf die StraßenBild: AP

Cyber-Spione im Netz

Nach 2009 wurde die Arbeit noch schwerer. Die Regierung verfüge über "eine Armee von Cyber-Spionen", so Mazrooie, die sich in Email- und Skype-Konten einhacke und Telefonate abhöre. "Während des Verhörs haben sie mich mit Emails konfrontiert", bestätigt Mehrabi. Im Wettlauf mit den Spionen gelten grundsätzliche Regeln: Codenamen für Oppositionsfiguren, Interviews nicht am Telefon, sondern immer persönlich führen, Emails verschlüsseln. Manchmal reiche das aus, manchmal eben nicht, Mehrabi zuckt die Schultern. Seit ein paar Monaten lebt er mit seiner Frau im Exil in Berlin.

Trotzdem, glaubt er, hatte die Zeit im Gefängnis vielleicht, trotz der Folter, trotz der Angst um die Familie, doch eine gute Seite: Er habe Mitgefangene getroffen, die seit 20 Jahren weggeschlossen seien. "Niemand kannte ihre Geschichte, niemand wusste von ihnen." Also hat er nach seiner Freilassung ihre Geschichte erzählt. Trotz der Gefahr.