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Die Einheitsfront der Kurden im Irak

Karlos Zurutuza, Matara (stu)20. November 2014

Kämpfer der PKK unterstützen die irakischen Kurden im Kampf gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat". DW-Reporter Karlos Zurutuza traf einige von ihnen an der Front nahe Kirkuk.

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Kurdische Kämpfer an der Front bei Kirkuk (Foto: DW/Karlos Zurutuza)
Bild: DW/K. Zurutuza

Sie tauchten über Nacht auf, irgendwann im Juni, und sie sind deutlich von der Straße nach Bagdad aus zu sehen. Die schwarzen Flaggen des "Islamischen Staat" (IS) markieren seine Grenze 200 Kilometer nördlich der irakischen Hauptstadt. "Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet", steht auf den flatternden Fahnen der Terrorgruppe.

Einige Meter davon entfernt, auf der kurdischen Seite dieser zunehmend klar demarkierten Grenze, sind in dem kleinen Dorf Matara ununterbrochen Bagger im Einsatz. Sie heben Gräben aus und errichten Erdwälle, um die Stellungen einer ungewöhnlichen Truppe zu schützen: Soldaten der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak und Partisanen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aus der Türkei verteidigen hier gemeinsam die nahegelegene Metropole Kirkuk. Noch in den 1990-er Jahren bekämpften sich Peschmerga und PKK, doch ein mächtiger gemeinsamer Feind brachte sie im vergangenen August zusammen.

Zusammengeschweißt durch den gemeinsamen Feind

"Als wir sahen, dass der IS vor den Toren von Kirkuk stand, dachten wir, dass wir hier gebraucht würden", sagt der PKK-Kommandeur Heval (Genosse) Agid. "Die Situation war so furchtbar, dass wir gebeten wurden zu kommen", erzählt der Kommandeur in der halbfertigen Wohnung, die jetzt das Hauptquartier seiner Einheit ist.

Das 35 Kilometer entfernte Kirkuk liegt auf einem der größten Ölvorkommen des Nahen Ostens. Araber und Kurden stritten während des vergangenen Jahrzehnts vergeblich um die Kontrolle der Stadt; sie blieb der heikelste Punkt im schwierigen Verhältnis zwischen Bagdad und der Regionalregierung in Erbil. Heute könnte Kirkuk der letzte strategische Schritt des IS auf dem Weg in die Hauptstadt des Landes sein.

Der PKK-Kommandeur Agid im provisorischen Hauptquartier seiner Einheit (Foto: DW/Karlos Zurutuza)
Der PKK-Kommandeur Agid im provisorischen Hauptquartier seiner EinheitBild: DW/K. Zurutuza

Seit der IS im Juni Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak, eroberte, hat sich die Terrorgruppe als sehr starker Feind erwiesen, dessen zehntausende Kämpfer über schwere Waffen verfügen – viele davon von der irakischen Armee erbeutet, die ihrerseits von den USA ausgerüstet wird.

Unruhige Nächte

Kommandeur Agid, der seit 18 Jahren der PKK angehört, ist entschlossen, den Vormarsch des IS zu stoppen. Dazu hat er einen Verband zur Verfügung, dem zwischen 100 und 300 Kämpfer angehören – "je nach Bedarf". Der scheint zu steigen, wenn die Sonne untergeht. "Tagsüber kann es relativ ruhig sein, aber nachts sehen wir uns dem Beschuss unser Positionen und Versuchen, unsere Linien zu durchbrechen, gegenüber", erklärt der 40-Jährige. Er betont, dass die Männer und Frauen seiner Truppe sehr kampferfahren seien – anders als die meisten Peschmerga, die bis vor wenigen Monaten an keinen Kämpfen beteiligt gewesen seien.

Die meisten PKK-Kämpfer stammen aus der Türkei. Die 23-jährige Beritan etwa wurde wie der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan in Urfa in der Osttürkei geboren. Mit 18 schloss sie sich der PKK an und wurde in den irakischen Kandil-Bergen militärisch und "ideologisch" ausgebildet. Im Nurgebirge entlang dem Mittelmeer kämpfte sie gegen türkische Sicherheitskräfte, als sie den Befehl erhielt, sich in die Kandil-Berge zurückzuziehen, weil Öcalan im Frühling 2013 einen einseitigen Waffenstilstand erklärt hatte.

Zuletzt hatte der PKK-Führer den Bestand des Waffenstillstands mit dem Schicksal der vom IS belagerten kurdischen Grenzstadt Kobane verbunden – was bedeutet, dass die PKK-Kämpfer in Kirkuk jederzeit wieder abgezogen werden könnten. "Heute kämpfen wir hier, aber letztendlich könnten wir den Befehl erhalten, den Kampf in der Türkei wieder aufzunehmen", erklärt Beritan und fügt hinzu, Ankara habe "keinen Finger für eine Friedenslösung krummgemacht". In den Kurdengebieten glauben Viele, die Türkei unterstütze heimlich islamische Extremisten.

"Enge Abstimmung" mit der PKK

Noch bleiben die Kämpfer und folgen ihrer militärischen Routine. "Wir stehen um fünf auf, frühstücken um sechs und der Rest des Tages wird von den Schichten an der Front bestimmt", sagt die 22-Jährige Media aus Diyarbakir in der Ost-Türkei. "Wenn wir nicht dort eingesetzt werden, werden wir entweder trainiert oder bringen den Menschen von hier bei, wie man ein Gewehr bedient und sich selbst verteidigt."

Die Unterhaltung wird von der Ankunft Ahmed Fakardins unterbrochen, Kommandeur der irakischen Grenzpolizei. Der Kurde aus Sulaymaniyah bestätigt, dass irakische Grenzpolizisten, Peschmerga und die PKK "in enger Abstimmung" zusammenarbeiten. "Die PKK-Kämpfer machen alles einfacher", sagt Farkadin. Allerdings brauche man immer noch dringend internationale Unterstützung mit Waffen und Luftschlägen.

In der PKK kämpfen viele Frauen (Foto: DW/Karlos Zurutuza)
In der PKK kämpfen auch viele FrauenBild: DW/K. Zurutuza

Er wirft einen Blick auf die leeren Wasserflaschen am Boden eines Grabens. "Wir sind Soldaten, wir sollten besser mit unserem Müll umgehen", sagt er. Aber Heval Dersim wendet ein, die leeren Plastikflaschen erfüllten einen Zweck. "Wenn Feinde nachts versuchen, unsere Positionen zu erreichen, treten sie auf die Flaschen ", sagt der PKK-Kämpfer, der gerade erst die stets unruhige Nachtwache angetreten hat. "Es wird dadurch einfacher, ihre Anwesenheit zu bemerken."

Ungeachtet der beispiellosen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kurdischen Gruppen, sei die Sicherheitslage noch immer "zu instabil", sagt Khabat Ali Ahmed, leitender Polizeibeamter in Kirkuk. "Wir versuchen hier ein Gebiet zu schützen, das 200 Quadratkilometer umfasst", sagt er. "An einigen Stellen sind die Terroristen weniger als drei Kilometer von Ölraffinerien und Kraftwerken entfernt. Er habe der Regionalregierung vorgeschlagen, eine Mauer um Kirkuk zu errichten, sagt Ali Ahmed. "Sollte dem IS ein einziger Durchbruch durch die Linien gelingen, wird in der Stadt das Chaos ausbrechen."