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Die dicken Deutschen

Gudrun Heise29. Juni 2012

53 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer in Deutschland sind zu dick, so eine Studie des Robert-Koch-Instituts. Der Anstieg von Fettleibigkeit ist besorgniserregend.

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Stark übergewichtige Frau am Pool (Foto: picture-alliance / Sven Simon)
Bild: picture-alliance / Sven Simon

Ganze 152 Kilo brachte Sonja Berzbach noch vor einigen Jahren auf die Waage und das bei einer Größe von 1,74 Meter. Damit war sie ein typischer Fall von Fettleibigkeit, von Adipositas. Heute wiegt die 34-Jährige nur noch 83 Kilogramm. Sie sei früh aus dem Elternhaus ausgezogen, erzählt die ausgebildete Krankenschwester im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Nach dem Spätdienst habe ich mir halt oft noch eine Pizza gemacht, danach Schokolade gegessen und schließlich kam auch Frustessen dazu." Immer mehr Pfunde hätten sich so angesammelt. Irgendwann aber sei für sie eine Grenze erreicht gewesen. Ernährungsumstellung, viel Bewegung und Disziplin haben ihr beim Abnehmen geholfen. Aber die große Veränderung kam durch eine Operation. Damit sie ihre Erfahrungen weitergeben kann, hat Sonja Berzbach in Troisdorf eine Selbsthilfegruppe gegründet.

Leichtes Übergewicht und Adipositas

Übergewicht wird definiert als ein Zuviel an Körperfettmasse, gemessen im sogenannten Bodymass-Index, BMI: Das ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat. Die Zahl, die dabei herauskommt, liegt im Normalgewichtsbereich zwischen 20 bis 25 und im leichten Übergewichtsbereich bei 25 bis 30. Ein BMI von über 30 gilt als Adipositas Grad I, ab 35 als Adipositas Grad II und ab einem BMI von 40 spreche man von medizinisch behandlungsbedürftigem, starkem Übergewicht, von Adipositas Grad III, erläutert Stefanie Gerlach von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft.

Jemand isst einen Hamburger (Foto: dpa)
Falsche Ernährung ist nur ein Grund für ÜbergewichtBild: picture-alliance/dpa

Falsche Ernährung sei nur ein Grund für ein Zuviel an Pfunden. Die genetische Disposition könne einen Einfluss haben, ebenso wo man lebt und wo man arbeitet, und auch der Grad der Bildung. Personen mit einer höheren Bildung und einem höheren Einkommen, so die Erkenntnisse, zeigen in der Regel auch ein positiveres Gesundheitsverhalten und ernähren sich gesünder.

Fettleibigkeit und die Folgen

Nicht nur Adipositas selbst ist ein großes Problem für die Patienten, sondern im späteren Verlauf auch die Nachfolgekrankheiten. Die Liste reicht von Gelenkschäden über Diabetes bis hin zu schweren Herz-Kreislauferkrankungen. Oft kommen Depressionen hinzu. Und so sind verschiedene Fachrichtungen an einer Therapie beteiligt: Ernährungsberater genauso wie Diätassistenten, Psychologen, Pädagogen, Ärzte. In der Deutschen Adipositas-Gesellschaft gibt es insgesamt über 25 verschiedene Berufsgruppen, die auf dem Gebiet Adipositas arbeiten.

Vom Pummelchen zum Problemfall

Auch viele Kinder haben starkes Übergewicht. Schlechte Ernährung, Hamburger und Chips anstelle von Obst und Gemüse, kaum Bewegung und stundenlanges Sitzen vor dem Computer machen ganz schnell aus einem etwas pummeligen Kind einen medizinischen Problemfall. Ein Teufelskreis beginnt, die Ess-Sucht wird schlimmer und der Weg von leichtem Übergewicht zu Adipositas immer kürzer.

Übergewichtige Kinder nehmen an einem Sportprogramm teil (Foto: dpa)
Übergewichtige Kinder haben meist zu wenig BewegungBild: picture alliance/dpa

Wie ist der Alltag dieser Kinder strukturiert? Gibt es feste Mahlzeiten? Ist das Kind möglicherweise über lange Strecken am Tag sich selbst überlassen? Das sind einige der Fragen, die für eine Therapie wichtig sind. Dabei, so Stefanie Gerlach, spielten die Eltern eine ganz entscheidende Rolle. "Die Eltern bestimmen, was an Lebensmitteln zuhause vorhanden ist, die Eltern sind auch dazu da, dem Kind bestimmte Regeln vorzugeben." Und manche Kinder agierten über ihr Essverhalten bestimmte Gefühle aus. Dicke Kinder sind also auch ein Fall für den Psychologen.

Von 270 auf 100 Kilogramm

Kommt es ganz dick, dann ist der einzige Ausweg eine Operation. Meist wird dabei der Magen-Darmtrakt mit einem Magenband verkleinert. Der Patient isst wesentlich weniger und wird schneller satt. Der Gewichtsverlust nach einem solchen Eingriff liege bei ungefähr 50 Prozent des Übergewichts, bei anderen OP-Methoden sogar bei 80 Prozent, erläutert Martin Pronadl vom Alfried Krupp Krankenhaus in Essen. 120 bis 140 Adipositas-Patienten werden hier pro Jahr operiert.

Chirurgin hält Magenmodell mit Magenband in ihren Händen (Foto: dpa)
Eine Magenbandoperation ist oft der letzte Ausweg bei AdipositasBild: picture-alliance/dpa

"Es ist nicht selten, dass sich Patienten komplett halbieren und über 120, 130 Kilo nach einer Operation abnehmen." Der schwerste Patient auf Pronadls OP-Tisch brachte vor der Operation 270 Kilogramm auf die Waage, danach habe er 170 Kilogramm abgenommen, erzählt der Arzt.

Die weltweit erste Fettsteuer

Dänemark setzt auf eine unkonventionelle Art der Prävention: Im Oktober vergangenen Jahres wurde in dem nordeuropäischen Land eine Fettsteuer eingeführt - die erste und einzige weltweit. Besteuert werden Nahrungsmittel, die mehr als 2,3 Prozent gesättigte Fette enthalten. Dazu gehört Butter genauso wie Milch, Fleisch, die Pizza oder das Fertiggericht. Pro Kilogramm gesättigte Fettsäuren müssen die Produzenten 16 Dänische Kronen - etwa 2,15 Euro - abführen. Das soll die Dänen davon abhalten, zuviel von den ungesunden Fetten zu essen. Viele reagierten darauf zuerst einmal mit Hamsterkäufen. Sie deckten sich zum ursprünglichen Preis mit just den Lebensmitteln ein, die jetzt besteuert werden.

Diskriminierung von Dicken

Die meisten Adipositas-Patienten leiden nicht nur unter ihrem Gewicht, sondern auch unter den Diskriminierungen, die ihnen tagtäglich begegnen - in der Straßenbahn genauso wie im Supermarkt. Auch Sonja Berzbach musste sich einiges gefallen lassen, wurde oft laut beschimpft. "Manche Übergewichtige trauen sich kaum noch aus dem Haus, igeln sich ein", erzählt sie. "Sie gehen vielleicht noch zu den Sportangeboten der Selbsthilfegruppe, mehr aber auch nicht." Es sei ein langer Weg vom Schwergewicht zum Normalgewicht - und der fange im Kopf an. Sie arbeitet mittlerweile in der Verwaltung einer großen Klinik und ist mit ihren 83 Kilo sehr zufrieden: "Ich bin glücklich."