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Deutsche Landlust

Laura Doeing30. Juni 2012

In Deutschland liegt Gärtnern im Trend. Wenn man keinen eigenen Garten hat, dann beackert man eben gemeinsam ein Stück Land. Auch in der Stadt. Und das hat viel mit Sehnsucht nach kleiner Welt und Kontrolle zu tun.

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Der Gemeinschaftsgarten "Allmende-Kontor" in Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof (Foto: Kerstin Stelmacher)
Bild: Kerstin Stelmacher

Es grünt und blüht - überall. Und die Leute lieben es. Das Magazin "Landlust"hat mittlerweile eine Auflage von über eine Million Exemplaren und gehört damit zu den zehn beliebtesten Publikumszeitschriften in Deutschland. Alle zwei Monate gibt es preis, wie man die schönsten Rosen pflanzt, das beste Gemüse erntet oder den heimischen Garten in ein Blumenmeer verwandelt. Natur? Ja gerne - aber nur die hübschen Seiten. Von Themen wie Klimawandel oder Erderwärmung ist nichts zu lesen. Man hat fast den Eindruck, die Deutschen sehnen sich nach idyllischer Natur, haben genug vom Großstadtrummel, flüchten in die Gärten.

Die sind den Deutschen tatsächlich wichtig: 2008 wurden in jedem Haushalt rund sechzehn Euro im Monat für Blumen und Gartenpflege ausgegeben. Dabei hat gar nicht jeder in Deutschland einen eigenen Garten - im Jahr 2007 aber immerhin jeder zweite Haushalt. Auch Trendforscherin Dr. Silke Borgstedt pflanzt, aber auf dem Balkon: Kräuter und Erbsen. Sie ist Direktorin der Sozialforschung am Sinus Institut und sieht für die Gartenlust der Deutschen verschiedene Gründe.

Cover der Zeitschrift "Landlust" (Foto: Landlust)
Lust auf Land - schönes LandBild: obs/Landlust

Das langsame Wachsen der Pflanzen

Zum einen würden die Deutschen nach Sinnlichkeit und Lebendigkeit suchen. Viele Menschen hätten das Gefühl, nicht mehr an wirklichen Prozessen teilzunehmen. Das Leben werde schneller, immer komplexer, da tue es gut, das langsame Wachsen der Pflanzen zu beobachten.Das Gärtnern habe für die Deutschen aber auch eine andere Funktion: "Sie versuchen bestimmte Bereiche wieder der eigenen Kontrolle zu unterwerfen, sich auf Dinge zu konzentrieren, die man selbst beeinflussen kann."

Bildinhalt: Die Ernte des Gemeinschaftsgartens "Allmende-Kontor" in Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof Foto: Kristin Radix
Den Pflanzen beim Wachsen zusehen - im KleingartenvereinBild: Kristin Radix

Wer keinen eigenen Garten hat, um den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen, der mietet sich ein Stück Land. Zum Beispiel in einem Kleingartenverein. Die haben in Deutschland eine lange Tradition. Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Gartenparzellen in Deutschland – kleine, umzäunte Landstücke, die an Arme vergeben oder verpachtet wurden. Diese nutzten sie, um Nahrung anzubauen. Heutzutage gibt es rund eine Million Kleingärten in Deutschland. Nahrung wird noch immer auf den Parzellen angebaut. Das ist Vorschrift: Wer ein Stück Garten mietet, muss eine Verordnung unterschreiben, in der er sich verpflichtet, mindestens ein Drittel der Gartenfläche zum Anbau von Obst und Gemüse zu nutzen.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Zum Namensgeber der Kleingarten-Bewegung wurde der Leipziger Arzt Dr. Moritz Schreber. Er regte 1860 an, Grünflächen als Spielplätze für die Kinder von Fabrik-Arbeitern zu errichten. Deshalb werden Kleingärten auch oft "Schrebergärten"genannt. In Deutschland erstrecken sie sich über eine Fläche von 46.000 Hektar purer Gartenfreude. Auch, wenn sich mittlerweile immer jüngere Familien eine Parzelle mieten, gelten Schrebergärten als spießig.

Warum es trotzdem so viele Menschen in den Garten zieht? Dr. Silke Borgstedt sieht ein starkes soziales Argument. Es gehe um die Nachbarschaftsnetzwerke, die beim Gärtnern entstehen würden, nicht darum, zum Bio-Bauern zu werden und sich nur noch von der eigenen Ernte zu ernähren: "Was wir hier in den urbanen Szenen beobachten, ist eher eine andere Form des Abschaltens, eine andere Form von Hobby. Man lebt in gewisser Weise in einer kleinen Unabhängigkeits-Illusion." Auf das Auto würden die meisten trotzdem nicht verzichten, so Borgstedt.

Bildinhalt: Die Ernte des Gemeinschaftsgartens "Allmende-Kontor" in Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof Foto: Kerstin Stelmacher
Die Ernte der fleißigen GärtnerBild: Kerstin Stelmacher

Das kollektive Buddeln

Im Jahr 2011 haben etwa 9,6 Millionen Deutsche mehrmals wöchentlich im Garten gearbeitet haben. Christophe Kotanyi ist einer von ihnen. Der 62-Jährige baut Salat, Mangold, Kohlrabi, Tomaten und Kartoffeln an, denn "die wachsen überall". Kotanyi pflanzt all das aber nicht im Schreber-, sondern im Gemeinschaftsgarten "Allmende-Kontor". Der befindet sich mitten in Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Hier betreiben Städter kollektiv einen Garten und bauen ausschließlich Nahrung an. Jeder Gärtner kümmert sich um die Beete der anderen, ernten darf jeder seine Tomaten selbst.

Der Gemeinschaftsgarten "Allmende-Kontor" in Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof Foto: Kerstin Stelmacher
Landlust-Idylle mitten in Berlin: Der Gemeinschaftsgarten "Allmende-Kontor"Bild: Kerstin Stelmacher

"Allmende"wurde im Mittelalter der Dorfanger genannt, ein Stück Land, das von allen Dorfbewohnern gemeinsam genutzt werden konnte. Auf dem Berliner "Allmende-Kontor"ackern inzwischen rund 800 Hobby-Gärtner in etwa 300 Beeten. Diese Beete sind allerdings improvisiert, sie befinden sich inWannen, umzäunt von Brettern. Christophe Kotanyi meint zu wissen, was so viele Städter an dieser Form des Gärtnerns begeistert: "Die Stadtleute sind es gewohnt, dass Gemüse im Laden 'wächst'. Es lohnt sich wieder zu entdecken, wo Gemüse herkommt."

"Es geht nicht um die Flucht aus der Stadt, sondern um die Vereinbarkeit von Widersprüchlichem", meint Dr. Silke Borgstedt. Man müsse sich nicht mehr zwischen einer Wohnung in der Stadt und einem Garten entscheiden. Auch nicht in Berlin. Ursprünglich kommt die Idee der Gemeinschaftsgärten aus New York, weiß Christophe Kotanyi. Für ihn ist der Garten mitten im unruhigen Berlin ein Ort der interkulturellen Verständigung und "eine Oase. Er ist grün und sehr friedlich."

Tomatenernet des Gemeinschaftsgartens "Allmende-Kontor" in Berlin (Foto: Kristin Radix)
Bild: Kristin Radix

Die Initiative hat das Grundstück von der Stadt gemietet. Der Vertrag über die Nutzung läuft aber nur noch bis 2013, vielleicht wird er bis 2016 verlängert. Dann allerdings ist Schluss mit dem Gartenglück auf dem ehemaligen Flughafengelände. 2017 soll dort nämlich die Internationale Gartenschau stattfinden.