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Die blinde Behindertenbeauftragte

Christian Ignatzi15. Januar 2014

Die Paralympics-Biathletin Verena Bentele übernimmt das Amt der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Die Vorsitzende der Lebenshilfe, Ex-Sozialministerin Ulla Schmidt, hält die Sportlerin für die richtige Wahl.

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Verena Bentele
Bild: picture-alliance/dpa

"Die aufregendsten Herausforderungen kommen immer dann, wenn man sie gar nicht erwartet", sagt Verena Bentele. Als Bundessozialministerin Andrea Nahles sie kürzlich fragte, ob sie sich vorstellen könne, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zu werden, musste sie erst einmal darüber schlafen.

Die Schwäbin, die im Februar 32 Jahre alt wird, hat schon vieles erreicht: Die von Geburt an blinde Frau ist die erfolgreichste deutsche Behindertensportlerin aller Zeiten. Im Biathlon und im Langlauf gewann sie zwölf Goldmedaillen bei den Paralympics und vier Mal Gold bei Weltmeisterschaften. Doch die neue Aufgabe, die sie von Donnerstag (16.01.2014) an ausführen soll, ist nicht minder bedeutend. "Deshalb halte ich es für völlig normal, dass man bei solch einer Entscheidung Bedenkzeit braucht", sagt sie. Mittlerweile hat sie sich entschieden und freut sich über das Vertrauen, das Nahles in sie gesetzt hat.

Ulla Schmidt, Bundestags-Vizepräsidentin (Foto: imago)
Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt ist von Bentele überzeugtBild: imago/Sven Simon

Neben ihrer Tätigkeit als Spitzensportlerin coachte Bentele bislang Führungskräfte, und sie hat ihr erstes Buch geschrieben, das im Februar erscheint: einen Ratgeber darüber, wie man persönliche Ziele erreicht. Als Behindertenbeauftragte soll sie darauf achten, dass neue Gesetze die Belange Behinderter berücksichtigen, und sie soll für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einstehen.

Eine Politikerin mit jahrelanger Erfahrung ist sie aber nicht. 2012 trat Bentele der SPD bei. Ihr Vorgänger Hubert Hüppe ist dagegen schon seit über 20 Jahren Bundestagsabgeordneter. Ist die neue Aufgabe deshalb eine Nummer zu groß für die junge Sportlerin? Keineswegs, ist sich die amtierende Vizepräsidentin des Bundestags, Ulla Schmidt, sicher. Sie ist auch Bundesvorsitzende der Selbsthilfevereinigung Lebenshilfe und beruft sich auf die Erfolge Benteles als Biathletin: "Solch eine erfolgreiche Sportlerin hat schon eine ganze Portion an Energie, Disziplin und Zielstrebigkeit aufbringen müssen, sonst hätte sie das nicht erreicht." Tugenden, die ihr bei ihrer neuen Aufgabe von Nutzen seien.

Erfahrungen aus dem Spitzensport sollen helfen

Außerdem, sagt Schmidt im Interview mit der DW, kenne sie Bentele persönlich aus Diskussionen darüber, wie die Inklusion - also die Einbindung behinderter Menschen - bereits in Kindergärten und Schulen vorangebracht werden könne: "Sie hat sich in den vergangenen Jahren schon sehr in der Politik engagiert und hat immer darauf gepocht, dass es nicht um Fürsorge geht, sondern um die Rahmenbedingungen." Menschen mit Behinderung seien nicht generell pflegebedürftig, sondern könnten gesellschaftlich dann teilhaben, wenn die Bedingungen stimmten. "Das hat Verena Bentele im Spitzensport gelernt, und das wird sie auch auf politischer Ebene einbringen", glaubt Ulla Schmidt.

Gelungene Inklusion beim gemeinsamen Fußballspielen. (Foto: dpa)
Inklusion beim gemeinsamen FußballspielenBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Vor allem die Inklusion, die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert ist, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Behindertenbeauftragten. Nicht alle sehen diesen Punkt ohne Skepsis. Carmen Kohr ist beim Körperbehindertenverein Stuttgart (KBV) für den Alex-Club zuständig, in dem Menschen mit Behinderung Freizeitgestaltungsmöglichkeiten angeboten werden. "Bei uns ist Inklusion fast schon ein Schimpfwort," beklagt sie. "Im Moment hat man das Gefühl, es wird versucht, alles zu inkludieren, was nur geht." Die Regierung würde meist nicht darüber nachdenken, wo eine Inklusion überhaupt Sinn ergebe. Im Schulwesen sei es etwa nicht sinnvoll, jedes Kind mit einer Behinderung in einen Regelschulplatz zu drängen, weil es dort vielleicht nicht mitkomme. "Man müsste stattdessen beides anbieten. Sonderschulen und eine Inklusion in die Regelschule."

Bentele weiß, wie sich Menschen mit Behinderung fühlen

Unabhängig von dieser Debatte freuen sich die Mitglieder des KBV Stuttgart aber auf die neue Behindertenbeauftragte: "Jemand, der selbst eine Behinderung hat, kann sich besser in Menschen mit Behinderung hineinversetzen", glaubt Kohr. "Frau Bentele kennt die Probleme im Alltag, in der Gesellschaft und im Arbeitsleben." Probleme wie etwa fehlende Ermäßigungen für nötige Begleitpersonen von Rollstuhlfahrern bei einigen Konzerten und Verantaltungen. "Da erhoffen wir uns, dass es bald einheitliche Lösungen gibt", sagt Kohr.

Auch Politikerin Ulla Schmidt hofft darauf, dass Verena Bentele dabei helfen wird, Barrieren schneller abzubauen. Der Unterstützung weiterer Bundesverbände kann sie sich jedenfalls sicher sein: "Wir sind bereit und fähig, ihr mit Konzepten und sonstigen Erfahrungen von Experten zur Seite zu stehen", teilte der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland, Ilja Seifert, mit. Auch er glaubt, dass Bentele genug politische Erfahrung mitbringt und vor allem von ihren sportlichen Erfolgen zehren wird: "Bei großen öffentlichen Veranstaltungen hat sie sich als kenntnisreiche, charmant-empathische und sachkundige Sympathieträgerin erwiesen", sagt Seifert. Er hofft, dass Bentele ihre Fähigkeiten einsetzen wird, um sich "nicht nur gelegentlich" Gehör innerhalb der Bundesregierung zu verschaffen.