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Die Bienenretter vom Balkon nebenan

Lisa Duhm26. April 2015

Bienen halten auf dem Balkon liegt im Trend. Doch kann so das Bienensterben aufgehalten werden? Ganz so einfach ist es nicht, fand ein Paar aus Köln heraus.

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Biene in Köln (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Jonas lehnt sich gegen die Balustrade seines Balkons und lächelt entschuldigend. Im Hintergrund lässt die Sonne das hippe Kölner Stadtviertel Ehrenfeld in unerwartetem Glanz erstrahlen. Jonas ist umgeben von selbstgezüchteten Tomatenpflänzchen und Erdbeersetzlingen - und ein paar hundert Bienen. Sie landen auf seiner Hand, seinem Shirt, seinem Kopf. Jedes Mal, wenn eine weitere Biene dazukommt, zuckt er leicht zusammen.

"Wir hatten uns das ein bisschen anders vorgestellt", sagt Jonas und betrachtet eine Biene auf seinem Handrücken. "Eigentlich soll man von den Bienen hier gar nichts mitkriegen. Wahrscheinlich brauchen sie noch ein wenig Zeit, um sich einzugewöhnen." Gestern kam sie an, die summende Kiste, per Übernachtexpress. Darin: Ein Bienenvolk samt Königin. Jetzt wohnen die Bienen in einer hölzernen "BienenBox" auf Jonas Balkon. Der 29-Jährige und seine Freundin Veronika haben keine Erfahrung mit Bienen - über Nacht wurden sie zu "urbanen Imkern".

Imker Jonas Schiffmann (Foto: Lisa Duhm).
Jonas kontrolliert das Bienenvolk auf seinem Balkon in KölnBild: DW/L. Duhm

Und damit sind sie nicht allein: Bienen halten auf dem eigenen Balkon ist in. "Stadtbienen e.V.", der Vertreiber der BienenBox, hat seinen Umsatz um 140 Prozent gesteigert - innerhalb eines Jahres. Der Internetauftritt der BienenBox bewirbt Bienenhaltung als einfach und wenig zeitaufwendig: Das perfekte Hobby für den umweltbewussten Stadtbewohner.

Jonas und Veronika haben bereits herausgefunden, dass die angegebenen 20 Stunden Arbeitsaufwand pro Jahr wohl doch etwas untertrieben sind. "Ich habe unzählige Stunden im Internet verbracht, um mehr über Bienenhaltung zu lernen. Und das schon lange bevor die Bienen überhaupt ankamen", sagt Veronika. "Aber trotzdem weiß ich immer noch so wenig."

Bienensterben weiterhin dramatisch

Für Jonas und Veronika war nicht der Honig die Motivation, eigene Bienen zu halten. "Eigentlich mag ich den gar nicht so gern", gesteht Jonas. "Wir sind einfach fasziniert von Bienen. Es wäre toll, wenn wir ihnen helfen könnten." Denn das ist sicher: Die Bienen brauchen unsere Hilfe.

Vor etwa einem Jahrzehnt schlugen Imker weltweit zum ersten Mal Alarm: Bienenstöcke waren von einem Tag auf den anderen plötzlich leer. Die Population der Westlichen Honigbiene nimmt seitdem immer weiter ab - auf mehr oder weniger mysteriöse Weise.

Das Bienensterben geht weiter. Im vergangenen Winter starben etwa 30 Prozent der Bienenvölker - ein Verlust von zehn bis 15 Prozent wäre natürlich. In den USA sind die Verlustraten schon seit Jahren dramatisch überhöht, in einigen Staaten überleben 60 Prozent der Bienen den Winter nicht.

Bienenhalter Jonas & Veronika in Köln (Foto: Lisa Duhm).
"Es wäre schön, wenn wir den Bienen helfen könnten", sagen Jonas Schiffmann und Veronika SchriederBild: DW/L. Duhm

Diese Zahlen erschrecken nicht nur aus der Perspektive eines Umweltaktivisten - auch ökonomisch ist das Bienensterben eine Katastrophe für Bauern und Verbraucher. Etwa ein Drittel der weltweiten Ernte gäbe es ohne Bienen nicht: Keine Mandeln, Kirschen, Gurken und unzählige weitere Obst- und Gemüsesorten.

"Ohne menschliche Hilfe können Bienen nicht überleben"

Wissenschaftler streiten noch immer darüber, was das globale Bienensterben verursacht. Eine der Hauptverdächtigen ist die Varroamilbe. Ähnlich wie Zecken, saugt die kleine Milbe das Blut der Biene und überträgt dabei gefährliche Krankheiten. Die Milben vermehren sich in den Brutzellen und schwächen damit das Bienenvolk im Innersten.

"Ohne die Hilfe der Imker könnte unsere Honigbiene heute nicht mehr überleben", sagt Bienenwissenschaftler Peter Rosenkranz von der Universität Hohenheim. "Gäbe es die Varroa nicht, hätten wir wohl etwa die Hälfte der heutigen Winterverluste."

Auch der intensive Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft gilt als Auslöser des Bienensterbens. 2013 reagierte die EU auf wissenschaftliche Studien und Proteste von Umweltaktivisten, in dem sie den Einsatz von sogenannten Neonikotinoiden verbot. Diese Pestizide werden auf die Samen von Pflanzen aufgetragen, finden sich aber auch in Nektar und Pollen wieder.

Infografik Relying on bees Deutsch

Eine andauernde Debatte

Das Verbot der Neonikotinoide ist auf zwei Jahre begrenzt und läuft Ende 2015 vorläufig aus. Wissenschaftliche Studien zur Wirkung der Neonikotinoide sind daher zurzeit sehr gefragt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie fand heraus, dass die Menge an Pestiziden, die Bienen bei normaler Sammelaktivität mit in den Stock bringen, unter dem für das Volk schädlichen Grenzwert liegt.

Bienenwissenschaftler Rosenkranz unterstützt diese These. "Wir haben intensiv zu dem Thema geforscht und herausgefunden, dass niedrige Dosen des Pestizids dem Bienenvolk keinen Schaden zufügen." Allerdings, so Rosenkranz, haben Pestizide für die einzelne Biene durchaus Folgen, die aber schlecht analysiert werden können. "Wir wissen außerdem noch nicht, welchen Einfluss Neonikotinoide auf die generelle Biodiversität hat." Gerade Wildbienen oder Hummeln reagieren sehr viel sensibler auf die Pestizide als Honigbienen.

Ein für Neonikotinoide vernichtendes Urteil gibt eine neue Studie von Wissenschaftlern der Universität Newcastle. "Wir haben herausgefunden, dass Bienen bevorzugt Pflanzen besuchen, die mit Neonikotinoiden behandelt wurden", sagt Studienleiterin Geraldine Wright. Neonikotinoide hätten einen ähnlichen Effekt auf Bienen wie Nikotin auf Menschen. "Das sind keine guten Nachrichten für die Bienen", so Wright.

Wrights Studie belegt, dass Bienen von den Neonikotinoiden abhängig werden - und sie Pollen und Nektar selbst dann von einem Pestizid-belasteten Feld sammeln, wenn eine gesunde Alternative zur Wahl steht.

Bienenretten - auf dem Balkon?

Jonas und Veronikas Bienen werden wohl kaum mit Pestiziden in Berührung kommen. Obwohl es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint: Bienen finden in der Stadt ein breiteres und gesünderes Nahrungsangebot. "Es gibt hier viele Balkone mit blühenden Pflanzen und gleich um die Ecke ist ein Friedhof. Unsere Bienen werden sicher genug zu Essen finden", glaubt Jonas. Hat das Paar also die Antwort aufs Bienensterben gefunden, indem es Bienen auf dem Balkon hält?

Die erfahrene Imkerin Susanne Kleinmann aus Hamburg ist sich nicht sicher. "Um deine Bienen gesund zu erhalten, brauchst du viel Wissen und musst vor allem viel Arbeit in sie stecken." Kleinmann weiß, dass Balkonimkern oft beides fehlt: Erfahrung mit Bienen und Zeit, sich um sie zu kümmern.

Bienenschwarm in München (Foto: Imago).
In der Stadt legen Bienen auch schon mal eine Kreuzung lahm - wenn wie hier die Feuerwehr anrücken muss, um einen Schwarm einzufangenBild: imago/Action Pictures

Bienen, die nicht korrekt gehalten werden, stellen eine Gefahr für Völker in der Umgebung dar, fügt Kleinmann hinzu. Bienen fliegen bis zu drei Kilometer weit und kommen dabei mit anderen Bienen in Kontakt - und mit deren Krankheitserregern. Ein nicht behandeltes Volk kann so hunderte andere Bienenvölker in der Umgebung infizieren.

"Wir sehen die Haltung von Bienen in der Bienenbox oder Bienenkiste kritisch", bestätigt auch Rosenkranz. Natürlich sei es positiv, dass die Bienen inzwischen so stark im öffentlichen Interesse stünden. "Wenn man aber selbst Bienen hält, muss man sich bewusst sein: Ich trage hier eine große Verantwortung."

Unvorhergesehene Herausforderungen

Jonas und Veronika scheinen ihre Verantwortung zu kennen. Sie haben ihr Bienenvolk bereits bei der Veterinärbehörde angemeldet - unerlässlich, um Bienenkrankheiten effektiv bekämpfen zu können. Zusätzlich zum selbst angelesenen Wissen aus dem Internet macht das Paar einen Imkerkurs, um mehr über ihre neuen fleißigen Mitbewohner zu lernen.

Zurück auf dem Kölner Balkon. Jonas spricht mit seinen Nachbarn, die unten auf der Terrasse ihre Mittagspause genießen. "Wir können unsere Fenster wegen der Bienen nicht mehr öffnen", beschwert sich eine der Frauen. Eine andere sei schon gestochen worden. "Sie werden sich beruhigen", sagt Jonas. Dabei ist jedoch nicht ganz klar, ob er damit seine Bienen oder die Nachbarn meint.