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EU-Krise und West-Balkan

Panagiotis Kouparanis3. Dezember 2013

Die Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU hat die Länder des Westlichen Balkan hart getroffen. Ihre starke Abhängigkeit von der EU und nationale Defizite lassen wenig Raum für eine Besserung der Situation.

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Arbeitslose vor dem Arbeitsamt in Zagreb, Kroatien
Bild: Ognjen Alujevic

Vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise in der Europäischen Union waren griechische Banken ein wichtiger Finanzfaktor auf dem Balkan. In über 1900 Zweigstellen beschäftigten sie rund 23.000 Mitarbeiter und engagierten sich mit 70 Milliarden Euro. Neben österreichischen und italienischen Finanzinstituten waren sie mit 15 Prozent des Grundkapitals aller Banken auf dem Balkan eine wichtige Anlaufstelle für die einheimische Wirtschaft. Hier konnte man sich mit Krediten versorgen.

Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise in Griechenland habe sich das Blatt gewendet, so die Einschätzung von Franz-Lothar Altmann, Professor für Europäische Studien an der Universität Bukarest. Obwohl die Auslandsfilialen profitabel arbeiteten, seien die griechischen Banken auf Grund der Finanzknappheit in Griechenland gezwungen, ihr Kapital aus den Nachbarländern immer mehr abzuziehen. "Damit wird die Kreditklemme in diesen Balkanländern noch vergrößert."

Franz-Lothar Altmann (Foto: DW/Panagiotis Kouparanis)
Franz-Lothar Altmann, Professor für Europäische Studien an der Universität Bukarest und Mitglied im Präsidium der Südosteuropa-GesellschaftBild: DW/P. Kouparanis

Enge Verflechtung EU - West-Balkan

Aber das ist nicht das einzige Ungemach für die Region. Tatsächlich bekommt der West-Balkan die ganze Wucht der Wirtschafts- und Finanzkrise der Europäischen Union zu spüren. Grund dafür ist die enge wirtschaftliche Verflechtung mit der EU. Zwei Drittel des Handels der Länder des westlichen Balkans werden mit EU-Staaten abgewickelt. Der Rückgang der Exporte dorthin, der ausländischen Investitionen und auch der so wichtigen Geldüberweisungen der Auswanderer haben zu einem negativen beziehungsweise geringen Wachstum geführt. Die Folgen für die Menschen sind desaströs. Rund ein Drittel der Bevölkerung im West-Balkan lebt in Armut, die Arbeitslosigkeit hat griechische Verhältnisse erreicht, die Emigration nimmt zu.

Gerade diesem Schicksal wollte die Region entfliehen, als sie sich an der Europäischen Union orientierte. Jetzt muss sie erleben, dass es die EU ist, die ihre eigene Krise auch zu einer Krise der westlichen Balkan-Länder gemacht hat, urteilt Milica Delević, stellvertretende Generalsekretärin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Brüssel. Diese Aussage auf einer internationalen Konferenz der Südosteuropa-Gesellschaft und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin blieb unwidersprochen.

Keinen Einwand gab es auch gegen die Schlussfolgerung von Frau Delević, die Krise werde dazu führen, dass sich der Fokus der EU auf die Bewältigung der eigenen Wirtschafts- und Finanzprobleme richtet. "Solange man sehr stark mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt ist," so Frau Delević, "hat man wenig Zeit, etwas anderes voranzubringen." Diesen Prozess können die westlichen Balkanländer nicht beeinflussen. Aber sie könnten versuchen, die Situation als Chance für Strukturreformen zu nutzen. Die Auswirkungen der importierten Krise sind besonders schwerwiegend, weil die Region weiterhin unter strukturellen Defiziten leidet. Die Privatisierung kommt nicht überall voran, die sozialen Wohlfahrtssysteme arbeiten ineffektiv, Bürokratie und Politik stehen oftmals Neuerungen im Weg.

Milica Delević (Foto: DW/Panagiotis Kouparanis)
Milica Delević, stellvertretende Generalsekretärin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und EntwicklungBild: DW/P. Kouparanis

EU soll strengere Auflagen machen

Wichtig für wirtschaftliche Prosperität ist auch ein hohes Bildungsniveau. Gerade das sei aber auf dem West-Balkan im Verhältnis zu den westeuropäischen Ländern niedrig, sagt Gerald Knaus, Vorsitzender des Think Tank "European Stability Initiative". Auch die hohe Anzahl von Universitätsneugründungen seit der Wende habe keine Abhilfe geschaffen. Gleiches gälte für die berufliche Ausbildung. Die Berufsschulen in den Ländern des westlichen Balkans gälten fast überall als "Schulen für Versager". Knaus konstatiert, dass sich Bildung und Berufsausbildung an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren müssen - daran, welches Wissen und Können gebraucht wird, damit z.B. Unternehmen in der Lage sind, Produkte herzustellen, die exportiert werden können. Das setzt allerdings voraus, dass die politischen und Bildungs-Eliten dieser Länder sich klar darüber sein müssen, wohin ihr Land sich in den nächsten 10, 15 Jahren entwickeln und wo es stehen soll. Diese Vision fehle, so der Soziologe.

Bei seinen vielen Gesprächen in der Region hat Gerald Knaus den Eindruck gewonnen, dass nicht nur bei der politischen Elite, sondern auch in der Verwaltung eine "unternehmerfeindliche Stimmung" herrsche. Eine solche Einstellung schaffe keine Zuversicht für Investoren, sich im westlichen Balkan zu engagieren. Das gelte auch für Unternehmer, die aus der Region stammen und im Ausland tätig sind. Sie scheuten sich davor, das Risiko einzugehen, um in der Forstwirtschaft in Bosnien, in der Textilindustrie in Albanien oder in der Lebensmittelindustrie in Mazedonien zu investieren.

Gerald Knaus (DW/Panagiotis Kouparanis)
Gerald Knaus, Vorsitzender des Think Tank "European Stability Initiative"Bild: DW/P. Kouparanis

Eine wichtige Rolle zur Änderung dieser Einstellung könne die EU spielen, so Knaus. Sie müsse viel klarer als das bislang der Fall war definieren, was eine Verwaltung leisten muss, die auf europäischem Niveau die Wirtschaft reguliert. Die alljährlichen Fortschrittsberichte für die EU-Beitritts-Kandidaten sollten diesbezüglich konkreter und kritischer sein. Eine solche Herangehensweise sei keine Gängelung. Tatsächlich würde sie den Balkanländern helfen, eine wettbewerbsfähige, exportorientierte Wirtschaft aufzubauen.