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Die Angst der Albinos in Tansania bleibt

Philipp Sandner16. März 2015

Immer wieder werden Albinos in Tansania Opfer von rituellen Praktiken. Politik und Zivilgesellschaft wollen dagegen vorgehen. Doch eine klare Linie gibt es bislang nicht.

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Tansania Albino Mutter und Kind
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Martin

Hassan Khamisi lebt in der nordtansanischen Stadt Shinyanga. Der 17-Jährige ist ein ganz normaler Tansanier. Er geht zur Schule wie andere Kinder. Und doch sticht er heraus: Khamisi ist Albino. Die Stoffwechselerkrankung Albinismus tritt auf der ganzen Welt auf, sie führt dazu, dass dem Körper Farbpigmente fehlen. In Tansania kommt auf 1400 Bürger ein Albino. Gesundheitliche Konsequenzen: Eine empfindliche Haut und ein gesteigertes Krebsrisiko. Abgesehen davon könnte Khamisi ein normales Leben führen - wenn da nicht diese ständige Angst wäre: Angst, dass Menschen ihn bedrohen, überfallen, gar töten könnten. Denn in Tansania herrscht ein Aberglaube, dass Albinos über Zauberkräfte verfügen. Deswegen leben sie gefährlich.

Die jüngste Meldung ging vor einer Woche durch die tansanische Presse. Unbekannte hatten dem sechsjährigen Baraka Cosmas im westtansanischen Verwaltungsbezirk Rukwa eine Hand abgehackt - vermutlich, um sie an traditionelle Heiler zu verkaufen, die daraus Mittel für rituelle Zwecke herstellen wollten. Körperteile von Albinos werden als Glücksbringer gehandelt: Rund 600 US-Dollar bringt eine Albino-Hand auf dem tansanischen Schwarzmarkt. Cosmas war zum Zeitpunkt des Überfalls mit seiner Mutter alleine gewesen. Die Polizei verhaftete sieben Verdächtige, darunter den Vater des Jungen. "Solche Meldungen haben in mir eine Angst aufgebaut, die mein ständiger Begleiter geworden ist", sagt der 17-jährige Hassan Khamisi zur DW. "Immer wenn ich schlafen gehe, immer wenn ich aufwache, ist diese Angst da. Auch in Momenten, in denen ich eigentlich sicher bin."

Albino mit amputiertem Arm in tansanischem Krankenhaus (Foto: ddp images/AP Photo/Vicky Alice Ntetema)
Kein Einzelfall: der Tansanier Said Abdallah verlor in einem Angriff von 2010 seine HandBild: AP

Politische Ambitionen

Eigentlich sollte er jetzt sicher sein - in Shinyanga lebt Hassan Khamisi in der Einrichtung Buhangija, die Albino-Kindern besonderen Schutz und Schulbildung garantiert. Doch auch die zunehmende Überwachung reiche nicht aus, fürchtet der Junge, den beim Gedanken an traditionelle Heiler das bloße Grauen überkommt: "Diese Menschen können überall sein - jederzeit", so Khamisi. Und noch etwas macht ihm Sorge: Wenn er volljährig ist, wird er sein Refugium verlassen müssen.

Unterdessen nehmen die Schreckensmeldungen zu. Allein in den letzten sechs Monaten sind in Tansania und den Nachbarländern Malawi und Burundi nach UN-Angaben mindestens 15 Albinos entführt, verwundet oder getötet worden. In Tansania waren seit dem Jahr 2000 mindestens 72 Albinos Opfer von Gewalttaten. Die Polizei will nun härter durchgreifen und hat mehr als 200 traditionelle Heiler festgenommen. In einem Mordfall von 2008 wurden vor wenigen Tagen vier Personen zum Tod verurteilt. Präsident Jakaya Kikwete selbst traf sich jüngst mit Vertretern von Albino-Verbänden und sprach sich für ein radikaleres Vorgehen aus.

Die neue politische Aufmerksamkeit könnte auch als Imagepflege verstanden werden: Tansania bereitet sich auf allgemeine Wahlen im Oktober vor. Doch für viele Betroffene ist der politische Aktivismus scheinheilig. Sie sind der Ansicht: Aufgesucht würden die Heiler vor allem von Politikern, die sich im Wahlkampf profilieren wollen - und dabei auf magische Kräfte setzten. "Was sind wir für diese Menschen?", fragt Hassan Khamisi aufgebracht. "Sind wir diejenigen, die den Politikern zum Erfolg verhelfen sollen? Die Wahlen rücken näher - die Morde nehmen zu."

Tansanias Präsident Jakaya Kikwete (Foto: REUTERS)
Präsident Jakaya Kikwete will durchgreifenBild: Reuters

Öffentliche Aufklärung - viele Köche

Dass etwas passieren muss, fand auch der tansanische Journalist Henry Mdimu. Er startete die Kampagne Imetosha - übersetzt: "Es ist genug!" Obwohl er ein Albino ist, habe er ein Leben ohne Schwierigkeiten führen können, sagte Mdimu der Deutschen Welle: "In meinem ganzen Leben habe ich nie das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlte." Den Kampf für die Minderheit, zu der auch er gehört, habe er anderen überlassen - etwa der tansanischen Albinogesellschaft TAS oder dem tansanischen Ableger der internationalen Nichtregierungsorganisation Under the Same Sun (UTSS). Doch irgendwann sei ihm bewusst geworden, dass andere Albinos seit Jahren ausgegrenzt werden und dass sich die Situation für sie nicht gebessert habe. "Ich merkte, dass bei all diesen Kampagnen etwas fehlte", so Mdimu. Er will das Problem bei seinen Wurzeln packen. Das bedeutet für ihn: Auf eigene Kosten aufs Land zu reisen, dort Aufklärung zu betreiben, wo der Aberglaube am tiefsten sitzt.

Mdimus Beispiel zeigt, dass die Zivilgesellschaft in Bewegung kommt. Doch die Albino-Aktivisten haben mit Problemen zu kämpfen. Eine für Sonntag angekündigte Großdemonstration hat die Polizei in letzter Minunte abgesagt - "aus Sicherheitsgründen". Einigkeit zwischen den verschiedenen Initiativen ist eine weitere Herausforderung. "Jede Organisation, die mit Albinos arbeitet, muss zunächst anerkennen, dass sie sich nicht zum alleinigen Sprachrohr der Gruppe erheben kann", sagt Abdallah Possi, Rechtswissenschaftler an der Universität von Dodoma und erster Anwalt mit Albinismus in Tansania. Außerdem sei der Zusammenhalt in einem großen Land wie Tansania besonders wichtig, da die Kampagnenarbeit viel Geld verschlinge. Verschiedene Ansätze und Fähigkeiten zusammenzubringen, könne hingegen nur von Vorteil sein.

Albinos spielen Fussball (Foto: CTK Photo/Tomas Junek)
Albinos - "Menschen wie andere auch"Bild: picture-alliance/CTK/T. Junek