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Freiheit für Geschäfte

Stephanie Höppner12. Januar 2013

Visa-Anträge dauern der deutschen Wirtschaft immer noch zu lange. Der Vorwurf: Wenn ausländische Geschäftspartner nicht einreisen können, gehen leicht Investitionen verloren. Die Verbände nennen konkrete Vorschläge.

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(Foto: katatonia - Fotolia.com)
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Das Millionengeschäft auf einer deutschen Agrarmesse war fast abgeschlossen. Auf einmal die schlechte Nachricht: Ein dringend benötigtes Visum eines ausländischen Partners konnte nicht ausgestellt werden. Die Telefonnummer in den Unterlagen war fehlerhaft, die Botschaft konnte niemanden erreichen. Nach Aussage von Andreas Metz, Visa-Referent und Sprecher des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, ist dieses Beispiel kein Einzelfall.

Er kann nicht verstehen, warum an den alten Regelungen im Kern festgehalten wird: "Das Visa-System ist eigentlich ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert", erklärt Metz gegenüber der Deutschen Welle. "Es gibt heutzutage ganz andere Mittel, um für Sicherheit zu sorgen: Nämlich durch biometrische Pässe und computergestützte Informationsdateien, die den Reiseverkehr deutlich weniger behindern." Er hofft langfristig auf eine vollständige Abschaffung der Visumspflicht.

Angst vor organisierter Kriminalität

Auch auf Regierungsebene ist die Diskussion um schrankenlose Reisefreiheit aktuell. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler drängt auf mehr Freiheiten und forderte deshalb kürzlich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auf, seinen Widerstand gegen eine liberalere Visa-Vergabe in Deutschland aufzugeben. Die Sorge um die Sicherheit ist jedoch das Hauptargument für das Bundesinnenministerium. Der Deutschen Welle teilte das Ministerium mit, man wolle sich zwar für dafür einsetzen, dass Visa-Verfahren vereinfacht werden, die Visa ganz abzuschaffen lehne man aber ab. Es müsse darauf geachtet werden, auch "sicherheits- und migrationspolitische Aspekte" zu wahren.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Roesler (Foto: dapd)
Bundeswirtschaftsminister Philipp RöslerBild: dapd

Gegen eine vollständige Aufhebung der Schengen-Visumspflicht für russische und türkische Staatsbürger bestünden Bedenken. "Im Falle von Russland lassen die bisherigen Erkenntnisse darauf schließen, dass eine verstärkte Reisetätigkeit beispielsweise zu erweiterten Aktivitäten im Bereich der organisierten Kriminalität ausgenutzt werden. Daneben zählen Russland und die Türkei zu den Hauptherkunftsländern und Transitstaaten der illegalen Migration", erklärt das Ministerium.

Dreimal mehr Visa in Finnland

Für Wirtschaftsvertreter Metz mutet der Widerspruch zwischen Sicherheit auf der einen Seite und Lockerungen auf der anderen eher absurd an. "Die Visa-Debatte wird in diesem Land zu sehr unter dem Aspekt eines möglichen Missbrauchs geführt." Andere Länder innerhalb der Schengen-Region zeigten sich großzügiger. "Wir haben jedes Jahr etwa eine Million Visa, die allein vom finnischen Konsulat in St. Petersburg für russische Staatsbürger ausgestellt werden. Im Vergleich dazu kommt die BRD auf 340.000 Visa im Jahr", so Metz. Auch Länder wie Italien oder Spanien, die auf eine boomende Tourismuswirtschaft setzen, seien bei der Einreise liberaler.

Andreas Metz, Pressesprecher Ost-Aussschuss der Deutschen Wirtschaft, (Foto: Ostausschuss)
Andreas Metz kritisiert die deutsche Visa-PolitikBild: Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die deutschen Behörden hatten sich 2011 darauf verständigt, die Visumvergabe ein Stück weit zu erleichtern. Seitdem können auch externe Dienstleister Anträge entgegennehmen. Das soll die Wartezeiten deutlich verkürzen. In der Türkei zum Beispiel gibt es solche Büros schon, in Moskau ist jetzt ebenfalls eins eröffnet worden, weitere sollen folgen. Dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gehen die Regelungen aber noch nicht weit genug. Die Spielräume der EU-Regelung sollten weiter ausgebaut werden, heißt es in einem Papier des Ausschusses: Warum sollten Anträge nicht auch im Internet gestellt werden können oder direkt an der Grenze? Auch über die Kosten für Visa müsse man nachdenken, bis hin zu einer Gebührenbefreiung, so der Ausschuss.

Unter Deutschlands eher strikter Visa-Vergabe leide die Wirtschaft. Rund ein Fünftel aller Unternehmen mit russischen Geschäftspartnern haben bereits Aufträge wegen Visa-Problemen verloren. Das ergab eine Umfrage des Ost-Ausschusses von 2011. "Es gibt also Fälle, wo ein Geschäft nicht zustande gekommen ist, weil jemand nicht reisen und man sich deshalb nicht treffen konnte", sagt Ost-Aussschuss-Sprecher Metz.

Büroarbeit (Foto: Kzenon)
Internationale Geschäfte in GefahrBild: Fotolia/Kzenon

Bürokratiekosten in Millionenhöhe

Daneben bemängelt der Branchenvertreter auch den finanziellen Aufwand, der mit dem Antrag eines Visums einhergeht. "Wir gehen davon aus, dass allein die Visumspflicht zwischen Deutschland und Russland beide Länder mit jährlich 160 Millionen Euro an reinen Bürokratiekosten belastet", so Metz. Vier bis acht Wochen dauert im Schnitt der Antrag. Die Ablehnungsquote ist gering und liegt bei russischen Staatsangehörigen bei etwa 1,4 Prozent. Häufig sind formelle Fehler schuld.

Rechtsexperte Rolf Gutmann, Mitherausgeber der Zeitschrift "Ausländerrecht", vertritt regelmäßig genau diese Fälle vor deutschen Verwaltungsgerichten. Er weiß, wie lange schlimmstenfalls auf eine Einsreise-Genehmigung gewartet werden muss. "Wir haben in Berlin auch bei normalen Visa-Klagen immer eine Verfahrensdauer von eineinviertel bis eindreiviertel Jahren. Damit muss man immer rechnen", sagt er im Gespräch mit der DW. Nach seiner Erfahrung können auch dann Komplikationen auftreten, wenn die Industrie- und Handelskammer für das Visum grünes Licht gegeben hat.

Experten fürchten Schäden für Standort , (Foto: mmmx)
Strikte Visa-Vergabe: Schlecht für das Image der deutschen Wirtschaft?Bild: Fotolia/mmmx

Schaden für Standort-Image

Drastische Fälle sind für den Arbeitsmarkt-Experten des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM), Stephan Pfisterer, für seine Branche eher weniger typisch. Die bürokratischen Abläufe empfindet er dennoch als Hürde. "Visa-Problematiken tauchen vereinzelt auf bei Besuchern aus Osteuropa, zum Teil auch aus Fernost", sagt er. Besuchstermine müssten länger koordiniert werden, kurzfristige Meetings kämen teilweise nicht zustande. "Das wirkt sich natürlich auch nachteilig für das Standort-Image aus, das ist gar keine Frage."