1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschland profitiert von Zuwanderung

Jennifer Fraczek21. Mai 2014

Immer mehr Menschen wandern dauerhaft nach Deutschland ein - 400.000 waren es 2012 laut einer aktuellen Studie. Die meisten kamen aus Ost- und Mitteleuropa und haben einen Uni-Abschluss oder eine Ausbildung gemacht.

https://p.dw.com/p/1C3vU
Schild "Willkommen in Deutschland" vor blauem Himmel (Foto: Becky Stares/Fotolia.com)
Bild: Becky Stares/Fotolia.com

Als Anfang des Jahres die letzten deutschen Schranken für Jobsuchende aus Bulgarien und Rumänien fielen, warnte die Partei Christlich-Soziale Union (CSU) vor Sozialschmarotzern und "Armutszuwanderung". Eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, dass die Menschen, die dauerhaft nach Deutschland einwandern, vor allem eines sind: gut ausgebildet.

Die meisten dauerhaften Neuzuwanderer stammen aus Ost- und Mitteleuropa, vornehmlich aus Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Von den seit 2007 zugewanderten habe jeder Vierte einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss, die meisten anderen seien qualifizierte Fachkräfte, so Thomas Liebig von der OECD im DW-Gespräch. Rund 70 Prozent der Zuwanderer aus der EU - zu denen auch die Familienmitglieder zählen - hatten Ende 2012 eine Arbeit.

Schuldenkrise als Motor der Zuwanderung

Unter Zuwanderern versteht die OECD Menschen, die ein Aufenthaltsrecht haben und mindestens ein Jahr im Land bleiben. Von 2011 auf 2012 ist ihre Zahl hierzulande um 38 Prozent auf rund 400.000 gestiegen. Damit liegt Deutschland unter den 34 Industriestaaten, die Mitglied der OECD sind, hinter den USA jetzt auf dem zweiten Platz.

Grund für den enormen Zustrom, den Liebig als Boom bezeichnet, dürfte in erster Linie die Schuldenkrise sein. Immer mehr Südeuropäer suchen eine Arbeit in Deutschland, weil es hierzulande noch Jobs gibt, vor allem für Naturwissenschaftler, Ingenieure, Mathematiker und Informatiker. Die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit - jeder EU-Bürger darf sich drei Monate lang in einem anderen EU-Land aufhalten, um sich eine Arbeit zu suchen - erleichtert vielen diesen Schritt. Drei Viertel der dauerhaften Zuwanderer nach Deutschland nutzen mittlerweile diese Möglichkeit.

Flaggen von Bulgarien und Rumänien wehen zwischen EU-Fahnen (Foto: dpa)
Seit Anfang 2014 dürfen auch Bulgaren und Rumänen ohne Beschränkungen in Deutschland Arbeit suchenBild: picture-alliance/dpa

Doch es kommen nicht nur immer mehr Menschen hierher, sie bleiben auch länger. Jeder zweite Zuwanderer, der 2012 aus Europa kam, lebte im Schnitt länger als ein Jahr in Deutschland. Und das nicht nur wegen der andauernden Schuldenkrise. Die deutschen Firmen und die Zuwanderer, sagt Liebig, hätten sich auch besser aufeinander eingestellt - die Firmen hätten jetzt eine bessere Vorstellung davon, was die Zuwanderer ihnen bieten könnten, und die Zuwanderer wüssten besser, was von ihnen erwartet werde. Wenn sie gute Erfahrungen mit einem Mitarbeiter gemacht hätten, versuchten die Unternehmen über diesen Mitarbeiter noch an andere, fähige Leute zu kommen - das Netzwerken funktioniert hier sehr gut.

Ende des Booms absehbar

Der Vorsitzende des Bonner Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM), Hidir Celik, bezeichnet die Zuwanderung als Gewinn und als "Beitrag für die wirtschaftliche Stabilität des Landes". Sie komme aber auch den Krisenstaaten selbst zugute: Mit dem Geld, das sie in Deutschland verdienen, unterstützten die Zuwanderer ihre Familien in der Heimat - und somit auch ihr Land.

Thomas Liebig, Arbeitsmarkt- und Migrationsexperte der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (Foto: Privat)
Thomas Liebig von der OECDBild: privat

Die Frage wird sein, ob diese Fachkräfte, die in Deutschland dringend auch auf lange Sicht gebraucht werden, auf Dauer gehalten werden können. Denn der Zuwanderungsboom wird, da sind sich die Experten einig, nicht ewig anhalten. "Sobald die Wirtschaftslage in den Krisenstaaten wieder besser wird, werden viele dieser Menschen zurückkehren", sagt Celik. Liebig sieht das ähnlich - zumindest mittel- bis langfristig. Deshalb sei zu begrüßen, dass sich Deutschland bereits auch zunehmend für Nicht-EU-Staaten, die sogenannten Drittstaaten, geöffnet hat: "Bezüglich der größten Gruppe, der Polen, gibt es bereits Anzeichen für eine Stabilisierung. Dies könnte auch für viele andere Länder eintreten, vor allem für die Krisenstaaten, wenn sich die Lage dort verbessert, was sie wahrscheinlich wird."

Migrationsbewegungen folgten Konjunkturzyklen, sagt auch Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) in Osnabrück. "Wenn man die Entwicklung über die vergangenen Jahrzehnte betrachtet, kann man ein permanentes Auf und Ab sehen." Wenn es wieder abwärts geht, werden viele der Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland eingewandert sind und die Oltmer als "zum allergrößten Teil jung, gut ausgebildet und hoch motiviert" bezeichnet, wieder nach Hause zurückkehren.